Artigo Revisado por pares

Offene Räume und gefährliche Reisen im Eis: Reisebeschreibungen über die Polarregionen und ein kolonialer Diskurs im 18. und frühen 19. Jahrhundert by Mike Frömel

2014; German Studies Association; Volume: 37; Issue: 1 Linguagem: Alemão

10.1353/gsr.2014.0016

ISSN

2164-8646

Autores

Birgit Tautz,

Tópico(s)

Travel Writing and Literature

Resumo

Reviewed by: Offene Räume und gefährliche Reisen im Eis: Reisebeschreibungen über die Polarregionen und ein kolonialer Diskurs im 18. und frühen 19. Jahrhundert by Mike Frömel Birgit Tautz Offene Räume und gefährliche Reisen im Eis: Reisebeschreibungen über die Polarregionen und ein kolonialer Diskurs im 18. und frühen 19. Jahrhundert. By Mike Frömel. Hannover: Wehrhahn, 2013. Pp. 288. Cloth €29.50. ISBN 978-3865352975. Über (deutsche) Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts zu promovieren ist ein schwieriges Unterfangen. Zwar gibt es reichhaltiges Material, das im Hinblick auf Menge und Komplexität nahezu endlos ist, doch haben sich bereits viele WissenschaftlerInnen damit beschäftigt; sowohl jüngere als auch etablierte KollegInnen haben zur historischen und theoretischen Aufarbeitung der Gattung bzw. einzelner Reisegenres beigetragen und diese in neue Wissenszusammenhänge eingeordnet. Gerade im angloamerikanischen Wissenschaftsbetrieb erlebt Reiseliteratur eine Konjunktur, wann immer es darum geht, interdisziplinäre und transkulturelle Kontexte des Literarischen zu erschließen und nationalliterarische Referenzrahmen zu sprengen. Aber auch in der Germanistik bleibt Reisen als Gegenstand aktuell, wie der 2012 von Helmut Peitsch herausgegebene Sammelband Reisen um 1800 oder das im Erscheinen begriffene Sonderheft der Zeitschrift für Germanistik deutlich machen. Dennoch frage ich mich gelegentlich, welche neuen Materialien und Zugangsarten es noch zu entdecken gibt. Mike Frömel umgeht diese Frage zunächst clever, beschäftigt er sich doch in seiner 2011 an der Universität Potsdam angenommenen Dissertation zur deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts mit “Reisebeschreibungen über die Polarregionen”—und die sind bekanntlich weniger ins Blickfeld der Germanisten geraten (vgl. 11). Unter dem Titel Offene Räume und gefährliche Reisen im Eis liegt diese Dissertation hier in einem sehr schönen Buch des Wehrhahn Verlages vor, der damit einmal mehr seinem preisgekrönten Ruf gerecht wird. Frömel begrenzt seine Arbeit auf die Untersuchung von fünf Reisebeschreibungen, durch die er zeigt, “wie (Mit-) Reisende aus Deutschland die polare Fremderfahrung beschrieben haben” (12). Gegenstand der Texte sind die Antarktis (Georg Forster, 1778/1780), die Behringstrasse und das nördliche Eismeer (Heinrich Zimmermann, 1781; Otto von Kotzebue, 1821), Grönland (David Cranz, 1765/1770) und Labrador (Benjamin Kohlmeister und Georg Kmoch, 1814/18). Beginnend in den 1770er Jahren (Forster und Cranz), erfassen die Darstellungen bzw. Erstpublikationen einen Zeitraum von etwa fünf Jahrzehnten und damit wichtige Umbrüche in Erkenntnis und Darstellung der Welt. [End Page 167] Der Titel des Buches umreißt sehr gut die historische Situation der Polarreisen, sowohl den kulturellen Auftrag, den sie zu erfüllen hatten, als auch die materiellen und kulturellen Bedingungen, unter denen sie stattfanden. Die Erforschung der Polarregionen befand sich an einem Scheitelpunkt, waren doch Arktis und Antarktis die letzten, nahezu völlig unerforschten Gebiete der Welt, “offene Räume” des Wissens. Polarexpeditionen forderten stärker noch als andere Seefahrten die technisch-materiellen Grenzen von Schifffahrt und –technologie heraus; vermeintlich sichere Erkenntnisse aus Meteorologie, Geologie und Physik erwiesen sich als unzulänglich. Karten, Breiten- und Längenmessungen mussten dringend ergänzt werden, Wetter und unberechenbare Küsten—weil im Nebel nicht sichtbar und/oder von Eis eingeschlossen—machten das Vordringen in diese Regionen überaus “gefährlich.” Diese Grenzen und der Drang nach Wissenserweiterung prägten die Expeditionen gleichermaßen, und dennoch blieben die Polarregionen über 1800 hinaus weitestgehend terra incognita. Die Frömels Buch zugrundeliegenden Reisebeschreibungen unterstreichen diese Tatsache, illustrieren aber auch, wie sich herausbildende Wissenschaftsdisziplinen (Kartographie) bzw. kulturelle Praktiken (e.g. christliche Mission) in dieser Frühstufe der Polarexpeditionen in Texten manifestierten und auf Beobachtung gegründete naturwissenschaftliche und frühe ethnographische Bilder entwarfen. Trotz der hier skizzierten und im Buch zu entdeckenden Durchkreuzungen von naturwissenschaftlichem Wissen, Wahrnehmungsarten und Darstellungen des Reisens verfolgt Frömel vordergründig eine andere, bescheidenere Ausgangsthese: Es gehe—kurz gesagt—darum, die Texte auf evtl. koloniales Verstricktsein zu überprüfen (13), der “Heterogenität an Publikationsformen der Reisebeschreibung” (14) gerecht zu werden und ihre Rolle in einem breiten öffentlichen Diskurs zu untersuchen. Der Großteil der Kapitel soll der “literarischen Vermittlung” (17) gewidmet sein und zeigen, inwieweit diese Beschreibungen die Grenzerfahrung des Reisenden spiegeln, die sich aus der Annahme ergebe, Europa in Opposition zu “Wildnis” zu verstehen (vgl. 20). Dieser Ausgangspunkt scheint mir in mancherlei Hinsicht zu simplistisch—nicht ganz...

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