Selbstorganisation in der romantischen Ästhetik und Theorie des Staates: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Friedrich Schlegel und Adam Müller
2008; Johns Hopkins University Press; Volume: 123; Issue: 3 Linguagem: Alemão
10.1353/mln.0.0027
ISSN1080-6598
Autores ResumoSelbstorganisation in der romantischen Ästhetik und Theorie des Staates: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Friedrich Schlegel und Adam Müller Detlef Kremer (bio) I. Feudalistische Reaktion oder Perspektiven der Moderne? Wenn es zutrifft, dass die Jahrzehnte vor und nach 1800 als „Sattelzeit“ (Reinhart Koselleck) der modernen Gesellschaft anzusehen sind, dann ist es naheliegend, die Romantik in die Vorhut der Moderne einzuordnen. Wenn es des Weiteren zutrifft, dass in der genannten Zeitspanne eine altständische, schichtenhierarchisch differenzierte Gesellschaft durch einen modernen, funktionsspezifischen Typ abgelöst wird und damit eine Selbstorganisation in funktionalen Teilsystemen einhergeht, dann muss eine solche fundamentale Veränderung die Romantik, die sich selbst als zeitgenössische Avantgarde begriffen hat, im Kern betroffen haben. Dem widerspricht jedoch eine breite Tradition kritischer Einschätzungen der Romantik: Einerseits ist sie früh schon mit dem Vorwurf konfrontiert worden, nicht mehr als ein rückwärtsgewandter, reaktionärer Kult des Mittelalters und des Feudalismus zu sein; ergänzend wurde sie später als irrationalistische „Zerstörung der Vernunft“ (Georg Lukács) und ihre organologische Vorstellung von Gemeinschaft als präfaschistischer „Immanentismus“ (Jean-Luc Nancy) verworfen. [End Page 551] Diese von der politischen Linken vorgebrachte Kritik wird merk-würdigerweise von ganz rechts ergänzt, so, wenn Carl Schmitt zu Beginn der Weimarer Republik, in seiner Schrift Politische Romantik (1919), ausgehend von Friedrich Schlegel und Adam Müller, die Romantiker in Bausch und Bogen als einen Haufen charakterloser ‚Occasionalisten’ diffamiert, deren gesamte politische Theorie nichts anderes als ein subjektivistischer Voluntarismus sei. Bezogen auf den eingangs skizzierten epochalen Schub der Modernisierung erscheint die Romantik in dieser kritischen Allianz von links und rechts als Rückfall in vormoderne Denkweisen und als historisch immer schon überholter Versuch gesellschaftlicher Entdifferenzierung. Dem widerspricht ganz offenkundig das avancierte, hochkomplexe Erscheinungsbild der romantischen Literatur wie ihre zeitgenössische Theoriebildung. Die hieraus resultierende Widersprüchlichkeit lässt eigentlich nur zwei Lösungsmöglichkeiten zu: Entweder kann nur eine Seite Recht haben oder die Widersprüchlichkeit ist ein genuines Merkmal der Romantik selbst. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts konzentrierte sich die Kritik an der Romantik vornehmlich auf den Vorwurf eines rückwärtsgewandten, das christliche Mittelalter verherrlichenden Katholizismus. Hier hat sich besonders der Heidelberger Altphilologe Johann Heinrich Voß profiliert, der zum Wortführer in einem Streit mit Brentano, Arnim, Creuzer und anderen avancierte und das Romantische in etlichen Streitschriften mit katholischer Reaktion gleichsetzte. Zwar—und das sei keineswegs verschwiegen—hat die Hinwendung einiger Romantiker zum Katholizismus ebenso wie ein altdeutsch grundiertes nationales Pathos während der napoleonischen Eroberungskriege dieser Sicht der Romantik einige Argumente geliefert, insgesamt aber beruht sie auf einem sehr einseitigen Bild. Etwas differenzierter—vor allem im Hinblick auf die literarische Qualität der Spätromantik—, insgesamt aber ähnlich kritisch verfährt Heine, wenn er in seiner Romantischen Schule (1835) die Romantik im Umkreis und in der Nachfolge Friedrich Schlegels in Bausch und Bogen als „Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters“1 und als Handlanger der katholischen und aristokratischen Reaktion verwirft. Die spätere Kritik der Romantik hat sich zumeist mit einer theoretischen Strategie abgesichert, die auf einer Trennung in progressive Früh- und restaurative Spätromantik basiert. Sie kann zurückgreifen auf Linkshegelianer wie Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer [End Page 552] und die liberaldemokratischen Literarhistoriker Gottfried Gervinus und Hermann Hettner. Der bereits im neunzehnten Jahrhundert erhobene Vorwurf des Irrationalismus wird nach dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland um eine präfaschistische Tendenz der Romantik erweitert. Die Rehabilitation der Romantik als Forschungsgegenstand gelang, indem der in Lukács’ Rede von der „Zerstörung der Vernunft“2 unterstellte Gegensatz von Aufklärung und Romantik in der Weise aufgelöst wurde, dass das rationale Reflexionspotential der Frühromantik betont und als aufklärerische Tradition politisch anschlussfähig gemacht wurde. Der Preis für die Rettung einer ‚fortschrittlichen’ Frühromantik war allerdings zunächst das ‚Bauernopfer’ der als irrationalistisch und restaurativ abgewerteten Spätromantik. Mit der Aufgabe einer einheitlichen Perspektive auf die Romantik und der starken Akzentuierung der philosophischen Orientierung der Frühromantik war jedoch ein hoher Preis gezahlt worden. Grund-legend waren hier die Schriften Ernst Behlers, die fast ausnahmslos Friedrich Schlegel betreffen und den Nachweis seines Zusammenhangs mit philosophischen Traditionen der Aufklärung und der Philosophie des Deutschen Idealismus zum Ziel haben...
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