Mehr Mut zu Kreativität an den Unis!
2016; Wiley; Volume: 46; Issue: 1 Linguagem: Alemão
10.1002/biuz.201690011
ISSN1521-415X
Autores Tópico(s)Science, Research, and Medicine
ResumoLiebe BIUZ-Leserinnen und Leser, auch in diesem Jahr werden viele Absolventen die Universitäten mit einem Abschluss in Biologie verlassen und sich fragen, was sie beruflich machen sollen. Einige werden eine Karriere an der Universität anstreben. Kann man ihnen dazu guten Gewissens raten? Leider komme ich zu dem betrüblichen Schluss, dass man eine wissenschaftliche Laufbahn an der Universität heute nicht mehr empfehlen kann. Die (biologischen) Wissenschaften befinden sich in mehrfacher Hinsicht in der Krise. Besonders dringlich ist die Stellensituation: An den deutschen Universitäten sind nur noch schlecht bezahlte und befristete Stellen zu bekommen, dauerhaft wird sich an diesem Zustand nichts ändern, da die Länder chronisch an Geldmangel leiden [1]. Die Betreuungsrelation Professor zu Student hat sich im Lauf der Jahre auf 1:66 verschlechtert, die zusätzliche Last in der Lehre muss deshalb von den Postdocs mitgetragen werden, die dadurch notwendigerweise weniger zum Forschen kommen. Für viele kommt deshalb eine Tätigkeit im Ausland in Betracht, wobei das Wissenschaftsmekka USA an erster Stelle steht. Aber dort sieht es nicht besser aus als in Deutschland. Schon 2014 warnten prominente amerikanische Wissenschaftler (u. A. Bruce Alberts und Harold Varmus) vor einem Kollaps des Systems, das es durch seine extreme Ausrichtung auf Wettbewerb auch für die besten Köpfe schwierig macht, ihr Bestes zu geben [2]. Das trifft auch für Deutschland zu – nur Veröffentlichungen in den besten Journalen sind gut genug, um Drittmittel erfolgreich einwerben zu können. Ohne “Science” oder “Nature”-Veröffentlichungen ist es schwer, eine Förderung des Europäischen Forschungsrates (ERC-Grant) zu bekommen. “Steigender Publikationsdruck führt in eine Sackgasse – das Risiko tragen häufig die jungen Wissenschaftler.” Die Folgen dieser Orientierung an vermeintlich “messbaren” Qualitätskriterien sind offensichtlich. Es werden laufend Daten produziert, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten, wie Amgen und Bayer feststellen mussten. Wissenschaftler beider Firmen wollten für ihr Forschungsgebiet wichtige und wegweisende Studien reproduzieren, Amgen konnte dies nur in 11 % der Fälle und Bayer etwa in 25% [3]. Steigender Publikationsdruck führt also offensichtlich in die Sackgasse. Dieser Krise nimmt sich aber niemand an. Es wird fröhlich so weiter gemacht wie bisher und junge Leute werden weiter durch dieses System geschleust, ohne eine wirkliche Perspektive zu haben. Auch die großen Pharmafirmen stehen vor einem Umbruch, denn bei vielen sind die Pipelines der Neuentwicklungen leer. Das ist nicht verwunderlich, weil alle Firmen von den gleichen Managertypen geleitet werden, zu deren Kernkompetenzen nicht unbedingt Kreativität zählt. Deshalb wurde schon 2007 von Liam Bernal empfohlen, dass Big Pharma die Kreativität von Hollywood übernehmen sollte [4]. Mut zum Risiko! Das Risiko der Entwicklung neuer Medikamente wurde jedoch stattdessen auf Start Ups verlagert – und damit auf junge Leute, die für wenig Geld und dafür mit umso größerem Enthusiasmus arbeiten. Pharmafirmen kaufen dann die erfolgreichen Firmen auf, der Rest der Start Ups geht pleite und damit sind wieder die jungen Wissenschaftler die Benachteiligten. Diese Entwicklung bereitet mir große Sorgen. Die Probleme in der Biomedizin sind komplex geworden, ihre Erforschung bedarf eines langen Atems und zugleich die Bereitschaft, neue Weg zu gehen. Das bisherige System verhindert beides. Kurzfristige Projekte führen dazu, dass junge Wissenschaftler kein tiefgreifendes Verständnis der Materie mehr erwerben können. Anträge werden von Gutachern und Gremien bewertet, die ängstlich sind, Forschungsgelder für etwas “Unsinniges” auszugeben und so wird nur das gefördert, was schon immer gefördert wurde. Das Resultat dieser Wissenschaftspolitik ist für alle sichtbar: Kein Alzheimermedikament hat klinische Studien überlebt, immer noch stirbt ein Viertel aller Deutschen an Krebs, große Tendenzen zur Verbesserung sind nicht sichtbar. In beiden Forschungsfeldern wurde viel begutachtet und viel Geld ausgegeben. Kann die Wissenschaftswelt wieder so einfallsreich und mutig werden wie die Kreativen in Hollywood? Das wäre wohl eine Mischung aus “Mission Impossible” und “Independence Day”. Viel Spaß beim Lesen dieser BIUZ-Ausgabe wünscht Ihnen Ihr Prof. Udo Schumacher ist Leiter des Instituts für Anatomie und Experimentelle Morphologie am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE) und Kurator von Biologie in unserer Zeit.
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