“New Technology Horizons” – Chemie als Innovationsmotor
2011; Wiley; Volume: 123; Issue: 15 Linguagem: Alemão
10.1002/ange.201101346
ISSN1521-3757
Autores Tópico(s)Chemistry and Chemical Engineering
ResumoWie können wir eine wachsende Weltbevölkerung mit ausreichend Nahrungsmitteln und dem kostbarsten aller Rohstoffe – mit sauberem Wasser – versorgen? Wie stellen wir eine bezahlbare medizinische Versorgung einer alternden Gesellschaft sicher? Wie sehen die Gebäude der Zukunft aus, und woraus sind sie gebaut? Wie wird der Energiemix der Zukunft aussehen? Was sind die Mobilitätskonzepte von morgen?1 Es scheint als ob jeder Tag des 21. Jahrhunderts eine neue Herausforderung mit sich bringt. Eine Chance für die Chemie, ihre Rolle als Innovationsmotor immer wieder aufs Neue unter Beweis zu stellen – auch wenn ihr Beitrag für den Endverbraucher häufig unsichtbar bleibt. Für Chemieunternehmen war es schon immer selbstverständlich, Veränderungen und Bedürfnisse vorauszusehen und den Wandel mit neuen Ideen und Produkten zu begleiten und zu gestalten. Darauf wollen wir im Jahr 2011, dem Internationalen Jahr der Chemie, besonders hinweisen. Als Lieferant neuer Technologien, neuer Werkstoffe und ihrer Vorprodukte sowie neuen Anwendungswissens ist die Chemieindustrie für Innovationen fast aller Branchen unentbehrlich. Voraussetzung dafür sind kontinuierliche Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E). Dieser Verantwortung ist sich die Chemieindustrie bewusst. Selbst während der schweren Rezession im Jahr 2009 investierten deutsche Chemieunternehmen rund 8.3 Milliarden Euro in F&E – das sind fast 25 % mehr als zu Beginn des Jahrzehnts. Die meisten Unternehmen erhöhten ihre Ausgaben nochmals um durchschnittlich 4 % im Zuge der wirtschaftlichen Erholung 2010. Angesichts größerer und komplexerer Herausforderungen sind Unternehmen jedoch nicht nur gefordert, Investitionen in Forschung und Entwicklung zu erhöhen oder auf einem angemessenen Niveau zu halten, sondern noch stärker zu kooperieren und zu internationalisieren. Das ist besonders wichtig, da sich in der Chemie zurzeit ein Paradigmenwechsel vollzieht. Erfolg wird nicht mehr nur durch Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von großen Mengen einfacher Moleküle bestimmt, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war. Erfolg wird zunehmend auch durch die Verwendung vorhandener und neuer Moleküle und chemisch-technischen Know-hows zur Herstellung von Systemlösungen, neuer Komponenten und funktionaler Materialien definiert. In jedem Fall wird die Chemie wie in der Vergangenheit bei der Gestaltung der Zukunft auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Innovationen der Chemie waren schon immer Voraussetzung zur Verbesserung der Lebensqualität – dafür finden sich in der Geschichte der Chemie zahlreiche Beispiele. Allein die Liste der chemischen Innovationen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist beeindruckend. Durch die erfolgreiche Synthese von Indigo wurde der weltweite Siegeszug der Jeans eingeleitet. Durch Antibiotika auf Sulfonamid- und Penicillinbasis gab es erstmals Heilmittel für viele lebensbedrohende Krankheiten. Und schließlich gelang es mit der Herstellung neuer Düngemittel, Hunger zu verhindern. So entwickelten Wissenschaftler und Industrieforscher gemeinsam zu Beginn des letzten Jahrhunderts das Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Ammoniak. Dieses Verfahren war der Schlüssel für die Produktion großer Mengen von Düngemitteln, die zur Steigerung der Ernteerträge benötigt wurden. Dass noch heute jährlich mehr als 100 Millionen Tonnen stickstoffhaltiger Düngemittel nach diesem Verfahren hergestellt werden und die Versorgung von mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung sichern, zeigt wie nachhaltig diese Erfindung war. 50 Jahre später gelang der Chemie eine weitere wichtige Innovation – die Herstellung von Polystyrolschaum. Der Bedarf an preiswerten und gut verfügbaren Dämmstoffen für Gebäude war zu diesem Zeitpunkt vielleicht nicht so drängend wie zuvor der Bedarf an Dünger, aber dennoch steigerte Polystyrolschaum den persönlichen Komfort der Menschen im Wirtschaftswunderland Deutschland. Heute wissen wir, dass eine gute Wärmedämmung nicht nur für Wärme und Behaglichkeit sorgt, sondern auch die Energieeffizienz von Wohngebäuden verbessert und so einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand die Elektronikindustrie, die ebenfalls auf innovative Chemie angewiesen ist. Ultrareine Chemikalien dienen als Reinigungs-, Ätz- und Poliermittel. Damit wird die Herstellung von immer kleineren Chips mit immer höherer Speicherdichte und Leistungsfähigkeit überhaupt erst möglich. Neuartige Flüssigkristalle machen Computer- und Fernsehbildschirme schärfer und heller. Im 21. Jahrhundert und darüber hinaus wird die Chemie Probleme lösen müssen, die wir uns heute vielleicht noch gar nicht vorstellen können. Das wird nicht mit Konzepten von heute oder von gestern möglich sein. Benötigt werden sogenannte “Leap-Frog-Innovationen”, völlig neue technologische und chemische Konzepte. Einige unserer künftigen Herausforderungen ähneln denen, die in der Vergangenheit bereits adressiert wurden – das Heilen von Krankheiten und die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Kleidung oder das Dämmen von Häusern. Neue Dimensionen tun sich dagegen bei anderen Herausforderungen auf: Wie ermöglichen wir eine noch schnellere weltweite Kommunikation? Wie ersetzen wir endliche, fossile Brennstoffe? Wie schonen wir natürliche Ressourcen? Hier brauchen wir neue Ideen für erschwingliche und “alltagstaugliche” Lösungen. Auch die wachsende Bevölkerung in Entwicklungsländern muss davon profitieren können. Eine ganze Reihe von sogenannten Megatrends wird die zukünftigen Entwicklungen prägen. Der wichtigste dieser Megatrends, der schon heute im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, ist zweifellos die stark wachsende Weltbevölkerung. Im Jahr 2050 werden mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, das sind zweieinhalb Milliarden Menschen mehr als heute. 2030 werden etwa 60 % der Menschen in Städten leben. Diese Größenordnungen stellen uns vor gewaltige Aufgaben. Wir müssen gewährleisten, dass wir sicher und komfortabel leben können. Einige Lösungen dafür liefert die Chemie bereits heute. Um neun Milliarden Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, muss die Getreideproduktion innerhalb der nächsten 20 bis 30 Jahre verdoppelt werden. Dafür werden technische Verbesserungen herkömmlicher Methoden alleine nicht mehr ausreichen. Chemieunternehmen arbeiten mit Saatgutherstellern Hand in Hand, um Pflanzen mit neuen Eigenschaften wie etwa einer höheren Toleranz gegenüber Trockenheit zu produzieren und zu vermarkten. Während die (“grüne”) Pflanzenbiotechnologie einen großen Beitrag zur Steigerung landwirtschaftlicher Erträge liefert, revolutioniert die (“rote”) pharmazeutische Biotechnologie das Gesundheitswesen, wobei biotechnologisch hergestellte Arzneimittel (Biopharmazeutika) schon heute die Behandlung von Krankheiten enorm verbessern. Aus der industriellen oder “weißen” Biotechnologie stammen zahlreiche neue Prozesse, so zum Beispiel Fermentationsprozesse mit Pilzen oder Bakterien, die zur Produktion von Molkereiprodukten, Wein, Bier und Sauerteigbrot eingesetzt werden können. Und auch hier gibt es noch großes Potenzial für künftige Anwendungen. So ermöglicht die weiße Biotechnologie beispielsweise die Verwendung erneuerbarer Rohstoffe wie Zucker und Stärke zur Herstellung von Biokraftstoffen oder chemischen Produkten. Dieser Ansatz steht in der öffentlichen Diskussion, weil negative Auswirkungen auf die weltweite Nahrungsmittelversorgung und steigende Preise für landwirtschaftliche Produkte befürchtet werden. Biokraftstoffe der zweiten Generation, die auf Zellstoffbestandteilen von Pflanzen wie Stängeln und Blättern basieren, gewährleisten jedoch, dass die Früchte und Samen der Pflanzen auch weiterhin als Nahrungsmittel verwendet werden können. Welche Perspektiven uns eine moderne Chemieforschung bietet, zeigt sich insbesondere auch an der Nanotechnologie. Die besondere Bedeutung dieser Wissenschaft des sehr Kleinen – ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter – liegt darin, dass sie aufgrund der Winzigkeit der Moleküle neue Funktionalitäten und Eigenschaften von Produkten ermöglicht. Viele Innovationen in Anwendungsgebieten vom Gesundheitswesen bis hin zu modernen energieeffizienten Beleuchtungskonzepten wären ohne die Nanotechnologie nicht möglich. Nanotechnologie findet bei der Umwandlung und Speicherung von Energie (Brennstoffzellen, Solarzellen, Batterien) ebenso Anwendung wie beim Umweltschutz (effiziente Nutzung von Rohstoffen) und der Informationstechnologie (neuartige Speichersysteme und Prozessoren). Aber auch in Bereichen, in denen man es nicht erwarten würde, treibt die Nanotechnologie Innovationen voran. Ein Beispiel sind innovative Kunststoffe: Die Fließfähigkeit beim Formen von Thermoplasten kann durch Nanopartikel deutlich erhöht werden. Dadurch wird der Energieverbrauch reduziert. Selbstleuchtende Anzeigen, die nur dann Licht erzeugen, wenn es benötigt wird, waren noch vor wenigen Jahren lediglich eine Vision. Jetzt werden sie zur Realität. In der zweiten Phase der deutschen Initiative zur Förderung organischer Leuchtdioden (OLED) konzentriert sich die chemische Forschung auf energie- und CO2-einsparende OLED-Systeme, die nicht blenden und weniger harte Schatten verursachen. Derzeit werden innovative Materialien für den Einsatz in Bildschirmen (Fernseher und mobilen Anzeigegeräte), elektronischen Verkehrszeichen und Beleuchtungssystemen entwickelt. Weitere vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie gibt es in der Baubranche. Schon heute können Bauwerke wie der 828 m hohe Wolkenkratzer Burdsch Chalifa in Dubai, aber auch viele andere Projekte, nur mit Hochleistungs-Betonzusatzmitteln verwirklicht werden. Die Nanotechnologie kann die Eigenschaften von Beton weiter verbessern. Zum Beispiel hat die BASF ein neues Produkt entwickelt und auf den Markt gebracht, in dem Nanokristalle verwendet werden, um die Aushärtung des Betons zu beschleunigen. So werden der Energieverbrauch beim Bauen und damit die CO2-Emissionen deutlich verringert. Die Reduzierung des Energieverbrauchs ist nicht der einzige Vorteil von Innovationen in der Chemie. Wie die obigen Beispiele schon gezeigt haben: Auch die Umwandlung von Energie wird mit neuen Produkten aus der Chemie verbessert. Ob Silicium oder Ätzpasten für Wafer, ob Elektrolyte, die in Farbstoffsolarzellen genutzt werden, oder neue Dünnschicht-Solarmodule: Die Chemie hilft, die Energie der Sonne besser zu nutzen. Die breite Nutzung von Solarenergie kann aber nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn die Kosten für die Umwandlung nichtelektrischer Energie in elektrische Energie ähnlich sind wie die Kosten bei anderen erneuerbaren und herkömmlichen Energiequellen. Eine große Herausforderung liegt darin, durch Verwendung preiswerterer Materialien die Gesamtkosten weiter zu verringern. Chemieunternehmen untersuchen zusammen mit ihren Innovationspartnern organische Photovoltaiksysteme, die bei geringen Materialkosten eine gute Stromausbeute liefern, und das auch bei schlechteren Lichtverhältnissen. Von der Energieumwandlung zur Energiespeicherung – auch hier werden Innovationen der Chemie auch in Zukunft Wegbereiter sein. Die Elektromobilität ist ein Beispiel. Die Fahrzeuge auf den Straßen von morgen werden mehr und mehr mit Elektrizität angetrieben und dadurch wesentlich dazu beitragen, die Emission von Treibhausgasen zu verringern. Dazu muss die derzeit angewendete Technologie zur Stromspeicherung jedoch noch erheblich verbessert werden. Ein ehrgeiziges Ziel wäre die Herstellung einer Batterie mit einem Gewicht von weniger als 200 Kilogramm und einer Reichweite von mindestens 400 Kilometern. Hier ist die Chemie einer der wichtigsten “Innovationsmotoren”: Wir liefern Schlüsselkomponenten wie Elektrodenmaterialien, Separatoren oder Elektrolyte für die Stromspeichertechnologien der Zukunft. Um die großen Herausforderungen auf dem Weg zu einer erfolgreichen, wettbewerbsfähigen Elektromobilität zu bewältigen, müssen alle Interessenvertreter in der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten. Nationale Regierungen unterstützen diesen Prozess, um im internationalen Wettbewerb eine Spitzenposition zu erlangen. Um das Ziel von einer Million Elektrofahrzeugen auf Deutschlands Straßen bis 2020 zu erreichen, richtete die deutsche Regierung die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) ein. In der NPE entwickeln mehr als 80 Unternehmen und Forschungsinstitute gemeinsam die erforderlichen Konzepte. Die Beispiele zeigen: Die Herausforderungen werden komplexer. Schon heute ist ein Umdenken zu beobachten: Erfolg wird nicht mehr lediglich durch neue Moleküle bestimmt. Benötigt werden neue Systemlösungen, neue funktionale Materialien in Kombination mit dem notwendigen Anwendungs-Know-how. Nur in internationaler interdisziplinärer Zusammenarbeit können solche komplexen Aufgaben effizient angegangen und in neue, innovative Produkte überführt werden. In Zukunft werden Forscher aus der Chemie noch enger mit Spezialisten aus anderen Disziplinen zusammenarbeiten, so zum Beispiel mit Ingenieuren, Biologen und Physikern. Weltumspannende Wissensnetze werden die Regel sein. Auch die BASF-Forschung nutzt immer stärker die Vorteile internationaler Kooperationen. Ihre F&E-Plattformen sind in ein weltweites Netz von etwa 1900 Kooperationen mit Kunden, Universitäten, Forschungsinstituten, High-Tech-Gemeinschaftsunternehmen und Partnern aus der Industrie eingebunden. Viele andere international tätige Unternehmen verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Eines ist klar: Die Chemie kann die bahnbrechenden Innovationen hervorbringen, die notwendig sind, um die Probleme von morgen anzugehen. Um erfolgreich zu sein, müssen unsere Innovationen jedoch in der Bevölkerung akzeptiert werden. Uns ist bewusst, dass wir die Verantwortung dafür tragen, neue Technologien und Produkte objektiv zu bewerten und sowohl Nutzen als auch Risiken transparent in einer verständlichen Sprache darzustellen. Die BASF und andere Chemieunternehmen bringen nur solche Produkte auf den Markt, die als sicher für Mensch und Umwelt befunden worden sind. Wir stellen die Ergebnisse unserer Sicherheitsforschung anderen Wissenschaftlern zur Verfügung, veröffentlichen sie auf unseren Internetseiten und erörtern sie mit kritischen Meinungsmachern. Der Dialog sowohl mit der Öffentlichkeit als auch mit der Politik ist immens wichtig, wenn Debatten von wissenschaftlichen Fakten und nicht von Emotionen oder Ideologien bestimmt werden sollen. Wenn der Nutzen technischen Fortschritts nicht leicht erkennbar und verständlich ist, konzentriert sich die Diskussion häufig stärker auf die Risiken als auf die Chancen. Um neue Technologien und Produkte erfolgreich in den Markt einführen zu können, benötigen wir die Zustimmung der potenziellen Nutzer. Nur eine “Kultur der Innovation” kann das Potenzial, das in neuen Technologien steckt, freisetzen. Das ist die Basis, auf der wir gemeinsam Antworten auf die großen Fragen des 21. Jahrhunderts finden können.
Referência(s)