Die gesellige Klassik: Das Taschenbuch auf das Jahr 1804
1988; Volume: 4; Issue: 1 Linguagem: Alemão
10.1353/gyr.2011.0356
ISSN1940-9087
Autores ResumoJOHN A. MCCARTHY Die gesellige Klassik: Das Taschenbuch auf das Jahr 1804 Dem Andenken von EUGENE M. WEBER (1940-1986), Freund der sanften Poesie und klassischer Ideale, gewidmet. Lassen Sie uns an der Form sehen, daß wir in guter Gesellschaft sind! (Goethe, Unterhaltungen deutscher Atisgewanderten, 1797) "Uns geht es darum," erklärt Lief Ludwig Albertsen in seiner Studie Gesellige Lieder, gesellige Klassik (1979), "die Mittwochskränzchen als eine Gegenbewegung zu jener Entwicklung in die propyläische Einsamkeit zu sehen, die Goethes (und Schillers) Pochen auf die klassizistische Exklusivit ät der Kunst bedeutet hatte."1 Mit anderen Worten, der Terminus "klassisch" meint nicht nur die Darstellung exemplarischer Haltung und stiller Größe des edelmütigen, aristokratischen und oftmals einsamen Helden, der wie lphigenie, Maria Stuart oder Octavio schwere moralische Proben zu bestehen hat, sondern auch den Ausdruck der freundschaftlich vereinigenden Jovialität in vertrauter Runde. Albertsen ist im übrigen bemüht zu zeigen, daß Goethes sogenannte "gesellige Lieder" (weitgehend 1801-1803 im Rahmen seiner berühmten cour d'amour entstanden) durchaus genuiner Ausdruck der deutschen Klassik seien. Sie möchten die Distanz zwischen Autor und Adressaten reduzieren; sowohl Produzent wie Rezipient sollten gleichgestimmt werden, um sie dadurch aus dem "exklusiven Individualismus" zu befreien (S. 172). Die Klassik, so Albertsen, wolle "mehr sein ... als Reflexion von philosophischen Gedanken vor einem andächtigen Publikum" (S. 159). Ein Zeichen für die Überwindung der todernsten Haltung des einsam leidenden 100 GOETHE SOCIETY OF NORTH AMERICA Helden sei die zunehmende Sangbarkeit der Goetheschen Lyrik. Albertsen verficht seine These so einleuchtend, daß man geneigt ist, seine abschließende Bemerkung voll zu bejahen: "Die Klassik ist gesellig, weil sie human ISt^(S. 173). Wenn das Klassische das Gültige der Idee in der Erscheinung bezeichnet, so kann man mit Wolfgang Baumgart die "volkstümliche Klassik" als die "breite Weitläufigkeit und ... Faßlichkeit" dieser Erscheinung definieren,- in ihr bleibt die Gültigkeit der zugrundeliegenden Idee trotz der größeren Popularität bzw. Publikumsbezogenheit ihrer Form unangetastet.2 Die lockere, naiv geschaute Lebensfülle von Einzelerscheinungen, in denen das Humanitätsideal zum Ausdruck kommt, ist genauso konstitutiv für die klassische Manier wie die Strenge und Entrücktheit einzelner, extremer Charaktere. Neben der Eigengesetzlichkeit dieser großen "klassischen" Helden steht die geselligkeitsfördernde Funktion der Kunst, wie dies z.B. durch den Theaterdirektor und die lustige Person im "Vorspiel auf dem Theater" zu Goethes Fßwsi-Dichtung (etwa zur selben Zeit wie seine geselligen Lieder entstanden) vertreten wird. Gleiches fordert Wieland in seinen einflußreichen, programmatischen Briefen an einen jungen Dichter (1782, 1784), die wohl an Goethe oder Schiller gerichtet sind. Dort verlangt Wieland den "heitersten Sinn," das "leichteste Blut" und einen "angeborene[n] Hang zum Nachsinnen, zum Forschen in sich selbst, zum Verfolgen seiner Gedanken, zum Schwärmen in der Ideen-Welt ... bei der geselligsten Gemütsart und der zärtlichsten Lebhaftigkeit der sympathetischen Neigungen" von denjenigen Menschen, die sich zum Dichter berufen fühlen. Diese von Wieland genannten Eigenschaften der philosophischen wie psychologischen Reflexion bei aller Leichtigkeit und Verbindlichkeit der Form verraten neben Goethes "volkstümlichem" Stil, welch großen Stellenwert gerade die klassische Kunstauffassung der Verbindung des Poeten mit seiner Mitwelt einräumt.3 Die Theorie der Geselligkeit, die hier zum Ausdruck kommt, hat allerdings eine lange Geschichte und ist naturrechtlich wie anthropologisch fundiert. Ein Blick auf diese Vorgeschichte wird eine sachgerechte Einstufung der deutschen Klassik innerhalb der Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts ermöglichen. Die Forschung verweist häufig auf den Bericht der Henriette Gräfin von Egloffstein (1773-1864) über die Gründung von Goethes cour d'amour, wo der "olympische Jupiter" (wie man Goethe damals scherzend bezeichnete) "das Elend der jetzigen gesellschaftlichen Zustände" rügt.4 Besonders scharf kritisierte Goethe die weitverbreitete "Geistesleerheit und Gemütslosigkeit ... im geselligen Verkehr," die Frohsinn und Genügsamkeit aus der Welt bannen. Goethe erinnert an vergangene Epochen mit abschreckenden Beschwörungen wie "Teufel der Hoffart" oder idealisieren- John A McCarthy 101 den Vorstellungen vom mittelalterlichen Minnekult. Auf der Stelle entwirft er die Statuten seiner cour d'amour, die bestimmen, daß sich zunächst sieben "wohlassortierte Paare ... wöchentlich einmal, abends nach dem Theater, im Goetheschen Hause" zwecks geselligen Beisammenseins zusammenfinden (Pleticha, S. 77 ff.). Goethe zielt...
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