Artigo Acesso aberto Revisado por pares

Gekommen, um zu bleiben – der Amtsinhaberbonus bei kantonalen Exekutivwahlen

2014; Wiley; Volume: 20; Issue: 3 Linguagem: Alemão

10.1111/spsr.12109

ISSN

1662-6370

Autores

Thomas Milic,

Tópico(s)

Judicial and Constitutional Studies

Resumo

Schon vor über zwanzig Jahren hielten Andrew Gelman und Gary King in ihrer bahnbrechenden Studie zum Amtsinhaberbonus (engl. incumbency bonus) bei Kongresswahlen fest, dass es sich dabei um den am häufigsten untersuchten Gegenstand der amerikanischen Parlamentsforschung handle.1 Der Vorteil von Amtsinhabern gegenüber neu Kandidierenden wurde in der Folge auch für Wahlen ausserhalb der USA untersucht (z.B. Samuels 2004, Hainmueller und Kern 2008). Überraschenderweise blieben Schweizer Wahlen davon bisher ausgenommen. Erstaunlich ist dies deshalb, weil die Schweiz mit ihren mehrköpfigen Exekutivgremien und den 26 Kantonen ein fast schon ideales Forschungsfeld für die Messung des Amtsinhabervorteils und den institutionellen Faktoren, die sie befeuern, darstellt. Dies aus zwei Gründen: Die kantonalen Exekutivwahlen sind primär Personenwahlen, in welchen parteiferne Attribute der Kandidierenden (und dazu gehört nicht zuletzt der Amtsinhaberstatus) eine bedeutendere Rolle spielen als in Legislativwahlen. Zweitens, alle 26 kantonalen Regierungen der Schweiz sind Kollegialgremien. Bei den Gesamterneuerungswahlen treten deshalb nicht selten mehrere Kandidierende derselben Partei mit unterschiedlicher Magistratserfahrung an, was die Schätzung des Amtsinhabervorteils im Vergleich zu den amerikanischen Kongresswahlen, bei welchen in der Regel bloss ein Kandidat pro Partei antritt, erheblich erleichtert (vgl. hierzu King und Gelman 1991). Kurz, der „Sonderfall“ Schweiz mit seinen weltweit einzigartigen kantonalen Exekutivgremien stellt eine einmalige Gelegenheit dar, dem Amtsinhaberbonus – der notabene weder für die Mitglieder der eidgenössischen Räte noch für kantonale Exekutiven je errechnet wurde – auf den Grund zu gehen. Dabei wird wie folgt vorgegangen: Zunächst wird ein Überblick über den Forschungsstand geboten (Abschnitt 2). Zwei Fragen werden in diesem Abschnitt behandelt: wie wird der Amtsinhaberbonus bei amerikanischen2 Wahlen erhoben und wie hoch fällt er aus? Der folgende, dritte Abschnitt ist den theoretischen Grundlagen des Amtsinhabervorteils gewidmet und soll die Frage beantworten, weshalb Amtsinhaber einen systematischen Vorsprung gegenüber ihren Herausforderern haben. Die aus der amerikanischen Literatur bekannten Ursachen des Bisherigenbonus' (Abschnitt 3.1) werden sodann in einem eigenen Abschnitt (3.2) auf den „Sonderfall“ Schweiz übertragen. Nach einer Übersicht über die Datengrundlage (Abschnitt 4) folgt der empirische Teil, in welchem drei unterschiedliche Messvarianten zur Erhebung des Amtsinhabervorteils überprüft werden (Abschnitt 5). Die Diskussion der Resultate bildet das Schlusswort (Abschnitt 6). Wie gesagt, war kaum ein anderes Phänomen der amerikanischen Wahlforschung derart häufig Gegenstand von empirischen Untersuchungen wie der Amtsinhaberbonus. Dabei interessierte nicht nur, wie gross der Vorteil wieder kandierender Amtsinhaber im Vergleich zu erstmalig Kandidierenden ist (Erikson 1971, Mayhew 1974, Gelman and King 1990, Carson, Engstrom und Roberts 2007), sondern auch die Entwicklung über die Zeit hinweg (Gelman and King 1990), die Gründe für die Bedeutungszunahme des Amtsinhabervorteils (Cover 1977, Cox and Morgenstern 1993, Ansolabehere, Snyder, und Stewart 2000, Cox und Katz 1996, 2002), die Folgen davon und Faktoren, welche diesen Vorteil verstärken bzw. abschwächen (Jacobson 1987, Levitt und Wolfram 1997). Besonders umfangreich ist die Literatur zum Amtsinhaberbonus bei Kongresswahlen (vgl. oben angeführte Literatur). Aber auch der Vorteil (bzw. Nachteil) des Amtsinhabers bei Präsidentschafts- (z.B. Weisberg 2002, Campbell 2000, 2012, Mayhew 2008) oder Gouverneurswahlen (z.B. Folke und Snyder 2012) wurde schon verschiedentlich unter die Lupe genommen. Selbst auf lokaler Ebene konnten Amtsinhabereffekte nachgewiesen werden (Krebs 1998). Die Ausgangslage ist bei Legislativ- und Exekutivwahlen in den USA zwar nicht fundamental anders, aber auch nicht gleich.3 Für die vorliegende Untersuchung ist dies vorderhand von geringer Bedeutung, denn kantonale Exekutivwahlen unterscheiden sich sowohl von den Präsidentschafts- wie auch von den Kongresswahlen in den USA, haben aber gleichzeitig auch Gemeinsamkeiten mit beiden Wahlen. Der Amtsinhabervorteil ist keine feste, statistische Kennzahl. Aus diesem Grund muss zunächst die Frage beantwortet werden, wie dieser auf theoretischer Ebene definiert und auf empirischer Ebene gemessen wird. Er wird im Allgemeinen definiert als die zusätzlichen Wählerstimmen, die ein Kandidat alleine deshalb erhält, weil er der Amtsinhaber ist. So heisst es zum Beispiel bei Petrocik und Desposato (2004: 363) diesbezüglich: „ … the vote share bonus provided by virtue of being an incumbent.“ Diese (Nominal-)Definition ist unumstritten. Die operationale Definition wird hingegen weitaus kontroverser diskutiert und bereitet auch bedeutend mehr Kopfzerbrechen als die Nominaldefinition. Eine ganz simple Art, den Amtsinhaberbonus zu ermitteln, besteht darin, die Wiederwahlrate zu errechnen und sie gegebenenfalls mit den Wahlchancen von Neukandidierenden zu vergleichen (z.B. Abramowitz et al. 2006). Die Wiederwahlrate in ihrer simplen, „nackten“ Form ist allerdings kein sonderlich gutes Mass für den Vorteil von Amtsinhabern, weil sie beispielsweise Charakteristiken der Wahldistrikte nicht berücksichtigt. Gelman und Huang (2008) argumentieren in diesem Sinne, wenn sie sagen, dass der Status eines republikanischen Kandidierenden in einem sehr konservativen US-Wahlkreis irrelevant sei für seine Wiederwahlchancen, weil er dort ohnehin gewählt würde, unabhängig davon, ob er Magistratserfahrung hat oder nicht.4 Deshalb hat man andere Wege zur Messung des Amtsinhabervorteils gesucht. Frühe Untersuchungen unterschieden im Wesentlichen zwei Messalternativen: den „sophomore surge“ und den „retirement slump“ (Erikson 1972, Alford and Brady 1993). Ersterer ist die zusätzliche Zahl an Stimmen („surge“), welche ein Amtsträger bei seiner ersten Wiederwahl („sophomore5 “) im Vergleich zu seiner Erstwahl erhält. Beim „retirement slump“ handelt es sich um den Anteil Stimmen, welche eine Partei einbüsst („slump“), deren Bisheriger nicht mehr zur betreffenden Wahl antritt („retirement“). Mancherorts wurde der Durchschnitt beider Werte gebildet, der „slurge“, um den Amtsinhaberbonus im Generellen zu beziffern (z.B. Alford and Brady 1993). Gelman and King (1990) zeigten die Grenzen dieses Messverfahrens auf und schlugen eine alternative Messmethode vor, welche – abgesehen von eher geringfügigen Retuschen (zum Beispiel Ansolabehere and 2002) – bis heute in Anwendung ist (etwa Cox und Katz 2002, Levitt and Wolfram 1997, Gelman and Huang 2008). Sie berechneten den Amtsinhaberbonus aus der Differenz zwischen dem Resultat, welches eine Partei bei Wahlen mit einem Amtsinhaber erzielt, und demjenigen Resultat, welches dieselbe Partei in einem „offenen“ Rennen macht. Beide Werte können bei amerikanischen Kongresswahlen (seit 1967)6 nicht zum selben Zeitpunkt erhoben werden, da entweder das eine oder das andere zutrifft, aber nicht beides zugleich.7 Dies liegt am Wahlsystem, in welchem pro Wahldistrikt (in den allermeisten Fällen) nur ein Sitz verteilt wird. Der Amtsinhaberbonus wird deshalb mittels einer Regression ermittelt, in welcher der Stimmenanteil des demokratischen Kandidaten in einem Wahldistrikt auf das Ergebnis der letzten Wahlen, den Status (Amtsinhaber oder erstmalig Kandidierender) und den Sieger der aktuellen Wahl regrediert wird. Neben dem sophomore surge, dem retirement slump und dem soeben vorgestellten regressionsbasierten Indikator gibt es zwar noch weitere Messvarianten (für einen Überblick siehe: Gelman and King 1990: 1149f.), aber sie haben nie dieselbe Verwendung gefunden wie die oben erwähnten. Obwohl sich die Messverfahren unterscheiden und unterschiedliche Untersuchungszeiträume abdecken, fallen die ermittelten Werte für den jeweils aktuellen Amtsinhaberbonus ähnlich aus. Bei Kongresswahlen betragen sie zwischen 7 (Alford and Brady 1993), 8 (Gelman and Huang 2008) und 8.5 Prozentpunkte (Gelman and King 1990, Cox and Katz 1996, 2002: 4868). Petrocik and Desposato (2004), die Individualdaten verwenden und somit einen anderen Zugang wählen, weisen für die Jahre 1980 bis 2000 einen bedeutend grösseren Vorteil von 14 Prozentpunkten aus und Krebs (1998) ermittelte für Wahlen in den Chicago City Council gar einen Wert von 20 Prozent. Bei den Präsidentschaftswahlen scheint der Amtsinhabervorteil geringer zu sein. Er schwankt in der Literatur zwischen 4 und 8 Prozent (Weisberg 2002, Fair 2002, Samuels 20049 , Mayhew 2008), was wohl damit zu tun hat, dass einige der begünstigenden Faktoren des Amtsinhabervorteils, die wir gleich im Anschluss behandeln werden, bei den hochkompetitiven Präsidentschaftswahlen weniger zum Tragen kommen (vgl. Weisberg 2002). Einen Vorteil von Amtsinhabern statistisch nachzuweisen ist das eine, diesen Vorteil zu erklären, das andere. Welches sind nun die Gründe dafür, dass der Stimmenanteil, den ein Amtsinhaber erzielt, in der Regel höher ist als wenn er dieses Amt nicht hätte? Für gewöhnlich werden drei generelle Komponenten, aus denen sich der Amtsinhabervorteil zusammensetzt, unterschieden (Levitt and Wolfram 1997). Die erste Komponente hat nicht mit dem Amt, das ein Magistrat bekleidet, als solches zu tun, sondern vielmehr damit, wie dieses Amt errungen wurde, d.h. mit den individuellen Qualitäten der Amtsinhaber. Diese sind ganz einfach bessere10 , weil erfahrenere11 Politiker und setzen sich deshalb immer wieder gegen Herausforderer durch, lautet das am häufigsten vorgebrachte Argument (z.B. Erikson 1971, Jacobson und Kernell 1981, Zaller 1998, Campbell 2000). Mit anderen Worten: Individuelle Eigenschaften, die entweder mit dem erstmaligen Erringen oder der Ausübung eines Mandats einhergehen, sind für die hohen Wiederwahlchancen verantwortlich. Am prägnantesten kommt dies in Zallers (1998: 125) famosem „prizefighter“-Argument zum Ausdruck: „The reason that incumbent MCs win reelection at very high rates is the same reason that world heavyweight boxing champions win most of their title defenses: owing to their manner of selection, incumbent champions in both professions are simply better competitors than most of the opponents they face.'' Kurz, die individuellen Eigenschaften, die für die Erstwahl eines Kandidaten entscheidend waren, werden auch seine Wiederwahl begünstigen – und zwar selbst dann, wenn ihm das Amt selbst keinerlei Vorteile verschaffen würde.12 Die zweite Komponente bilden amtsbezogene Vorteile, d.h. Ressourcen, zu welchen nur die Amtsinhaber Zugang haben bzw. welche sie in weit grösserem Ausmass nutzen können als Herausforderer („office holder benefits“). So können Amtsinhaber klassische Klientelpolitik („pork barrel politics“) betreiben, um sich die Unterstützung von Wählergruppen zu sichern und ausserdem haben sie auch erleichterten Zugang zu potenten Kampagnenfinanzierern (Fiorina 1977, Abramowitz 1991). Auch das „Gerrymandering“, d.h. die Möglichkeit, die Grenzen von Wahldistrikten so zu ziehen, dass sich für den Amtsinhaber ein Wahlvorteil ergibt, gehört zu den amtsbezogenen, jedoch weitestgehend auf den amerikanischen Kontext beschränkten Vorteilen (Erikson 1972). Cox and Katz (1996) machten auf eine weitere, dritte Komponente des Amtsinhabervorteils aufmerksam, die weder das Amt noch individuelle Siegerqualitäten, sondern die Konkurrenzsituation bei Wahlen betrifft. Sie argumentieren, dass hochkarätige Herausforderer Amtsinhabern häufig aus dem Weg gehen, um die eigenen Wahlchancen nicht unnötig zu kompromittieren. Dieses von den Autoren als Abschreckungseffekt („scare-off effect“) bezeichnete Phänomen umschreibt den Umstand, dass Kandidaten, welche den Amtsinhabern ein spannendes und knappes Kopf-an-Kopf-Wahlrennen liefern könnten, dies häufig unterlassen, um zu einem späteren Zeitpunkt – dann nämlich, wenn der aktuelle Amtsinhaber etwa aus Gründen der Amtszeitbeschränkung zurücktritt – anzutreten, wo sie deutlich bessere Wahlchancen haben (siehe auch Jacobson 2004). Als Konsequenz davon würde den Amtsinhabern nur selten einmal ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Das schlägt sich folgerichtig in einer höheren Wiederwahlrate nieder. Damit eng verknüpft ist weiter der Umstand, dass amtierende Magistraten, deren Wiederwahlchancen gering sind (etwa weil sie in einem Skandal verwickelt waren), häufig von sich aus auf eine Wiederwahl verzichten („strategic retirement“, Jacobson und Kernell 1983, Cox and Katz 2002, Highton 2011). Wenn aber potentielle Verlierer gar nicht erst antreten, stabilisiert dies logischerweise die Wiederwahlquote derjenigen, die antreten. Paradoxerweise wirkt sich somit selbst eine schlechte Amtsführung positiv auf die Wiederwahlquote aus – zumindest dann, wenn die betroffenen Amtsinhaber dies (klugerweise) einsehen und deshalb auf eine Wiederwahl verzichten. Neben diesen drei weit gefassten Kategorien werden auch kognitionspsychologische Gründe für die erhöhten Wiederwahlchancen von Amtsinhabern angeführt. Der Ausgangspunkt bildet jeweils die Prämisse, wonach sich der Bürger in komplexen Entscheidungssituationen mentaler Abkürzungen bedient. Eine solche Entscheidungshilfe ist beispielsweise die aktuelle Wirtschaftssituation. Diese wird im Sinne einer sehr simplen retrospektiven Beurteilung der Regierungsleistung dem Amtsinhaber attribuiert. Präsentiert sich die Wirtschaftslage rosig, läuft dies auf eine Bestätigungswahl des Amtsinhabers hinaus, während bei schlechter Wirtschaftslage die Chancen des Herausforderers signifikant steigen (vgl. Campbell 2012, Bartels 1996, Zaller 1992, siehe aber auch: Fiorina 1981). Eine weitere Entscheidungshilfe ist die Wiedererkennungsheuristik (Jacobson 2004). Amtsinhaber haben in aller Regel einen Vorteil bei Wahlen mit vielen Kandidierenden und geringer Kampagnenintensität, weil ihr Name eher bekannt ist als diejenigen der Herausforderer („name recognition“). Darüber, wie gross der Effekt der Wiedererkennung eines Politikernamens auf die Wahlchancen ist, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Einige (z.B. Abramowitz 1975, Jacobson 2009) bestreiten jeglichen kausalen Zusammenhang zwischen der Namenswiedererkennung und den Erfolgschancen bei der Wahl. Andere Studien jedoch liefern empirische Belege für die elektoralen Vorteile, welche die Namenswiedererkennung sowohl Kandidaten im Generellen (Bartels 1988), Amtsinhabern im Speziellen (z.B. Mann und Wolfinger 1980, Green und Panagopoulos 2008) sowie Herausforderern mit Prominentenstatus bringen (Squire 1995). Für diesen Effekt werden in der Kognitionspsychologie zumeist zwei Gründe genannt. Erstens, Wähler und Wählerinnen assoziieren mit bekannten Namen eine höhere Durchsetzungsfähigkeit, was die Wahlchancen des betreffenden Kandidierenden in der Folge erhöht (Kam und Zechmeister 2011). Zweitens, Vertrautheit im Generellen, sodann aber auch die Bekanntheit eines Namens im Speziellen lösen, wie Robert Zajonc (1968) nachzuweisen vermochte, positive Gefühle aus („mere-exposure-effect“). Der Wiedererkennungseffekt ist dabei umso stärker, je weniger Informationen über die Kandidierenden vorhanden sind. Im Prinzip verhält es sich wie mit der Status-Quo-Heuristik (Samuelson und Zeckhauser 1988): in Ermangelung sonstiger Informationen geht man auf Nummer sicher und bleibt beim Bewährten. In der Tat ist die Wiederwahl des Amtsinhabers gleichbedeutend mit dem Status Quo. Weiter steigt die Bedeutung der Status-Quo-Heuristik, je geringer die Zahl weiterer Entscheidungshilfen. Dazu passt, dass für den kontinuierlichen Anstieg der Wiederwahlrate die Erosion der Parteibindungen ins Feld geführt wurde. Fällt die Parteizugehörigkeit als zentraler Orientierungswert weg, dann werden andere Referenzpunkte – etwa der Amtsinhaberstatus eines Kandidaten – wichtiger (Erikson 1972, Ferejohn 1977).13 Zuletzt kommt hinzu, wie Campbell (2012) in Anspielung auf die generelle Natur des Menschen ausführt, dass niemand gerne einen Fehler eingesteht – noch nicht einmal sich selbst gegenüber. Deshalb würden die Wähler (aus falschem Stolz) nötigenfalls den gleichen Fehler nochmals machen, d.h. den aktuellen Amtsinhaber, obwohl er keinesfalls über alle Zweifel erhaben ist, nochmals wählen (vgl. correct voting, Milic 2012). Zusammengefasst können wir demnach sagen, dass ein Amtsinhaber im Prinzip auch elektoralen Schaden nehmen kann aus seiner Amtszeit14 , insgesamt überwiegen aber die begünstigenden Faktoren deutlich, weshalb auch von einem Amtsinhabervorteil gesprochen werden darf. Sich nachteilig auswirkende Aspekte werden in der amerikanischen Literatur kaum genannt. Im Kontext der Deutschen Bundestagswahlen wird bisweilen auch ein gewisser „Abschleifungseffekt“ (Gschwend und Norpoth 2005) angenommen, der erst ab einem bestimmten Zeitpunkt einsetzt und vor allem die Wiederwahlchancen von Regierungskoalitionen reduziert, die schon lange im Amt sind. In der amerikanischen Forschung ist dazu kaum geforscht worden, obwohl es zumindest bei Kongresswahlen keine Amtszeitbeschränkungen gibt. Bei kantonalen Exekutivwahlen in der Schweiz präsentiert sich aber eine andere Ausgangslage als in den USA. Der folgende Abschnitt dient dazu, diese Unterschiede ausfindig zu machen und darauf aufbauend ein alternatives Messverfahren vorzuschlagen. Einer der zentralen Unterschiede zwischen den amerikanischen (Exekutiv- und Legislativ-)Wahlen auf Bundesebene und den kantonalen Exekutivwahlen in der Schweiz ist der Umstand, dass in der Schweiz mehrere Regierungssitze vergeben werden (entweder fünf oder sieben).15 Das kann zur Folge haben, dass eine Partei einen (oder mehrere) Amtsinhaber und einen (oder mehrere) Herausforderer gleichzeitig ins Rennen schickt. Für kantonale Exekutivwahlen ist das, was im Kontext von amerikanischen Legislativwahlen zuweilen als Wunschdenken expliziert wird, nämlich eine simultane Erhebung beider Werte – dem Resultat des Amtsinhabers und eines Neukandidierenden aus derselben Partei (vgl. Gelman und King 1990) – in der Tat möglich. Ein amerikanischer Traum wird gewissermassen zur Schweizer Realität.16 Doch damit nicht genug: solche Situationen sind nicht bloss theoretisch möglich, sie treten häufig, ja gar regelmässig ein. In den von uns untersuchten 71 Wahlen zwischen 2000 und 2012 geschah dies 143 Mal. Allerdings tritt der Fall eines gänzlich offenen Rennens – d.h. sämtliche Regierungssitze müssen neu besetzt werden, da alle Exekutivmitglieder gleichzeitig Abschied nehmen („open seat race“) – so gut wie nie ein.17 Wer erstmalig bei kantonalen Exekutivwahlen in der Schweiz antritt, konkurriert so gut wie immer auch mit wahlerprobten, aktuellen Exekutivmitgliedern um Wählerstimmen. Dieses Messproblem der fehlenden „offenen Wahlen“ wird aber dadurch entschärft, dass gleichzeitig mit den Regierungswahlen zumeist auch noch Parlamentswahlen stattfinden.18 Uns liegen demnach für die meisten Regierungsratswahlen die Parteistärken vor, die in der Regel aufgrund eines unterschiedlichen Wahlverfahrens (Proporz) ermittelt werden und somit weitestgehend unabhängig davon sind, ob die entsprechende Partei auch einen Regierungs- oder Staatsrat im jeweiligen Kanton stellt. Indes, nicht nur die Grundlagen zur Messung des Amtsinhaberbonus unterscheiden sich von Kongress- und Präsidentschaftswahlen, auch die Komponenten, welche den Amtsinhaberbonus ausmachen, setzen sich in der Schweiz mit einer anderen Gewichtung zusammen als in den USA. Demzufolge präsentieren wir nachfolgend die möglichen Ursachen für den Amtsinhaberbonus in der Schweiz. Was die erste Komponente, die individuellen Qualitäten der Amtsinhaber, betrifft, so haben wir keinen Grund, anzunehmen, dass sich Schweizer Magistraten grundlegend von amerikanischen unterscheiden. Es stimmt zwar, dass in den bevölkerungsarmen Kantonen ab und an „Quasi-stille“ Wahlen stattfinden, bei welchen nur so viele ernsthafte Bewerber antreten, wie Sitze zu verteilen sind. Bei solchen Wahlen müssen die Kandidaten keine Siegerqualitäten unter Beweis stellen, weil keine Herausforderer antreten. Indes, faktisch konkurrenzlose Wahlen gibt es auch im Kontext der Kongresswahlen in den USA (siehe dazu die These von Stonecash (2008)). Zu den amtsbezogenen Vorteilen: Alle Kantone bilden bei den Exekutivwahlen Einheitswahlkreise19 , die nur in sehr seltenen Fällen (z.B. Neugründung eines Kantons) neu konstituiert werden. Das „Gerrymandering“ als Quelle des Amtsinhabervorteils kann für die Schweiz demnach von vornherein ausgeschlossen werden. Hingegen ist die Nutzung von Ressourcen, die Amtsinhabern entweder exklusiv oder zumindest in stärkerem Ausmass zur Verfügung stehen, zum Zwecke der Wählerstimmenmaximierung prinzipiell möglich. Da die kantonalen Exekutiven Kollegialgremien sind, können solche Ressourcen jedoch mitnichten im selben Ausmass genutzt werden wie in den USA. Klassische Klientelpolitik gestaltet sich in den Schweizer Kantonen ebenfalls erheblich schwieriger als in den USA, da die Amtsinhaber keine alleinige politische Gestaltungskompetenz haben, sondern diese mit den anderen Exekutivmitgliedern teilen. Die kantonalen Exekutivmitglieder sind dabei Vorsteher eines der verschiedenen Departemente (Ministerien) und haben auch in diesen Bereichen kein alleiniges Weisungsrecht. Hinzu kommen die starken Mitspracherechte des Volkes, die auf kantonaler Ebene noch stärker ausgeprägt sind als auf nationaler Ebene, und Klientelpolitik naturgemäss erheblich erschweren. Kurz, amtsbezogene Vorteile dürften nach allem, was wir wissen, geringer sein als in den USA. Wie sieht es mit der dritten Dimension des Amtsinhabervorteils, der Konkurrenzsituation bei kantonalen Exekutivwahlen, aus? Der Einschüchterungs- oder Abschreckungseffekt („scare-off effect“) dürfte bei kantonalen Exekutivwahlen in der Schweiz eine geringere Wirkungskraft entfalten, weil sich – im Gegensatz zu den US-Kongresswahlen – kaum je die Gelegenheit einer „open seat“-Wahl ergibt. Hingegen kommt es ab und an vor, dass sich alle amtierenden Regierungsmitglieder einer Wiederwahl stellen.20 Eine solche Konstellation mag nun aussichtsreiche Herausforderer eher davon zurückhalten, zu kandidieren (vgl. ein ganz ähnliches Argument von Hirano und Jr. Snyder 2009). Empirische Hinweise darauf sind durchaus vorhanden.21 Dass „angeschlagene“ Amtsinhaber freiwillig auf eine erneute Kandidatur verzichten, um einen wahrscheinlichen elektoralen Schaden für die Partei zu verhindern, kommt schliesslich auch in der Schweiz vor.22 Manchmal geschieht dies bereits im Vorfeld zu den Gesamterneuerungswahlen, zuweilen entscheiden sich Amtsinhaber aber erst nach einem desaströsen ersten Wahlgang dazu, dem Volks-Verdikt der Abwahl zuvorzukommen und zurückzutreten. Systematische Untersuchungen dazu gibt es keine, aber zumindest existiert so was wie eine anekdotische Evidenz.23 Allerdings ist die Kultur der Konkordanz und des gegenseitigen Einvernehmens sowohl bei den politischen Eliten wie auch bei den Wählern und Wählerinnen in der Schweiz derart stark ausgeprägt, dass man sich im Vorfeld von Wahlen zuweilen auf einen informellen „freiwilligen Proporz“ einigt. Diesen freiwilligen Proporz zeichnet aus, dass er nicht eine rein mathematische Formel ist, sondern implizit von einem Prinzip der „fairen“ Macht-teilung ausgeht, die bis zu einem gewissen Grad unabhängig ist von den exakten Parteistärken und den damit verbundenen Wählerpotenzialen bei Wahlen (Bochsler und Bousbah 2011). Ein gutes Beispiel dafür sind die Gesamterneuerungswahlen 2003 im Kanton Luzern, bei welchen erstmalig nur noch 5 Regierungssitze zur Wahl standen (APS 2003).24 Dabei traten vier bisherige CVP-Kandidaten an, welche nach dem ersten Wahlgang auch die ersten vier Plätze belegten. Da jedoch keiner der Kandidaten ein absolutes Mehr erreichte, war ein zweiter Wahlgang nötig. Für diesen verzichtete die wählerstärkste Partei CVP auf eine ihrer vier Kandidaturen – dies, obwohl sie, wie gesagt, wohl gute Chancen gehabt hätte, alle vier Kandidaturen durchzubringen. Die CVP verzichtete indes aus Gründen eines „freiwilligen Proporzes“, welcher der CVP im neuen, zu wählenden Exekutivgremium offensichtlich „bloss“ drei von fünf Sitzen einräumte.25 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es schwierig abzuschätzen ist, wie sich die hiesige Konkurrenzsituation bei Wahlen auf den Amtsinhabervorteil auswirkt. Anzunehmen ist, dass die stabilisierenden Elemente (freiwilliger Proporz, Konkordanz) den Status Quo und somit die Amtsinhaber stärker als in der amerikanischen Konkurrenzdemokratie begünstigen. Die kognitiven Komponenten des Amtsinhabervorteils schliesslich dürften wegen der höheren Zahl der zu vergebenden Sitze in stärkerem Ausmass auf die Schweiz zutreffen. Vor allem in den Kantonen, in denen ausseramtliche Wahlzettel nicht zugelassen sind, müssen die Wähler nicht bloss einen Namen, sondern fünf oder gar sieben Namen auf den Wahlzettel schreiben – sofern sie ihre Stimmkraft vollständig auszuschöpfen gedenken. Das aber erfordert ein weit höheres Mass an politischer Involvierung als die Wahl zwischen zwei Kandidierenden. Wenig informierte Wähler werden sich deshalb am ehesten an die Namen der Amtsinhaber erinnern, erst recht, wenn der Wahl kein allzu intensiver Wahlkampf vorausgegangen ist. Wir dürfen deshalb davon ausgehen, dass der Bekanntheitsgrad bei der Wahl eines fünf- oder siebenköpfigen Gremiums aller Voraussicht nach eine erheblich bedeutendere Rolle als bei der Wahl eines einzelnen Delegierten spielt. Die institutionelle und politisch-kulturelle Ausgangslage bei kantonalen Exekutivwahlen lässt somit ebenfalls auf einen Amtsinhabervorteil schliessen. Wie gross dieser Vorteil ausfällt, ist apriori allerdings nur schwer abzuschätzen. Auch Vermutungen darüber, ob er grösser oder kleiner ist als der Bonus, den die amerikanischen Magistraten geniessen, stehen ohne empirische Evidenzen und gestützt nur auf theoretische Überlegungen auf tönernen Füssen. Dies deshalb, weil die institutionellen Faktoren bei kantonalen Regierungswahlen im Vergleich zu den dargestellten amerikanischen Wahlen sowohl eine Schub- wie auch Bremswirkung auf den Amtsinhabervorteil haben. Nur eine empirische Auswertung kann hier Klärung bringen. Sie folgt gleich nach der Übersicht der Datengrundlage. Die Datengrundlage bildeten sämtliche Gesamterneuerungswahlen der kantonalen Exekutiven zwischen 2000 und 2012, die nach dem Majorzprinzip durchgeführt wurden.26 Insgesamt wurden demnach 71 Wahlgänge erfasst27 mit insgesamt 736 Kandidaturen.28 Davon waren 160 (22%) Frauen und 576 (78%) Männer. Die Parteizugehörigkeit der Kandidaturen29 verteilt sich wie folgt: 21 Prozent wurden von der FDP, 19 Prozent von der CVP, 17 Prozent von der SP und 15 Prozent von der SVP portiert. Von den vier wählerstärksten Parteien stellte diejenige Partei mit den höchsten nationalen Wähleranteilen, die SVP, das kleinste Kontingent an Exekutivkandidaturen und hatte ausserdem auch die geringsten Wahlchancen. Nur die Hälfte der SVP-Kandidaturen war beim Versuch, einen der kantonalen Regierungssitze zu gewinnen, erfolgreich. Diese Erfolgsquote liegt signifikant unter derjenigen der SP (75%), CVP (76%) und FDP (83%) und nur knapp über derjenigen der Grünen (44%), die aber eine erheblich geringere Stammwählerschaft haben als die SVP. Diese deskriptive Auswertung der Erfolgschancen bei kantonalen Exekutivwahlen belegt die bekannten Schwierigkeiten, welche die SVP in Majorzwahlen hat (Lachat 2006). Parteilose Kandidaturen hatten es ebenfalls schwer. Indes, acht Kandidaten schafften den Einzug in die kantonale Exekutive, ohne die Unterstützung einer Partei zu haben.30 Knapp die Hälfte der Kandidierenden (45%) stellte sich der Wiederwahl, d.h. fast die Hälfte des Kandidatenfelds bestand aus aktuellen Amtsinhabern bzw. Amtsinhaberinnen. 55 Prozent des Kandidatenfelds waren hingegen neu Kandidierende.31 Im Schnitt betrug die Amtsdauer eines erneut kandidierenden Exekutivmitglieds zum Zeitpunkt der Wahl 6,2 Jahre. Mit anderen Worten: der bzw. die durchschnittliche Amtsinhaber(in) war länger als eine Amtsperiode im Amt und stellte sich demnach schon zum dritten Mal einer Wahl. Die Wiederwahlrate wiederum betrug über den ganzen Untersuchungszeitraum betrachtet 93 Prozent – eine Rate, die etwa gleich hoch ist wie diejenige für US-Kongressabgeordnete (Abramowitz, Alexander und Gunning 2006). Unter den bei Wahlen unterlegenen Amtsinhabern ist im Übrigen kein bestimmtes Ministerium prädominant: Sicherheits- bzw. Justiz- und Polizeivorsteher und –vorsteherinnen wurden am häufigsten abgewählt (6), dicht gefolgt von den Direktoren und Direktorinnen des Umwelt- oder Bauministeriums (5) und des Finanz- bzw. Volkswirtschaftsministeriums (5). Des Weiteren scheiterten je drei Bildungs- und Gesundheitsdirektoren an der Wiederwahl. Weil die Nichtwiederwahl eines Amtsinhabers ein seltenes Ereignis ist, sind Aussagen über besonders abwahlgefährdete Ministeriumsposten mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Die Wiederwahlquote hat sich zwischen 2000 und 2012 zudem kaum geändert. Naturgemäss haben die zur Wahl antretenden Amtsinhaber und Amtsinhaberinnen auch eine deutlich bessere Rangierung erzielt als neu Kandidierende. Unter den drei Bestplatzierten einer Wahl finden wir eine überwältigende Mehrheit (92%) an Bisherigen, während bloss 8 Prozent der „Top Three“ neu Kandidierende waren. Die empirische Analyse ist in vier Teile gegliedert. Zuerst legen wir den Grundstein für die Messung, indem wir die Operationalisierung der abhängigen Variablen – den Wahlerfolg – präsentieren. Dies reicht (vorläufig) auch aus, um den „sophomore surge“ und ein Derivat des „retirement slumps“ bei kantonalen Regierungswahlen zu messen. Die Erhebung dieser beiden Werte bildet den zweiten Teil. Sodann stellen wir unser Modell zur Messung des Amtsinhabervorteils vor. Es ist demjenigen von Gelman and King (1990) konzeptionell sehr ähnlich; in gewisser Hinsicht handelt es sich um eine helvetische Adaption dieses regressionsbasierten Indikators. Zuletzt fo

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