Überführung und Idealisierung eines Täters. Eine Auseinandersetzung mit der hybriden Erzählweise in dem Film ‚Das Leben der Anderen‘
2012; Technische Universität Darmstadt; Volume: 17; Issue: 2 Linguagem: Alemão
ISSN
1205-6545
Autores Tópico(s)Linguistic Education and Pedagogy
ResumoEine Orientierung in der heutigen medial vermittelten Realitat ist auf mediale Fiktionskompetenz angewiesen, zumal sich die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion nicht nur in den Medien, sondern auch in der Realitat zunehmend verwischen. Sie scheint unerlasslich, um die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit zu durchschauen. Diese Kompetenz kann durch die Analyse des Films Das Leben der Anderen geschult werden, denn es geht darum, die Vermischung der unterschiedlichen Erzahlweisen und Genres dieses Films, ihre Wahrnehmungslenkung und Wirkung zu erkennen. An understanding of today's media-supplied reality depends on having a competence in media fiction, particularly as the borders between fact and fiction are increasingly blurring, not only in the media, but also in reality. This competence seems necessary to decode the social construction of reality. This competence may be acquired, and sharpened, by the analysis of the film The Lives of Others because it is vital to recognize the intermixture of the different narrative techniques and genres employed in this film, its structuring of perception and its ensuing effects. Schlagworter: Filmanalyse, filmische Fiktionalisierungsstrategien, genrebedingtes Erzahlen, Genremischungen, hybride Erzahlweisen 1. Die Notwendigkeit einer Fiktionskompetenz Unterrichtsmaterialien belegen, dass die Filmanalyse langsam in den schulischen Curricula berucksichtigt wird, wobei die eher appendixartige Placierung dieses Themas in den gymnasialen Deutschbuchern und die Zusatzmaterialien zu einzelnen Filmen immer noch nicht der Bedeutung entsprechen, die einer filmanalytischen Kompetenz heute zukommt. Denn Realitat ist heute weitgehend medial vermittelt, was die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realitat zunehmend schwieriger macht. Ein selbstbestimmter Umgang mit medialen Deutungsmustern, die Vertrautheit mit den Ausdrucksund Aussagemoglichkeiten des Films voraussetzt, ist unverzichtbarer Bestandteil der Medienkompetenz, bei deren Erwerb die fur die Alltagsorientierung unerlassliche Fiktionskompetenz geschult wird. Bildorientierte Medien wie der Film werden zunachst als neutrale Transmitter oder sogar Garanten der Wirklichkeit wahrgenommen, deren Wiedergabe durch die Unmittelbarkeit und Evidenz des fotografischen Bildes verburgt ist (Klant & Spielmann 2008: 22). Auch intensive Mediennutzung verandert diese Haltung nicht. Aufgrund der Abbildfunktion der Bilder wird die filmische Erzahlung mit dem identifiziert, was sie reprasentiert. Demzufolge wird mediale Prasentation nicht als Interpretation, sondern als Information wahrgenommen. Man liefert sich der filmisch suggerierten Annahme einer objektiven Realitat aus, da ihre Zeichen vorgeben, mit der 'wahren Welt' verbunden zu sein. Denn jedes Abbild scheint Verfugung uber die Wirklichkeit zu versprechen. Umso relevanter ist die Vermittlung einer Medienkompetenz, die sich durch dieses abbildbasierte Manover des Films nicht daruber hinwegtauschen lasst, dass seiner Wirklichkeitswiedergabe ein semiotisch komplexes KonRenate Burner-Kotzam (2012), Uberfuhrung und Idealisierung eines Taters. Eine Auseinandersetzung mit der hybriden Erzahlweise in dem Film ‚Das Leben der Anderen‘. Zeitschrift fur Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 17: 2, 19-31. Abrufbar unter http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-17-2/beitrag/Buerner_Kotzam.pdf. zept zugrunde liegt, das nicht nur vorgibt, welche Wirklichkeit angeeignet wird, sondern vor allem auch, wie Wirklichkeit angeeignet wird (Frederking 2006: 215). Es kann also nicht nur darum gehen, Bedeutungen zu verstehen. Auf dieses Anliegen reduziert der unterrichtliche Einsatz den Film oft. Es geht stattdessen darum, die Praxis der Bedeutungsbildung zu durchschauen und damit auch zu erkennen, dass Filme Realitat inszenieren und zwar mit „asthetischen und stilistischen Konventionen des Filmischen“ und mit bestimmten Strategien der Authentifizierung, die nicht abhangig sein mussen von der realen Referenz auserhalb des Films (Wagenknecht 2009: 203). Der Einblick in die Standortgebundenheit und Konstruiertheit von Wahrnehmungen konnte auch die Kompetenz erhohen im Umgang mit den die Alltagsrealitat zunehmend bestimmenden Fiktionalisierungen. Eine solche Fiktionskompetenz erlaubt, die Chancen der Medienkultur zu nutzen, namlich grosere Freiheit fur das Ausprobieren von unterschiedlichen Wirklichkeitserfahrungen und Wirklichkeitsverarbeitungen. Dann konnte man in der Auseinandersetzung mit asthetischen Werken die Mittel zur gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit durchschauen lernen, um auf diese Weise Strategien zum Umgang mit der Offenheit, Veranderbarkeit und Ambivalenz kultureller Deutungsmuster zu erwerben. 2. ‚Das Leben der Anderen‘ – Erzahlund Genremix Der Spielfilm ‚Das Leben der Anderen‘ wurde mit Filmpreisen geradezu uberschuttet, aber auch auserst kontrovers diskutiert. Ausloser dieser Kontroverse scheint der Erzahlund Genremix des Films zu sein, wobei viele Kritiken sich weniger mit der Qualitat dieses Erzahlmix auseinandersetzen, sondern einzelne Erzahlweisen als aussage-dominant betrachten oder sie gegeneinander ausspielen. Die Kritikerkontroverse entzundet sich also weitgehend an der angenommenen Unvereinbarkeit der Erzahlweisen dieses Films. Hinterfragt wird zum einen der Authentizitatsanspruch des Regisseurs, dessen Ausenrequisiteur, der „selbst zwei Jahre in Stasi-Haft war“, Wert darauf legte, „jedes einzelne Gerat original zu besorgen“. Mit dieser Ausstattungsrealistik verbindet sich ein Anspruch auf politisch-historische Genauigkeit, angesichts derer Verdichtungen des filmischen Erzahlens als simplifizierend, daher irrefuhrend empfunden werden, wenn – um nur einige Beispiele zu nennen – unterschiedliche Uberwachungsfunktionen in der Person des Stasi-Hauptmanns Wiesler vereint werden, denn typisch fur die Struktur und die Tatigkeit des MfS war [...], dass diese Aufgabenkonzentration nicht moglich war. Alle im Film beschriebenen Tatigkeiten waren strikt voneinander getrennt, wurden von unterschiedlichen Mitarbeitern wahrgenommen, die voneinander nichts wussten, ja oft nicht einmal uberhaupt wussten, wozu der jeweilige Auftrag uberhaupt diente. Innere Konspiration nannte das die Stasi. Sie diente dazu, dass kein Einzelner zu viel wusste oder bewegen konnte, dass also genau der beschriebene Fall ausgeschlossen war (Bruggemann 2010: 79). Ebenso kritisiert wird die trotz realistischer Technik unrealistische Abhorsituation des nachtlichen simultanen Abhorens und Abtippens. Zudem, so Wolfgang Thierse, glaubt „keiner, der in der DDR gelebt hat, [...] eine Sekunde, dass es moglich gewesen ware, in einem stinknormalen Haus in der DDR oben im Dach eine Abhormaschine unterzubringen, ohne dass es jemand im Haus gemerkt hatte“ (Bruggemann 2010: 83). Diese Zuruckweisung des politisch-kritischen Anspruchs unter Verweis auf die vernachlassigte politische Realitat orientiert sich ausschlieslich an dem Authentizitatsanspruch des Films, ohne „die eigenstandige Form asthetischer Visualisierung“ zu berucksichtigen, in der jede Darstellung „historischer Realitat im Spielfilm“ erscheint (vgl. Vierck 2008: 217). Dies konnen schon die ersten Aufnahmen des Films belegen, die damit auch zeigen, wie unzuverlassig der Abbildcharakter von Bildern ist: der Flurgang entlang der Zellen der zentralen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit sowie das Buro von Hauptmann Gerd Wiesler (Ulrich Muhe) demonstrieren zwar sorgfaltige Ausstattungsrecherche der Mobel und Gerate, sind jedoch aufgrund fehlender Drehgenehmigung Authentizitat vortauschende Filmkulisse, die dennoch nicht zu unterscheiden ist von dem Buro des Oberstleutnants Grubitz (Ulrich Tukur), einem Originalschauplatz im Ministerium fur Staatssicherheit, in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Buro von Erich Mielke, dem damaligen Minister fur Staatssicherheit der DDR. Hinzu kommt schon hier eine den ganzen Film bestimmende Farbasthetik und Lichtfuhrung, die mit dem realistischen Anspruch auf den ersten Blick vereinbar scheint, der fur die meisten Zuschauer der einzige und daher den Filmeindruck bestimmende ist. Dennoch dienen ihre atmospharische und symbolische Verdichtung einer
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