Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heinz Häfner
2016; Hogrefe Verlag; Volume: 64; Issue: 3 Linguagem: Alemão
10.1024/1661-4747/a000280
ISSN1664-2929
Autores Tópico(s)Medical History and Research
ResumoFree AccessProf. Dr. Dr. h.c. mult. Heinz HäfnerKurt MaurerKurt MaurerSearch for more papers by this authorPublished Online:June 08, 2016https://doi.org/10.1024/1661-4747/a000280PDF ToolsAdd to favoritesDownload CitationsTrack Citations ShareShare onFacebookTwitterLinkedInReddit SectionsMoreHerr Professor Häfner1, ich möchte mich gleich vorab für Ihre Bereitschaft bedanken, dass Sie an dem Interview teilnehmen. Ich finde es sehr wichtig, dass Sie aus Ihrer reichen Lebens- und Berufserfahrung berichten, denn ich kenne sonst niemanden, der die Entwicklung der deutschen Psychiatrie seit Ende des 2. Weltkriegs bis heute so aktiv mitgestaltet hat und der sowohl in der Krankenversorgung, bei der Reform der Behandlungsbedingungen psychisch Kranker als auch in der Forschung gleichermaßen involviert war wie Sie. Jetzt meine erste Frage: Wie kam bei Ihnen der Entschluss zu Stande, Medizin zu studieren und sich für die Psychiatrie zu engagieren? Waren Sie da familiär vorbelastet?Herr Maurer, erst mal vielen Dank für das übermäßige Lob, mit dem Sie dieses Gespräch eingeleitet haben. Nun, ich wollte ursprünglich Chemie studieren. Ich komme aus einer Familie, die unternehmerisch tätig war, aber keine Ärzte hervorgebracht hat. Ich habe dann in der Zeit des Nationalsozialismus einiges erlitten, was auf Dauer für mich sehr bedeutsam wurde. Ich wurde als 14-Jähriger von einem Banngericht der Hitlerjugend, weil ich noch nicht straffähig war, zur Degradierung – ich hatte einen kleinen Führerposten – und zur unehrenhaften Ausstoßung aus der HJ verurteilt, was zur Folge hatte, dass ich nicht mehr studieren konnte, aber auch nie eine staatliche Anstellung bekommen hätte. Ich habe anstelle der HJ-Veranstaltungen vielfältige Einsatzarbeiten leisten müssen. Im März 1945, unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner in Bayern, hatte ich einen Einberufungsbefehl zur Waffen-SS nach Garmisch bekommen. Die «Alpenfestung» hatte ich nicht mehr verteidigen wollen. Ich hatte dann die Generaloberin des Krankenhauses vom 3. Orden in München, in dem ich damals als Krankenpfleger tätig war, gebeten, mich fern von der Rekrutierungsbehörde unterzubringen. Ich kam dann in ein Lungenschussverletztenlazarett, das aus der Stadt in die Schwachsinnigen-Assoziations-Anstalt – so hieß das damals – Schönbrunn bei Dachau, verlegt wurde. Die Behinderten, die dort untergebracht waren, sind zum großen Teil in der Euthanasieaktion getötet worden. Ich habe damals, weil es in der Heimat kaum noch Ärzte gab, an der medizinischen Versorgung der Bevölkerung teilgenommen. Da hatte ich unmittelbaren Kontakt zu den Menschen, deren Angehörige ermordet worden waren. Das war die Begegnung, einmal mit einem unsagbaren Leid, und mit einem Verbrechen, das in dieser unmittelbaren Weise erfahren noch mehr unter die Haut ging, als wenn man es nur aus der Ferne erfährt. Danach habe ich mich entschlossen, das Chemiestudium aufzugeben und Medizin zu studieren und anzustreben, Psychiater zu werden. Die Psychiatrie war nach dem Krieg und nach dem Ende des Nationalsozialismus in miserablem Zustand. Sie hatte das Vertrauen in der Bevölkerung verloren. Die Kranken waren nach wie vor langfristig unter unvorstellbaren Bedingungen geschlossen untergebracht. Außerdem gab es eine große Personalnot. Es wollte auch kaum noch jemand Psychiater werden in dieser Zeit. Ich hatte das Bedürfnis, nach dieser materiellen und moralischen Katastrophe, wie etliche meiner Altersgenossen, die den Krieg überlebt hatten, zur Wiedergutmachung beizutragen. Ich habe das Medizinstudium beendet, außerdem Psychologie und Philosophie studiert. Das ist der Hintergrund, weshalb ich Psychiater wurde, obwohl ich das eigentlich ursprünglich nicht vorhatte.Zu Ihrem Psychologie- und Philosophiestudium wollte ich Sie ohnehin befragen. Hatten Sie da bestimmte Schwerpunkte und hatten Sie sich in der Philosophie mit Themen beschäftigt, die für Sie dann als Psychiater von Bedeutung waren?Ich habe zunächst einmal mit dem Psychologiestudium Kenntnisse und Methoden erworben, die man im Medizinstudium nicht mitbekommen hat. Im Philosophiestudium habe ich mich konzentriert auf die philosophische Anthropologie, also die Lehre vom Menschen. Ich habe mit einer Arbeit über die neuere philosophische Anthropologie unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiten von Max Scheeler und Arnold Gehlen promoviert.Nach Ihrer Promotion und dem Abschluss des Philosophiestudiums sind Sie dann nach Tübingen zu Ernst Kretschmer, der ja bekannt ist – auch allen Psychologen – durch seine Konstitutionstheorie. Was haben Sie dort erlebt und was konnten Sie bei Kretschmer lernen?Nach einem Jahr innere Medizin und ein paar Monate Landarztpraxis hab ich mich von meinem Doktorvater in der Medizin, Professor Georg Sterz, der im Grunde Neurologe war, – damals waren Psychiatrie und Neurologie zusammen ein Fach –, beraten lassen, wo ich meine Psychiatrieweiterbildung absolvieren soll. Er sagte mir, in der deutschen Psychiatrie gäbe es eigentlich nur einen, der wirklich herausragend sei, nämlich Ernst Kretschmer in Tübingen. Er hat mich dann an Kretschmer empfohlen. Dann habe ich dort begonnen. Mein Lehrer Sterz hat mir auch gesagt: «Sie sollten besser nicht länger als drei oder vier Jahre in Tübingen bleiben, denn sonst werden Sie mit dieser Konstitutionslehre zunehmend einseitig». Das habe ich dann auch so gemacht. Die Kretschmersche Klinik hat auch Psychotherapieausbildung geleistet und Psychotherapieausbildung vermittelt. Ich habe auch noch Methoden erlernt, die man heute nicht mehr praktiziert, z. B. Hypnosetherapie. Ich habe in einer sehr aktiven Klinik mit einem sehr fähigen Chef – Kretschmer war hochintelligent und vielfältig gebildet – auch in Psychopathologie sehr viel gelernt. Kretschmer hat auch Psychotherapie bei Wahnkrankheiten betrieben. Das war damals eine Pionierleistung. Ich hab auf diese Weise auch Dinge vermittelt bekommen, die man sonst in Deutschland noch nicht zur Verfügung hatte.Nach Ihren Tübinger Jahren sind Sie wieder zurück in Ihre Münchner Heimat und arbeiteten dort unter dem Klinikchef Kolle.Die Zeit bei Kolle war nicht frei von Konflikten. Von ihm habe ich allenfalls gelernt, was man als Träger von Verantwortung für kranke und für gesunde Menschen nicht tun soll und darf. Ich hatte den großen Vorteil, dass ich mich absolut unabhängig von ihm fühlen konnte. Ich habe ihm beispielsweise am Schluss in der Konferenz offen gesagt, dass ich unter seiner Leitung keine Psychiatrie mehr betreiben will, weil die Psychiatrie, die er verlangt, nicht mit meinen Überzeugungen zu vereinen ist und verlangt, neurologische Poliklinik machen zu dürfen. Ich habe dann München verlassen. Das hatte den Hintergrund, dass mich der damalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und deren Vizepräsident in München in ihr Hotel zum Frühstück eingeladen und mir gesagt hatten, sie hätten erfahren, dass ich mit Kolle große Schwierigkeiten hätte. Sie haben mir verfügbare Positionen vorgeschlagen mit der Möglichkeit zur Habilitation. Ich hab drei Chancen gehabt: Bonn, Frankfurt und Heidelberg. Ich habe mir alle angesehen und habe Heidelberg vorgezogen. In erster Linie, weil ich von Baeyer als eine außergewöhnlich korrekte und vor allem sehr gewissenhafte Persönlichkeit kennen gelernt habe. Dann habe ich München verlassen und bin nach Heidelberg gegangen und habe mich dort auch rasch habilitiert.In Heidelberg wurden Sie durch Prof. von Baeyer sehr gefördert und unterstützt und Sie konnten als junger Arzt ja damals schon zusammen mit ihrem Kollegen Kisker an der sozialpsychiatrischen Abteilung mitwirken. Sie hatten damals wohl schon Konzepte im Kopf gehabt, wie so eine Abteilung aussehen könnte, als Alternative zur herkömmlichen psychiatrischen Versorgung. Waren das schon ein bisschen die Ideen für die Errichtung des ZI in Mannheim?Da muss ich noch ein wenig zurückblenden. Ich habe den Plan, Psychiatrie zu betreiben, auch mit zwei generellen Zielen verbunden. Einmal, zu tun, was man überhaupt tun kann, um eine Reform der grauenhaften Versorgung psychisch Kranker in Deutschland anzustoßen. Das zweite Ziel war, ein nationales Forschungsinstitut aufzubauen, das auch Forschungsausbildung gewährt, um für die Psychiatrie eine verbesserte wissenschaftliche Grundlage des ärztlichen Handelns zu schaffen. Das sind Ziele, die wären heute natürlich nicht mehr aktuell. Die absolut anderen Verhältnisse nach dem Kriege machten es möglich, solche Ziele überhaupt zu verfolgen. Nun zur Frage, wieso ich frühzeitig die Reform psychiatrischer Versorgung auch in Angriff nahm. Außer diesem Motiv spielte eine Rolle, dass die Reform der Versorgung psychisch Kranker im anglo-amerikanischen Ausland etwa 15 bis 20 Jahre früher eintrat als in Deutschland und dass außerdem die Weltgesundheitsorganisation diese Reformkonzepte in ihre Empfehlungen aufgenommen hat, so dass ich von außen her einigermaßen klare Vorstellungen vermittelt bekam, wie eine bessere, eine humanere und erfolgreichere Krankenversorgung aussieht.Nach Heidelberg kam ich relativ bald nach der Arbeitsaufnahme des neu berufenen Ordinarius Professor von Baeyer. Der hatte noch in seinen Berufungsverhandlungen erreicht, dass ihm zwei Gartenpavillons gebaut wurden, die er für die Insulin-Schock-Therapie haben wollte. Und ich hab einen dieser Pavillons als Stationsarzt übernommen und habe dann Schritt für Schritt meinen Chef davon überzeugt, dass wir uns von der Insulintherapie trennen müssen. Sie war mit hohem Komplikationsrisiko belastet. Es ist mir gelungen, diese Station in kurzer Zeit in eine sozialpsychiatrische Intensivtherapiestation umzuwandeln. Es ist mir vor allem gelungen, meinen Chef Schritt für Schritt dafür zu gewinnen, sozialpsychiatrische Konzepte zu vertreten. Beispielsweise hat er mir erlaubt, eine Krankenstation der Klinik zu öffnen. Damals waren alle psychiatrischen Stationen noch geschlossen. Er hat mir erlaubt, und mich dann auch unterstützt, kleine gemeindepsychiatrische Einrichtungen zu schaffen, etwa eine Tagesklinik oder eine Nachtklinik – die erste Nachtklinik hat Kisker in Heidelberg anfangs mit zwei Betten geschaffen – und Nachsorgeeinrichtungen und die Beschäftigung von Laientherapeuten, sowie eine Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke. Das war zugleich eine Demonstration von modernen Therapieformen im Kleinen in der Vorbereitung der Reform, aber auch in der Vorbereitung für das Zentralinstitut. Und ich hatte dann, 1961, einen Ruf auf einen Lehrstuhl für medizinische Psychologie von der Universität München bekommen, der in Augsburg ausgelagert war. Diesen Ruf habe ich abgelehnt und dafür in Heidelberg die Stelle eines selbständigen Abteilungsleiters für Sozialpsychiatrie bekommen. Die habe ich 1965 antreten können. Die Einrichtungen, die ich geschaffen hatte, die sozialpsychiatrischen Einrichtungen und dieser Pavillon, wurden zu einer Abteilung für Sozialpsychiatrie und Rehabilitation zusammengefasst und mir unterstellt.Diese Reform sollte ja nicht nur auf Heidelberg beschränkt bleiben, sondern als Folge der Psychiatrie-Enquete, an der Sie ja maßgeblich zusammen mit Professor Kulenkampff mitgewirkt hatten, bundesweit realisiert werden. Sie wurden vor einem Jahr beim DGPPN-Kongress zu einem Vortrag eingeladen, um über die Ergebnisse und Auswirkungen der Psychiatrie-Enquete zu berichten. Können Sie diese Vorgänge von damals noch mal kurz zusammenfassen?Also, die Psychiatrieenquete, sprich die Reform der Versorgung psychisch Kranker in der Bundesrepublik Deutschland, hat eine lange Vorgeschichte. Als ich nach Heidelberg kam, das war 1958, habe ich meinen Freund Caspar Kulenkampff in unmittelbarer Nähe gehabt. Er war damals Oberarzt an der Frankfurter Klinik und er war damals der Einzige, der wie ich in einer wirklich konsequenten Weise das Ziel verfolgte, eine Psychiatriereform anzugehen. Sie haben vorhin meinen Oberarztkollegen Karl-Peter Kisker angesprochen. Er hat im Laufe der Zeit eine sehr konsequente Zielsetzung in Richtung Reform verfolgt und dann selbst nach einem Ruf an die Universität Hannover an Ort und Stelle in einer etwas anderen Weise durchgeführt. Er hat Psychiatrie als Sozialwissenschaft definiert, während wir – ich sag das etwas vereinfacht – die Psychiatrie weiter in der Medizin verankert haben. Ich hab mehr als dies damals noch üblich war, die Grundlagen in der körperlichen Medizin, vor allem in der Neurologie, stark betont. Kulenkampff und ich haben als erste Schritte, eben in unseren eigenen bescheidenen Bereichen, Vorbereitungen für dieses Ziel geschaffen. Wir haben immer wieder versucht, die Öffentlichkeit für unsere Anliegen zu gewinnen, leider lange vergeblich. Die erste, noch bescheidene, aber auf längere Sicht wirksame Initiative war eine Denkschrift, die ich 1965 publiziert habe. Sie enthielt eine Schilderung der grauenhaften Verhältnisse in der deutschen Psychiatrie und die Darstellung von Reformen im Ausland. Der Vorschlag der Untersuchung des Zustands der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland und der Errichtung eines Modellinstituts für sozialpsychiatrische Forschung und Therapie, das dann später das Zentralinstitut wurde, kamen dazu.Einen ersten Kontakt mit der hohen Politik haben wir im Juli 1964 damit erreicht, dass wir – von Baeyer, Kisker und ich – zum Gespräch zu der Bundesgesundheitsministerin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt kamen. Ich hatte ihr ein Aide-Memoire überreicht, das in konzentrierter Form das, was ich in der Denkschrift beschrieben hatte, enthielt. Sie hatte uns ausgesprochen interessiert aufgenommen und uns gesagt: Ich weiß, wir müssen etwas tun. Aber: der Bund war nicht zuständig für die Krankenversorgung. Sie hat mir zwar zugesagt, ein Modellinstitut für moderne psychiatrische Therapie zu finanzieren, aber die Forschung blieb außerhalb. Sie hat uns ans Parlament empfohlen. Dann geschah lange nichts. Im Jahre 1967 erhielten Kuhlenkampff und ich einen Brief des CDU-Abgeordneten Walter Picard, der als Mitglied des Präsidiums des hessischen Landeswohlfahrtsverbandes psychiatrische Krankenhäuser in Hessen visitiert hatte. Er brachte den Eindruck mit, dass hier rasch etwas geschehen müsse. Er besprach mit uns, wie man die Politik überzeugen und etwas bewegen kann. Es war nach wie vor so, und man kann ein paar Gründe dafür nennen, dass die Verleugnung dieser inhumanen Verhältnisse in der Gesellschaft, die längst wieder ein reiches Leben führte, durchgehalten wurde.Wir haben ein paar Jahre mit Picard Kontakt gehabt, bis er 1970 für die CDU-Fraktion, die damals in der Opposition saß, im Bundestag über die Verhältnisse in der Psychiatrie, über die Notwendigkeit, hier eine Untersuchung durchzuführen und eine Reform einzuleiten, vortrug. Seine Rede war mit Kulenkampff und mir abgesprochen. Sie enthielt auch Passagen aus meiner Denkschrift. Es gelang ihm, den Bundestag zu überzeugen. Nach seinem Antrag fanden noch zwei Anhörungen statt.Dann hat der Bundestag, und zwar mit allen Fraktionen, beschlossen, das Bundesgesundheitsministerium zu beauftragen, eine Enquete über den Zustand der psychiatrischen Versorgung in der Bundesrepublik mit Empfehlungen für eine Reform erarbeiten zu lassen. Die Bundesgesundheitsministerin hat die Enquete-Kommission berufen, deren Vorsitzender Professor Kulenkampff wurde. Ich wurde als stellvertretender Vorsitzender gewählt, da ich die Sozialpsychiatrie repräsentiert habe. Ich darf noch mal daran erinnern, dass ich, als ich nach Heidelberg kam, erstmals die Chance hatte, aktiv für diese Ziele zu arbeiten.Ich habe in Heidelberg relativ rasch auch in der Universität Sympathie für meinen Plan der Entwicklung des ZI erhalten. Ich hatte schon berichtet, dass ich die Abteilung für Sozialpsychiatrie geleitet habe, die bereits eine Vorform für das Zentralinstitut war. Von dieser Abteilung aus habe ich große Forschungsvorhaben durchgeführt, die auch natürlich entscheidend für die Unterstützung der Pläne von außen waren. Beispielweise habe ich mit von Baeyer und Kisker die damals bedeutendste Untersuchung über die Folgen der nationalsozialistischen Verfolgung, genauer gesagt, über langfristige psychische Folgen von Konzentrationslagerhaft, durchgeführt. Das war auch ein Anlass, der mir internationale wissenschaftliche Beziehungen eröffnet hatte. Ich wurde beispielsweise von der American Psychopathological Association zu einem Vortrag eingeladen, über die Ergebnisse dieser Studie vorzutragen: zur Diskussion waren die sieben bedeutendsten Psychiater der damaligen Zeit als Discussants eingeladen. Das bedeutete natürlich nicht nur, dass sie sich mit unseren Forschungen beschäftigt haben, sondern dass ich auch persönlichen Kontakt mit ihnen fand. Der Vorsitzende und damalige Präsident dieser Gesellschaft war Professor Redlich, der Dean der Medical School, mit dem und mit seiner Frau wir uns dann auch befreundeten. Er hat beispielsweise bei der Eröffnung des Instituts in Mannheim einen Einführungsvortrag gehalten und vorher eine Patenschaft des Yale's Psychiatric Institute für das ZI übernommen.Der konsequente Aufbau des Instituts gelang in erster Linie dadurch, dass ich von der Stiftung Volkswagenwerk 1965 120 000 DM als Planungsmittel für das Institut bewilligt bekam. Das war eine außergewöhnliche Summe und eine außergewöhnliche Chance. Ich habe, nachdem ich den Heidelberger Oberbürgermeister besucht und ihm mein Vorhaben vorgetragen hatte, eine klare Absage erhalten. Dann habe ich im November 1965 vom damaligen Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, Dr. Reschke, einen persönlichen Brief erhalten mit der Frage, ob wir nicht das Institut in Mannheim aufbauen wollten. Mannheim benötige eine solche psychiatrische Einrichtung. Er stellte mir in Aussicht, in Mannheim ein geeignetes Grundstück zur Verfügung zu stellen und hat seine Baufachleute zur Unterstützung angeboten. Daraufhin haben wir beschlossen, das Institut in Mannheim zu planen. Dr. Reschke hat auch seinen Bürgermeister für Sozialwesen, Dr. Martini, als Vertreter der Stadt vorgeschlagen. Wir haben Dr. Martini in den von mir zusammen mit von Baeyer im Juli 1965 gegründeten Förderverein für das Institut aufgenommen und in den Vorstand gewählt. In der Spätphase der Institutsgründung habe ich gemeinsam mit Dr. Martini den Vorstand gebildet. Dr. Martini hat sich um die administrativen Belange bevorzugt gekümmert. Ich habe mich meinerseits bevorzugt für die fachlichen, politischen und finanziellen Angelegenheiten eingesetzt. Mit den Planungsmitteln wurde mir ermöglicht, Reformbemühungen – ihre Erfolge und Misserfolge – in den USA, in Großbritannien und mehreren anderen europäischen Ländern sorgfältig zu studieren. Ich habe bei meinen ersten Reisen Professor von Baeyer mitgenommen, der dazu bereit war und mir, da er wegen seiner wissenschaftlichen Qualität und seines demokratischen Engagements bereits international hoch angesehen war, einige Türen öffnete. Schließlich haben wir, nachdem auch der Wissenschaftsrat das Vorhaben empfohlen hatte und die Stiftung Volkswagenwerk erkennen ließ, dass sie weiter fördern wolle, zusammen mit dem Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Reschke und dem Architektenteam der Stadt eine gemeinsame Reise in die USA unternommen, um uns die modernen psychiatrischen Einrichtungen, die Krankenversorgung mit Forschung verbunden haben, an der Yale-Universität und in New York demonstrieren zu lassen. Mit den Mannheimer Architekten zusammen haben wir noch ein paar weitere Zentren in den USA besucht, um konkrete Anregungen für den Bau zu erhalten.Sie hatten ja mit der Errichtung des ZI zwei Ziele verfolgt: das eine war eine Verbesserung der Krankenversorgung, das andere war aber auch, eine Forschungsinstitution aufzubauen, um eben die durch Naziherrschaft und Krieg verlorene Stellung der deutschen psychiatrischen Forschung zu verbessern und vielleicht die Forschung wieder an die internationalen Standards heranzuführen. Sie hatten vorhin schon erwähnt, dass Sie eine wichtige Studie nach dem Krieg über die Erlebnisse oder Erfahrungen von KZ-Gefangenen durchgeführt und die Folgen der KZ-Inhaftierung untersucht hatten. Sie hatten auch, bevor das ZI gegründet wurde, weitere interessante Forschungsarbeiten durchgeführt und hatten nun vor, im ZI eine größere Forschungsabteilung aufzubauen. Können Sie da zum einen über die Vorgängerstudien etwas sagen, und über die Pläne, wie Sie dann das ZI zu einer Forschungseinrichtung ausbauten?Das ZI hat einmal das Modell einer modernen psychiatrischen Versorgung einer Großstadt betrieben, das wir zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation aufgebaut haben. Aber zurück zur Forschung: Die zweite große Studie war die Untersuchung aller Gewalttaten psychisch Kranker in einer 10-Jahresperiode in Deutschland. Wir hatten die Möglichkeit, im gesamten Bundesgebiet alle Gewalttaten psychisch Kranker in 10 Jahren zu erfassen, weil wir Zugang zu personenbezogenen Individualdaten hatten, die man heute nie mehr in die Hand bekäme. Das Ergebnis war, dass das Gewalttätigkeitsrisiko psychisch Kranker insgesamt etwa gleich groß wie das der nicht Kranken gleichen Geschlechts und gleichen Alters war. Das hatte enorme Bedeutung als ein Argument gegen die geschlossene Unterbringung aller Kranken.Die dritte große Studie war eine epidemiologische Erhebung, die ich mit Frau Professor Reimann, die inzwischen einen soziologischen Lehrstuhl an der Universität Augsburg hatte, durchgeführt habe. Sie war meine erste wissenschaftliche Assistentin, als ich noch in Heidelberg war, und zwar ging es dort um ökologische und soziale Faktoren, die einen Einfluss auf die Ersterkrankungsrate psychischer Erkrankungen und die Häufigkeit von Suiziden und Suizidversuchen haben. Auch diese Ergebnisse waren hochinteressant und bildeten die Grundlage weiterer Untersuchungen zum Erkrankungsrisiko in unterschiedlichen städtischen Lebenswelten, die heute noch mit interessanten Fortsetzungen und erfolgreich am Institut durchgeführt werden.Auf diesen großen Studien aufbauend und in Partnerschaft mit einigen Arbeitsgruppen aus der Universität Heidelberg und der Mannheimer Fakultät konnte ich den ersten Sonderforschungsbereich ins Leben rufen, der noch drei Jahre vor der Eröffnung des Instituts von der deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligt und gefördert wurde. Der Titel war «Psychiatrische Epidemiologie». Nach erfolgreichem Abschluss dieses Sonderforschungsbereichs ist es mir gelungen, in Zusammenarbeit mit dem inzwischen ans Institut berufenen Kinder- und Jugendpsychiater Professor Martin Schmidt 1986 einen zweiten Sonderforschungsbereich bewilligt zu bekommen, der wiederum 12 Jahre bis zum 31.12.1998 erfolgreich realisiert wurde. Sein Thema war «Indikatoren und Risikomodelle für Entstehung und Verlauf psychischer Störungen». Aus diesem zweiten Sonderforschungsbereich sind zwei große Studien am Institut hervorgegangen, die bis in die Gegenwart erfolgreich weitergeführt wurden: die Mannheimer Kinderstudie unter Leitung von Professor Schmidt und die ABC-Schizophreniestudie unter meiner Leitung.Auf die ABC-Studie – ABC steht hier für «age, begin und course» – kommen wir nachher noch ausführlicher zu sprechen. Ich möchte jetzt nochmals auf diese Anfangszeit zurückkommen, als Sie auch internationale Kontakte pflegten und z. B. bei John Wing am Institute of Psychiatry in London waren, als Sie mit Strömgren in Aarhus gemeinsame Tagungen planten und durchführten und so das Institut relativ schnell in die internationale Forschungsszene einbinden konnten.Zunächst zur Internationalisierung des Instituts. Das hat mehrere Wurzeln. Ich hab schon auf die internationale Aufnahme der KZ-Folgenstudie verwiesen. Eine andere frühe Arbeit internationaler Beziehungen waren meine epidemiologischen Arbeiten, die mich besonders mit Professor John Wing, der damals den Lehrstuhl für Epidemiologie und Sozialpsychiatrie am Institute of Psychiatry in London innehatte, in engen und zunehmend persönlichen Kontakt brachten. Ich bin dann frühzeitig zum Sekretär und später zum Vorsitzenden des Section Committees «Epidemiology and Mental Health» der World Psychiatric Association gewählt worden und habe auf dieser Ebene nicht nur eine Reihe auf diesem Gebiet tätige Kollegen in der ganzen Welt kennen gelernt, sondern auch Zugang zu kleinen Forschungstagungen erhalten, die Wissen und Ergebnisse von der Front der Forschung vermittelten. Ich habe auch versucht, meine Kontakte für die am Institut arbeitenden Wissenschaftler fruchtbar zu machen. Mit Professor John Wing und dem dänischen psychiatrischen Epidemiologen Professor Erik Strömgren aus Arhus habe ich ein europäisches Komitee für Sozialpsychiatrie gegründet, das wir später in ein Section Committee für Epidemiology and Public Health der neu gegründeten European Psychiatric Association umgewandelt haben. Im Rahmen dieses Komitees haben wir Forschungstagungen veranstaltet, die jeweils einer von uns organisierte, in London, in Arhus, in Kopenhagen, in Opatija und in Mannheim. Sie gaben unseren Mannheimer Kollegen, aber auch den wenigen deutschen Wissenschaftlern aus anderen Einrichtungen, die auf diesem Gebiet arbeiteten, die Chance eines lebendigen internationalen Austausches von Fragestellungen, Methoden und Ergebnissen.Wichtig bei Ihren internationalen Kontakten war sicher auch der Kontakt zur WHO. Das Institut wurde ja relativ schnell zu einem WHO Collaborating Centre ernannt. Wie kamen Ihre Kontakte zur WHO zu Stande? Welche Bedeutung hatten diese für das Ansehen des Instituts?Wie sie ursprünglich zu Stande kamen, erinnere ich nicht mehr. Was mir noch bewusst ist: ich wurde von Dr. Maj vom Europabüro der Weltgesundheitsorganisation eingeladen, als Temporary Advisor an mehreren Arbeitsgruppen teilzunehmen, welche die Reform der psychiatrischen Versorgung in verschiedenen Ländern – etwa Polen, Großbritannien und Italien – zum Thema hatten. So habe ich beispielsweise auch die Tagung in Köln geleitet, die sich mit der von Franco Basaglia gegründeten Psychiatria Democrazia Italiana befasste. Mit ihrem Grundsatz, dass psychische Krankheiten verschwinden würden, wenn man psychiatrische Anstalten niederreißen würde, brachte sie die WHO in den Zwang zur Differenzierung. Basaglia hat später auch gegen unsere Pläne zur Errichtung des Zentralinstituts in Mannheim international opponiert.Ich wurde nach mehreren solcher Tagungen, die wir teilweise auch am Zentralinstitut durchgeführt haben, etwa «The Mental Hospital» oder «Psychische Erkrankungen im höheren Lebensalter» oder «Mitwirkung von Angehörigen und ehemaligen Patienten an Planung und Durchführung psychiatrischer Versorgung und Therapie» in das European Advisory Committee for Biomedical Research berufen. Ich nahm über sechs Jahre an Sitzungen teil, die sich vorwiegend mit der Forschung der Weltgesundheitsorganisation in Europa beschäftigten. Eine Folge dieser über Jahre durchgeführten intensiven Zusammenarbeit und der Aufbau eines modellhaften gemeindepsychiatrischen Versorgungsnetzes in Mannheim als Demonstration moderner psychiatrischer Versorgung hat auch die Grundlage dafür gelegt, dass das Institut zum Collaborating Centre for Training and Research der Weltgesundheitsorganisation bestellt wurde. Wir haben von 1975 an in mehreren Fällen internationale Beratung in Sachen Psychiatriereform realisiert und unser gemeindenahes Versorgungssystem hat den Repräsentanten aus mehreren Ländern, etwa dem Gesundheitsminister aus dem damaligen Königreich Afghanistan, oder den Provinzen Bozen und Madrid Anschauungen vermittelt.Können Sie auch über Ihre Mitwirkung am Wissenschaftsrat ein paar Worte sagen?In den deutschen Wissenschaftsrat wurde ich zunächst 1974 als Mitglied des Ausschusses Medizin aufgenommen. Von 1976 bis 1983 gehörte ich als Vollmitglied dem Wissenschaftsrat an, zeitweilig als Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission und damit als Stellvertreter des Vorsitzenden und als Vorsitzender des Ausschusses Medizin. Die Erfahrung, die ich dort mit herausragenden Wissenschaftlern aus zahlreichen Disziplinen gewonnen habe, waren mir außerordentlich wertvoll. Besonders wichtig war der Kontakt mit dem Generalsekretär Dr. Kreyenberg, einem hochintelligenten Verwaltungsfachmann. Seiner Beratung danke ich die Konzeption der politischen und administrativen Struktur des Zentralinstituts, die dann auch der Wissenschaftsrat bestätigte. Auch die Strategie für die Schaffung eines selbständigen – außeruniversitären – Instituts mit enger Bindung an die Universität danke ich ihm und wohl auch den Einstieg des Bundesforschungsministers in die Baufinanzierung. Derzeit wird das Institut nur noch alleine vom Land Baden-Württemberg gefördert, was im Übrigen politisch der schwierigste Schritt unserer Gründungsbemühungen war. Ein selbständiges nationales Forschungsinstitut wie das Zentralinstitut kann nur mit der Grundfinanzierung durch das Sitzland und Unterstützung durch den Bund erhalten werden. Wir konnten seinerzeit neben einem Beitrag von 7,5 Millionen Mark durch die Stiftung Volkswagenwerk zwei Drittel der Bau- und Einrichtungskosten durch den Bund gewinnen, so dass durch das Land Baden-Württemberg nur weniger als ein Viertel der Gesamtbaukosten zu leisten waren.Jetzt möchte ich auf die ABC-Studie zu sprechen kommen. Wenn man bedenkt, dass diese Studie fast über dreißig Jahre gefördert wurde – zuerst im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 258, danach über Einzelförderung – dann fragt man sich: was macht diese Studie so bedeutsam und so außergewöhnlich, dass sie so kontinuierlich gefördert wurde? Jetzt einfach mal beurteilt von der Studienanlage her, von den Studienzielen, die damit verbunden waren und dann natürlich auch von den Ergebnissen her. Welche sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Ergebnisse der ABC-Studie?Lieber Herr Maurer, das ist eine Frage, die Sie selbst am besten beurteilen könnten. An dieser Studie haben Sie wirklich gründlich mitgewirkt. Gut, man müsste vielleicht damit beginnen, warum wir diese Geschichte überhaupt so geplant haben. Wir hatten die Absicht, nachdem der erste Sonderforschungsbereich nach 13 Jahren Förderung erf
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