Artigo Acesso aberto Revisado por pares

Max Weber. Preusse, Denker, Muttersohn. Eine BiographieKaesler, DirkMünchen, Verlag C.H. Beck (2014), 1009 S. ISBN 978 3406 66075 7 Max Weber. Ein Leben zwischen den EpochenKaube, JürgenBerlin, Rowohlt (2014), 494 S. ISBN 978 3 87134 575 3

2014; Wiley; Volume: 20; Issue: 3 Linguagem: Alemão

10.1111/spsr.12122

ISSN

1662-6370

Autores

Daniel Brühlmeier,

Tópico(s)

Political Theology and Sovereignty

Resumo

Max Weber ist eine der wichtigsten Figuren in der Geschichte der Sozialwissenschaften, von der Schärfe der Analyse, der Breite seiner Interessen und vom Einfluss her vergleichbar mit den Universalgelehrten Adam Smith im 18. oder John Stuart Mill im 19. Jahrhundert. An Einfluss (und an mathematischer Fundierung) überragt ihn im 20. Jahrhundert wohl nur noch John Maynard Keynes, der aber nicht die Vielfalt der Weberschen Interessen teilt. Aus Anlass des 150. Geburtstages von Max Weber sind zwei gewichtige Biographien erschienen, die es hier anzuzeigen gilt. Dabei ist Dirk Kaesler ein sicherer Wert in der unermesslichen Max Weber-Forschung (s. etwa seine als Standard geltende Einführung von 2011 oder die klug eingeführte Ausgabe der Protestantischen Ethik 2013). Jürgen Kaube ist Journalist und neu in der Weber-Literatur, sein eher in der Art der „intellektuellen Biographie” brillant geschriebenes Werk bildet aber eine echte Bereicherung. Die beiden Werke lesen sich sehr gut komplementär. Wie war Max Weber möglich? Was befähigte ihn, ein so ungewöhnliches und herausragendes Werk zu schaffen? Beide Autoren liefern eine Fülle von wichtigen Anhaltspunkten zur Beantwortung solcher Fragen. Prägend ist da einmal der familiale Kontext, dominiert durch den Vater Max Weber sen. (1836-1897), Jurist, Stadtrat zuerst in Erfurt, dann in Berlin sowie Abgeordneter im Preussischen Abgeordnetenhaus und später auch im Reichstag, und die Mutter Helene, geb. Fallenstein (1844-1919). Väterlicherseits ist das vor allem kaufmännisch geprägtes Grossbürgertum aus Westfalen stammend, mütterlicherseits in noch begüterterem Textilhandel und mit hugenottischen Vorfahren; beide hatten sie wichtige Familienzweige in England. Max Weber wird mit übergrossem Kopf geboren und erkrankt sehr bald an Meningitis, was ihm zusätzlich zu seinem Status als Erstgeborenem und einzigem Kind für vier Jahre bis zur Geburt seines Bruders Alfred, der seine eigene Karriere haben und mit dem ihn ein spannungsreiches Verhältnis verbinden wird, die emotionelle Aufmerksamkeit und Sorge der Eltern, vor allem der Mutter, sichert. Von Gefühlen her selbstgenügsam und verschlossen – „ich geniesse in der Regel jede Freude für mich allein” (zit. bei Kaube, S. 36) –, ist er intellektuell frühreif. Er hat sehr früh schon (und für immer) einen unersättlichen Wissensdurst, liest täglich die antiken Klassiker, z.T. in der Originalsprache, mit zwölf Machiavellis Fürsten (Kaube, S. 28; der Name wird von Weber allerdings durchs ganze Werk hindurch falsch geschrieben). Als Vierzehnjähriger wünscht er sich rund 5'000 Seiten zu Weihnachten, worunter Kaube (S. 29ff.) eine Trouvaille entdeckt: ein Buch des Balten Victor Hehn über die Wanderung der Kulturpflanzen und Haustiere in Europa, das mit seinem kulturhistorischen, empirischen und vor allem vergleichenden Ansatz früh die komparative Begierde im jungen Weber prägt, die ihn ebenso wie Aristoteles, Machiavelli, Montesquieu und Tocqueville auszeichnen sollte. Weber verschlingt aber nicht nur Literatur; gleichzeitig hat er ein ausgeprägt kritisches Urteilsvermögen, geht auf Distanz zum Gelesenen (etwa zur Ilias oder zu Cicero) oder zu seinen realen, oft auch virtuellen Diskussionspartnern. Er realisiert sehr früh, dass Wissen Macht ist, gleichzeitig aber gegenüber dem Vater, den (deutlich jüngeren) Geschwistern – Schwester Klara schwärmt von seiner „Gabe des Belehrens” (zit. bei Kaube, S. 91) –, später den Mitschülern, Kollegen und Kommilitonen Kommunikation herstellt und Anerkennung verleiht; um diese wird er sein ganzes Leben ringen (sehr schön dazu: Kaesler, S. 258f.). Da die für Weber wichtigen Verwandten zu einem guten Teil Universitätsprofessoren waren – allen voran Hermann Baumgarten, der für ihn zu seinem wichtigsten, gerade auch in der Abhebung, Bezugspunkt für Politik und Liberalismus werden sollte (Kaube, S. 55ff.) –, unterstützt und fördert dieses Umfeld ideal seine Vorzüge und Lieblingsbeschäftigungen. Webers Studien und Universitätskarriere verlaufen entsprechend gradlinig und zumeist brillant: Er studierte 1882 bis 1886 Jura, Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte in Heidelberg, Göttingen und Berlin, unterbrochen von einem Wehrdienst 1883/1884 als Einjährig-Freiwilliger in Strassburg. Die z.T. wiederum verwandtschaftlichen Beziehungen halfen bei den für die Karriere wichtigen (Sonntagsnachmittags)Besuchen bei den Professoren. 1889 promovierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin in Jura mit einer Dissertation zur „Entwicklung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten” beim Juristen und Handelsrechtler Levin Goldschmidt. 1892, also 28-jährig, habilitierte er für römisches und deutsches Handelsrecht in Berlin mit einer Habilitationsschrift zu: „Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht”. Nachdem er seinen kranken Doktorvater bereits vertreten hatte, wurde ihm 1893 eine ausserordentliche Professur für Handelsrecht in Berlin angeboten. Diese schlägt er aus, um 1894, also als 30-Jähriger, die ordentliche Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der „Durchgangsuniversität” (so Kaesler, S. 388) Freiburg zu übernehmen. 1897 erfolgt der ultimative Karrieresprung: Weber wird nach Heidelberg auf die Professur, wiederum für Nationalökonomie und Finanzwissenschaften, einer seiner Lehrer, Karl Knies, berufen, damit also an eine der (drei) renommiertesten Universitäten Deutschlands und Stadt seiner Grosseltern mütterlicherseits. Wir unterbrechen hier kurz die Karriere, um dem Spezifikum Max Weber noch weiter auf den Grund zu gehen. Ein grosser Teil zu dessen Erklärung liefert seine Art zu arbeiten und seine diesbezüglichen Vorstellungen und Forderungen an sich. Von Jugend an und vor allem auch im Studium rastlos, getrieben von der ihm eigenen Pflichtvorstellung und in Arbeitswut gefangen, liest und exzerpiert er oft bis zwei, drei Uhr in der Nacht, um anderntags vor den Studenten zu referieren oder mit ihnen Seminare und Kolloquien abzuhalten. Oft arbeitet er an mehreren Texten parallel, mit laufenden Notizen auf grossformatigen Bögen (Kaesler, S. 544f., also gewissermassen mit einem Mapping oder kunstvollen Collagen); ganze „Wagenburgen von Büchern” (zit. bei Kaesler, S. 905) türmten sich auf seinem Schreibtisch auf. Die Lehrveranstaltungen hält er meist frei auf der Grundlage von stichwortartigen Notizzetteln. Beide Werke belegen eindrücklich die damaligen Familien- und Heiratsstrukturen: Man gründete nicht mit einer Ehe eine Familie, sondern setzte bereits existierende Familien fort. Cousinenheirat hatte nicht Anstössiges (zumindest nicht in protestantischen Familien, nach Kanonischem Recht ist sie verboten!), auch nicht in der Grossfamilie Weber-Fallenstein. Allerdings passierte 1893 Ungeahntes und auch nicht restlos Geklärtes: Der immerhin schon 29jährige Max stemmt sich gegen das Heiratsarrangement mit einer Strassburger Cousine und will mit einer 22jährigen Nichte zweiten Grades eine Verlobung eingehen, die früh durch den Tod ihrer Mutter Halbwaise, dann „fröhliches Strassenkind” (zit. bei Kaesler, S. 320), sich ohne klassischen Bildungsweg, aber mit einer bedeutenden finanziellen Mitgift seit 1891 in einer multiplen Warteschlaufe im Hause der Webers in Charlottenburg befindet. Gleichzeitig lehnt diese das von Mutter Weber für sie vorgesehene Arrangement mit dem jungen Theologen Paul Göhre ab, der Max Webers lebenslang einziger Duz-Freund, sein späterer Enquête-Partner und mit seiner verdeckten Recherche Drei Monate Fabrikarbeiter so etwas wie ein Günter Wallraff zu Ende des 19. Jahrhunderts war. Mit Marianne Schnitger begegnen wir jener Frau, ohne die Weber-Biographien unmöglich wären, mit der sie aber auch sehr schwierig werden. Sie hat 1926 mit ihrem in einem höchst ei(nzi)gartigen Stil verfassten „Lebensbild” Max Webers Biographie in einem „Über-Text” (Kaesler, S. 40) kanonisiert, mit dem und gegen den jeder Biograph schreiben muss. Gleichzeitig fungierte sie in „immenser Nachsorge” (Kaube, S. 431) als Nachlassverwalterin der Schriften Max Webers, auch dies unschätzbar, aber oft fragwürdig und vergewaltigend: Das monumentale Werk etwa, das sie unter dem Titel Wirtschaft und Gesellschaft posthum veröffentlichte und das in Talcott Parsons' Übersetzung zum wichtigsten soziologischen Titel des 20. Jahrhunderts wurde, muss in der Max Weber-Gesamtausgabe (MWG) aufgebrochen und in verschiedenen Einzelteilen publiziert werden. Ein früherer Biograph (Ratkau 2005: S. 831) mutmasste, Weber sei der sozialwissenschaftliche Klassiker geworden, „weil er eine solche Frau hatte”. Biographisch exakt und vor allem mit Kaesler klar werdend, ist die Wahrheit wohl die: Weber wäre nicht Weber geworden, wäre er nicht mit 29 Jahren diese von Zuneigung und Gegenseitigkeit geprägte, aber trotz fehlender Erotik nie in Frage gestellte (s. Kaube, S. 133, 266: „eheliche Beständigkeit”), „Gefährten”-Ehe eingegangen; er hätte wohl keine Protestantische Ethik oder sonst ein Werk nach Dissertation und Habilitation geschrieben. Max wiederum unterstützte Marianne immer in der Gestaltung eines „erfüllten geistigen Eigenlebens”, das sie zu seiner Agrarenquête-Mitarbeiterin, dann zu einer respektablen philosophischen und juristischen Autorin, Frauenrechtlerin und Politikerin machte, die bei der konstituierenden Versammlung des Badischen Landtags vom 15. Januar 1919 als erste deutsche Abgeordnete das Wort ergriff. Im Sommer 1897 bahnt sich im Leben Webers an, was die Biographen dramatisch belegen: Marianne spricht von „Absturz” und „Höllenfahrt”, Kaube fast noch etwas distanziert vom „Zusammenbruch” und einer „biographischen Quarantäne” (S. 266); Kaesler wiederum benutzt „Schnitt” als Kapitel- wie als Abschnittstitel (S. 459ff.), wobei die kalt-chirurgische Metapher wohl nicht ungewollt ist. Nun fordern Raubbau an Körper und Psyche, der exzessive Alkohol- und Nikotinkonsum, die Aufputschmittel am Tag und die Schlafmittel für die kurze Nacht ihren Tribut – wohl aber auch, so Wilhelm Hennis (1996, S. 204), der Druck des Diszipinenwechsels, mit dem (notabene eingelösten) Anspruch, im neuen Fach selbstverständlich sofort zu den Besten zu gehören. Retardierender Auslöser scheint ein Familienstreit am 14. Juni, zu dem sich Vater und Sohn nicht mehr aussprechen können (für das folgende Kaesler S. 470ff.). Nach anscheinend normaler Aufnahme des Semesters erfolgt anfangs 1898 der Zusammenbruch, „völlige Erschöpfung mit Kopfhitze und Spannungsgefühlen”, Diagnose „Neurasthenie” aufgrund jahrelanger Überanstrengung – Burn-out, würde man heute sagen, sicher aber wohl (Ausbruch) eine(r) schwere(n) Depression, eine manisch-depressive Psychose, die Weber für drei Jahre praktisch völlig arbeitsunfähig machen und ihn trotz diverser Klinikaufenthalte und Therapien verschiedenster Art für sein Leben lang nie mehr gänzlich gesund werden lässt. Weber wird „gentleman scholar”, ermöglicht durch das beträchtliche Erbe des Grossvaters von Marianne, Carl David Weber, und die Unterstützung durch die ebenfalls seitens der Fallensteins sehr begüterte Mutter. Erst 1917 werden Professuren wieder spruchreif, nun auch aus pekuniärer Notwendigkeit. Kontakte zu München werden geknüpft, 1918 lehrt Weber probeweise in Wien, verzichtet aber auf eine definitive Berufung. 1919 kann Marianne über den Lehrstuhl bestimmen (Kaube, S. 423), ein ganz auf ihn zugeschnittener über „Politik” (tout court!) in Bonn, oder München, daselbst über „Gesellschaftswissenschaft (Webers Wunsch), Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie” (diese Fächertrias als schliesslicher Kompromiss); sie entscheidet sich für München – eingedenk auch dessen, dass die physische Nähe Webers zu ihrer Freundin und seiner Geliebten seit wohl 1917, Else Jaffé, geb. von Richthofen, wohl für alle das Beste ist.11 Marianne Weber erklärt das in einem Brief an Else Jaffé, der für Kaesler (S. 915) von „unerhörter Selbstlosigkeit und liebevoll-kultivierter Toleranz“ zeugt; Kaube bezeichnet ihn schlicht als „einen der nobelsten Liebesbriefe […], die je in deutscher Sprache geschrieben wurden“ (S. 423). Wie sind die beiden Biographien zu würdigen? Beide Autoren liefern eine äusserst reiche und umfassende Darstellung der Biographie Webers. Mit Kaesler ist nun wohl das Maximum an umsichtig aufbereiteter biographischer Information zu Weber vorhanden, das – von einer Entdeckung neuer Archive oder der Zugänglichmachung noch gesperrter Dokumente abgesehen – für lange Zeit Gültigkeit haben dürfte. Kaube arbeitet selektiver und bringt neben den signalisierten Trouvaillen das genau richtige Mass an Gesamtzusammenhängen ein, in welche Weber zu stellen ist. Zudem ist sein Buch so gut geschrieben, dass man verschiedentlich laut herauslachen muss (so etwa S. 252, 356, 366). Kaesler bezeichnet sein Werk über ein Dutzend Mal als „Erzählung” und präzisiert einmal, dass er sich an ein allgemeines Publikum wendet (S. 877); es gibt kaum ein Werk, das so oft „wir” zur Rede kommen lässt, dies in den vielfältigsten Variationen, bis hin zur Andeutung des raren rhetorischen Kunstgriffs, damit die Angesprochenen, aber sich selbst nicht mit zu meinen (S. 203). Natürlich ist das auch als gewollter Kontrast zum Lebensbild Mariannes gedacht, die ja strikt von sich in der dritten Person, vorzugsweise als „die Gefährtin”, spricht, und von ihrem Gatten schlicht als „Weber”. Ein geradezu maliziöser Kunstgriff ist es, „aus stilistischen Gründen darauf [zu] verzichte[n], die Fundorte der Zitate nachzuweisen” (S. 937). Das erlaubt natürlich eine sehr viel lockere „Erzählung”; problematisch ist das dann auch nicht in der Vielzahl der Fälle, wo bekannte Brieftexte oder Passagen aus dem Lebensbild eingearbeitet werden, sondern eher dort, wo relativ summarisch Sekundärliteratur kritisiert wird. Die Fülle der ausgebreiteten Informationen schliesst nicht aus, dass Unsicherheiten zu wichtigen Familien- und Lebensabläufen weiter bestehen und bei der derzeitigen und wohl in den meisten Fällen auch künftigen (F)Aktenlage unterschiedliche Interpretationen zulassen: So meine ich etwa, dass Max Weber sen. ohne genügenden Beleg zu schlecht wegkommt und ein übergrosser Vater/Sohn-Konflikt suggeriert wird. Und wenn man hervorstreichen muss, dass gerade im sexuellen Bereich beide Autoren mit Interpretationen vorbildlich zurückhaltend sind – Kaesler spricht von der schönen Kategorie des Respekts, der auch zwischen den (wissenden) Eheleuten und ausserehelichen Partnerinnen herrschte (S. 913) und Kaube geisselt gezielt und gekonnt die approximative Mythologie und den „kinderpsychologischen Mischmasch” (S. 125), die allzugerne zu Webers Leben ergossen werden –, so rutschen doch auch ihnen hie und da einige unnötige Mutmassungen und Psychologisierungen durch. Das ist soweit unerheblich, als es nicht das Werk tangiert. Ich meine allerdings, Kaesler irrt sich zulasten des Werkes, wenn er verschiedentlich versucht, in die Todeshäufungen von 1919/20 – der politische Weggefährte Friedrich Neumann und Mutter Helene durch Alter, Schwester Lili durch Suizid, und natürlich im, wie zig-Tausend andere, durch die Spanische Grippe verursachten Tod von Max Weber selbst – mehr als Lebensschicksalsschläge, eben „einfach Hazard” in Webers Diktion, hinein zu interpretieren (s. etwa S. 421). Die These, dass Weber „im Frühjahr [1920] innerlich an sein Ende gekommen war” (923), ist meines Erachtens falsch. Dieser offensichtliche Bias schlägt dann auch in der vermeintlichen Aufschlüsselung der Widmung des ersten Bandes der Religionssoziologie an Marianne – 1893 „bis ins Pianissimo des höchsten Alters” – bei Kaesler (S. 822ff., auch 916) durch. Als Max diese eine Woche vor seinem Tod schrieb, war er 56, Marianne 50. Das mag altersmässig „fortgeschritten” oder was auch immer sein, aber noch nicht „hoch” oder „höchst” und war damit klar pro futuro, in Vorahnung und Vorfreude auf künftiges Schaffen und Leben (dies in schwieriger, aber konzertierter Mehrfachbeziehung) gemeint! Und natürlich ist die nahezu identische Formulierung in der Zwischenbetrachtung (dort „bis zum”) ein Augenzwinkern an Marianne, vor allem aber ein Zitat ohne expliziten Verweis aus Mariannes Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung!22 Tübingen: Mohr-Siebeck 1907, S. 572, 1. Linie. (Ich verdanke den Hinweis Bärbel Meurer, S. 261.) Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede der beiden Passagen von Marianne und Max können hier nicht weiter ausgeführt werden, aber zumindest soviel: Das „pianissimo“ scheint nochmals an prominenter Stelle auf, im letzten Absatz von Wissenschaft als Beruf und ergänzt wohl die Religionssoziologie mit ihrer naheliegenden musikalischen Metaphorik „sehr leise“, also älter werdend und leiser tretend, um die gewahrte Nähe und v.a. Intimität (das Adjektiv fällt in einem grandiosen kunsttheoretischen Nebensatz), doch wohl auch letztlich und am höchsten in der ehelichen Zweierbeziehung. Kaesler vernachlässigt dies ebenso wie die mehrseitige geniale Skizze „in wenigen Strichen”, in der die Ehe-Passage aufscheint; diese verweist präzis auf ein geplantes, aber letztlich durch Webers Tod ungeschrieben gebliebenes Werk über Kunst, Erotik und Kultur im Okzident, das manch Kulturtheoretisches bei Freud und sehr vieles bei Elias zur Makulatur hätte werden lassen. Wahrlich ein „Schlüsseltext”33 Es darf daran erinnert werden, dass ein so „seminal article“ wie derjenige von Laurence W. Scaff (1987) über weite Strecken eine Paraphrase der Zwischenbetrachtung auf Englisch darstellt., dem Kaube die gebührende Reverenz erweist, wenn er sagt, dass „[w]er überhaupt nur einen Text von Weber lesen will, diesen wählen” sollte (S. 345) – wenn auch der Gedanke, dass jemand nur einen Text von Weber lesen will, einem gewaltige Pein verursacht! Leider wählen beide Autoren Allerweltsuntertitel. Kaesler verlässt sich auf eine Trias: dass Max Weber ein „Denker” ist, ist zwar nicht besonders originell, aber immerhin richtig. „Muttersohn” ist zu relativieren, und das pejorative „Muttersöhnchen”, das Kaesler gelegentlich herausruscht (so S. 197, 206), deplatziert: wenig ist spezifisch anders als in anderen Familien, und dass Max im fatalen Streit der Eltern für sie Partei ergriffen hat, hat nichts Ausserordentliches und stimmt ja völlig mit den Lebensvorstellungen des jüngeren Ehepaars Weber-Schnitger überein. Prägend war die Mutter (und auch Tante Ida) allerdings mit ihren Lesestunden zum unitarischen amerikanischen Theologen William Ellery Channing (S. 175 und 270). Und „Preusse” ist gänzlich hinterfragbar: Dagegen steht nicht nur der gewaltige Satz anlässlich des Ersten Deutschen Soziologentags von 1910 – „Ich bin teils Franzose, teils Deutscher” –, sondern vor allem die Tatsache, dass Weber einen Grossteil seines Lebens in Baden oder im Ausland, insbesondere mehr als ein Jahr in Rom (und 1904 mehrere Monate in den USA, von Laurence Scaff 2011 hervorragend dokumentiert), gelebt hat (Kaube korrigiert mit einem schönen Kapitel über das „Weltdorf” Heidelberg). Kaube bemüht ein Leben „zwischen den Epochen”, aber es wird auch nicht ansatzweise zu verdeutlichen versucht, um welche Epochen es sich dabei handelt und was das „zwischen” soll. Hingegen gilt für beide Autoren, dass sie ihr Buch abzuschliessen wissen: Kaubes letztes Kapitel kommt sinngemäss zum schönen Schluss, dass auf die Frage: Was bleibt? die Antwort lautet: Sein Werk wird, gewissermassen in einem circulus virtuosus, „immer grösser, seine Argumente immer vielfältiger, seine Erkenntnisse immer mehr” (S. 430). Kaesler, eben mehr Biograph, gibt in seinem letzten Abschnitt „Bilder: die der anderen und die eigenen” eine exquisite Trockenbeerenauslese und problematisiert auf wunderbar bescheidene und wissende Art zugleich sein Geschäft. Wilhelm Hennis kritisierte 1996, pikanterweise auf damalige Arbeiten u.a. von Dirk Kaesler bezogen, die mangelnden biographischen Ergebnisse für das Werk, „[sollte] im Zentrum aller Fragen doch das Werk stehen” (1996, S. 176). Was ist nun die Bilanz der beiden Biographien für das politische Denken von Max Weber? Interessant ist da einmal, dass Weber in seinem engen Kontakt mit Friedrich Naumann 1896 forderte: „Die neue Partei muss sein eine nationale Partei der bürgerlichen Freiheit” (zit. bei Kaesler, S. 438, Hervorh. DB). Bekanntlich erfolglos, denn Naumann bliebt vorerst beim „Nationalsozialen Verein” – doch Weber sollte damit zum geistigen Ahnvater der liberalen Parteibenennung in Deutschland werden. Packend wird von beiden Autoren beschrieben, was 1914 geschah. Mit dem Kriegsausbruch scheint Weber in alte Muster zurückzufallen: Kriegsbegeisterung (Kaesler, S. 738ff.; Kaube 24. Kap.) bricht aus, merkwürdige Phrasen werden privat in seiner impulsiven Art gedrescht, doch wie Kaube (S. 354) richtig sagt, sie „nehmen keine akademische Wendung, er bringt sie nicht in Buchform” (und, so darf man ergänzen, nie wird bei Weber ein Ressentiment auszumachen sein). Weber realisiert als einer der ersten, dass dieser Krieg für Deutschland verloren gehen wird, und dass dann nicht mehr die Ideen von 1914, sondern die neuen von und für 1917, dem vorerst vermuteten Zeitpunkt des Friedens, gefragt sind. Wenn früher mal „Wanderprediger” (Hennis 1996: S. 203) in sozialpolitischen Fragen, so ist er das umso mehr in seinen publizistischen und Vortragsaktivitäten, die er ab Dezember 1915 bis hin zur sog., einen Tiefschlag markierenden (s. Kaesler, S. 882), Professorendenkschrift zu Versailles 1919 entfaltet. Unter den Früchten, die die „Mariannen”-Ausgabe (Hennis) Gesammelte Politische Schriften ab S. 112ff. dokumentiert, hat es Perlen, die die beiden Biographien nicht mehr vollständig erschliessen. Höhepunkt ist wohl Politik als Beruf, ein schlecht gelungener, auch an manchen Zufällen hängender Vortrag von Januar 1919, den Weber aber für die Publikation zu einem eigentlichen Traktat über Politik aus- und umarbeitete (s. dazu auch Brühlmeier, 1996). Interessant ist nun, dass die Formel schon sehr viel früher im Leben Webers auftaucht: Mit „Politik gleichsam als Beruf” (zit. bei Kaube S. 38; entdeckt hat die Formel m.W. Guenther Roth) umschrieb Max Weber sen. seine persönliche Lebenswahl für die praktische politische Tätigkeit als Stadtrat im Vorzug zu einer wissenschaftlichen Karriere. Man kann sich fragen, wie präsent der Vater im Text von 1919 noch ist – natürlich in analytischer Distanz und Abhebung, etwa als „‘Berufspolitiker’ ohne Beruf”, denn das Charisma des plebiszitären Führers wird der Sohn ihm kaum zugesprochen haben (wenn man auch sagen muss, dass der Vater sich der Mehrheitsauslese stellte und diese bestand, was der Sohn nie schaffte und vielleicht auch nicht wirklich wollte – hier dem Dilettantenpolitiker nicht unähnlich, den Theodor Fontane so unnachahmlich in der Person des Commerzienrats Treibel oder auch des alten Stechlin verewigt hat). Schliesslich muss die Affäre Ludendorff erwähnt werden. Sie erlaubt auch, auf einen Charakterzug Webers einzugehen, den die Zeitgenossen und auch die beiden Biographen weidlich erwähnen: Weber war jähzornig, cholerisch, streitsüchtig, oft wie ein Rohrspatz fluchend. Diesen Charakterzug hat er im Privat-, Berufs- und geselligen Leben auf unterschiedliche Weise domestiziert und es kam auch unterschiedlich rüber: Schmoller, akademisch ein Opfer Webers, sprach vom „hochgradig nervösen Kampfhahn” (zit. bei Kaesler, S. 646); und er sagt selber von sich: „ich bin ein oft sehr schroffer Mensch” (zit. bei Kaesler, S. 669). Im akademischen Bereich macht das viel von der Schärfe und Debattierlust Webers aus – ein wunderbares Stück, das Kaube referiert, ist der Verriss 1909 der philosophisch seichten „Energietheorie” von Wilhelm Ostwald, der ironischerweise im gleichen Jahr noch den Nobelpreis für Chemie erhalten sollte (S. 249ff.; Kaesler verpasst dies und begeht eine seltene Ungenauigkeit, indem er ihn, S. 584, als „Philosophen” bezeichnet) –, aber auch von seiner Exzentrizität, bis hin zu einem Don Quijote-mässigen Verhalten (wobei viele dann hinter vorgehaltener Hand zugeben, dass er eigentlich recht hat). Im Privaten finden wir daher einige eher skurrile Rechtsstreitigkeiten. Das alles scheint am Ende des Krieges in eine Auseinandersetzung mit Ludendorff zu münden, von dem Weber verlangt, dass er sich im Sinne der „Rechenschaftspflicht” (heute würde man von „accountability” sprechen) den amerikanischen Grenzposten als Kriegsgefangener stellen solle. Weber sucht schriftlich und mündlich den Nah- und Zweikampf mit dem zusammen mit Hindenburg nach der Ablösung von Falkenhayn faktischen Militärdiktator Deutschlands während des Weltkriegs. Es kommt offensichtlich zu jenem Treffen in Berlin vom 30. Mai 1919, von dem wir einen Bericht Mariannes haben (Kaesler gibt davon S. 884ff. eine Abschrift, Kaube S. 406 eine etwas verkürzte Darstellung eines verbalen Gefechts, in der Weber wohl zu gut wegkommt und die entscheidende Touche landet): Es geht um Ehre, Nation, Monarchie und Demokratie. Gemäss Marianne wird Weber diese Szene im Studierzimmer verschiedentlich und immer wieder erregt nachspielen. Es scheint, dass Weber Ludendorff vor Gericht ziehen wollte, was natürlich eine schreckliche Geschichte abgegeben hätte, war er doch für den General letztlich ein Landesverräter (wobei ihm die Kenntnis dieser Anschuldigung erspart blieb). Die Ratio in ihm und das Schicksal des Todes über ihm haben ihn letztlich davor bewahrt, wohin ihn die Leidenschaft vielleicht getrieben hätte – in der Dramatik und den möglichen Konsequenzen jener Situation nicht unähnlich, in welcher der in manchem zarter besaitete Alexis de Tocqueville (1964, S. 18) sich allen Ernstes mit seinem Freund Rémusat überlegte, bei einem Empfang ob der hohlen Phrasen von König Louis-Philippe laut herauszulachen, was deren sozialen Tod bedeutet hätte.

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