Physiologie und Kommunikation als Parameter der innerlichen Befindlichkeit. Ein Versuch zu Kafkas “Durchbruch”
1994; Routledge; Volume: 69; Issue: 3 Linguagem: Alemão
10.1080/19306962.1994.11787315
ISSN1930-6962
Autores ResumoClick to increase image sizeClick to decrease image size NotesDie vorliegende Untersuchung kann kaum eine umfassende Darstellung zu diesem Allgemeinplatz der Forschung leisten, ohne dafür den Platz für die detaillierte Illustration ihrer eigenen These aufzugeben. Hier sei lediglich auf die Bemerkung Binders hingewiesen, daß “Kafkas Inspiration offensichtlich durch lebensgeschichtliche Wendepunkte gesteuert wurde: Das Urteil, dessen Niederschrift nach Jahren schaffensmäßiger Stagnation den Durchbruch zum bedeutenden Schriftsteller einleitete, entstand zwei Tage, nachdem Kafka den Brief weggeschickt hatte, der den Jahre währenden Kampf um Felice Bauer, die zweimalige Verlobte, eröffnete, und der Verschollene wurde nur drei Tage später begonnen . “ (1975, 11; vgl. auch Binder 1979, I, 412 ft). Zur beispielhaften Illustration dieser auch gegenwärtig noch maßgeblichen Interpretation sei auf Thomas Anz’ neuere “Chronik der lebensentscheidenden Jahre” hingewiesen. “Die Jahre 1911 und 1912,” so Anz, “sind in Kafkas Leben gekennzeichnet von wichtigen Neuorientierungen, der Zuspitzung und Ausweitung seiner person lichen Konflikte und dem Durchbruch zu einer ihm gemäßen Form von Literatur, die heute seine Bedeutung ausmacht” (85). Die vorlie gende Untersuchung wendet sich diesem Übergang allerdings nicht, wie Binder und Anz, in den Begrifflichkeiten einer “literarischen Autobiographik Kafkas” (Anz 89) zu, weil gerade dies den Zugang zu Kafkas philosophischen Erwägungen, den theoretischen Kon tinuitäten wie der Wende in Kafkas Werk verstellt.Margret Walter-Schneiders führt in ihrer etwas zerfahrenen Analyse zum Problem der Wahrnehmung in Kafkas Werk aus: “Beschreiben, beurteilen, wenn es sein muß, können wir einzig das Auge, das Bewußtsein, welchem wir das Bild der Welt in Kafkas Romanen und Erzählungen verdanken: das Auge, das Bewußtsein der Perspektivfigur” (8). Walter-Schneider reduziert hier jedoch das, was sie als “das Auge” bezeichnet, auf die Perspektive der Erzählung, die darstellt, was die Figuren als fiktive Welt erfahren und erfahren könnten (im Zusammenhang mit der ‘Einsinnigkeit’ des Erzählens, einem Begriff Friedrich Beissners). Auch Binder hat sich 1976 intensiv mit dem Motiv der Augen und des Sehens beschäftigt, jedoch ohne die physiologische Dimension und Kafkas Wissen um die Physiologie zu diskutieren (163–93). Hinter dieser offenbaren Sonderstellung des Gesichtssinnes verbirgt sich aber mehr als nur die Anwendung eines Stilmittels oder ein “persönliches Problem” des Autors, auf das Walter-Schneider Kafkas ambivalente Einstellung gegenüber den Möglichkeiten sinnlicher Wahrnehmung zurückführt : “Seinen Briefen entnehme ich, daß Kafka psychisch so beschaffen war, daß er die Bedingungen objektiver Wahrnehmung zu erfüllen außerstande war. Im Werk schlägt sich demnach eine Lebenserfahrung wider” (13).Im sehr konkreten Zusammenhang, nämlich dem von Arbeit und Entfremdung, diskutiert Uwe Jahnke Kafkas Arbeiten als Jurist und Angestellter der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt in Prag und macht dabei auf die konkreten Erfahrungen Kafkas mit der fortschrei tenden Technologisierung der Lebenswelt aufmerksam. Kafka erkannte die .durch die physischen Bedingtheiten des menschlichen Wahrnehmungsapparates gestörte Inkorporierung der Umwelt als existentielle Problematik im Zeitalter der wachsenden wissenschaftlichen Verfügbarmachung der physischen Welt. Die Auswüchse und Grenzen dieser Verfügbarkeit für das Individuum, so scheint es, the matisiert er in den Wahrnehmungsstörungen und Halluzinationen seiner Protagonisten.Klaus Wagenbachs “Prag, Hauptstadt des Königreichs Böhmen,” im Zusammenhang seiner Fotosammlung Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben, scheint dagegen in diesem Sinne kaum von der Lektüre der Texte Kafkas beeinflußt. Man sieht vergilbte Bilder einer europäischen Hauptstadt des beginnenden 20. Jahrhun derts.Im Zusammenhang seiner Herkunft verweist Kafka auf seine Disposition zur Wahrnehmung dieser Momente : “In uns leben noch immer die dunklen Winkel, geheimnisvollen Gänge, blinden Fenster, schmutzigen Höfe, lärmenden Kneipen und verschlossenen Gasthäuser …. unsere Schritte und Blicke sind unsicher” (Zitiert nach Wagenbach 1964, 18).Arnold Heidsieck beschreibt den Einblick, den Kafka in Brentanos Philosophie erhalten haben soll. Er führt dabei auch deren Bezug auf Descartes duale Theorie an, die einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Geist und physischer Welt annahm, wobei das Wissen um letztere stets unsicher bleiben mußte. Heidsieck untersucht die Arbeiten Brentanos und Martys in diesem Sinne dann zwar gründlich, um Parallelen zu Kafkas Arbeiten aufzuzeigen, doch bleibt auch er schließlich den direkten Nachweis des Einflusses der phänomenologischen Theorie auf Kafka selbst schuldig.Wagenbach bleibt unklar in seiner Beschreibung der physischen Bedingungen und der physiologischen Bedingtheiten der Wahrnehmung der Protagonisten der frühen Erzählungen und deren Wirkung auf den Fortgang der Erzählungen, wenn er anmerkt: “Von dieser nicht ertragbaren Anstrengung, die Dinge der Erde zu sehen, flüchtet Kafka in ihre Beschreibung. … Die Welt wird als Materialhaufen angesehen; die Dinge sind bloße Bausteine einer neuen Welt, die vorerst, wie es in Beschreibung eines Kampfes heißt, eine ‘große, aber noch unfertige Gegend ist’“ (1964, 42). Wagenbach betont hier das Metaphysische der Erfassung der Welt und die Idee ihrer Konstruktion durch den Geist des Protagonisten. Er verzichtet dabei auf die Erarbeitung der Parameter der genauen Erfassung der Gegenstände und ihrer tatsächlichen Zusammenhänge durch eine mühsame Wahrnehmung, wie sie vom frühen Kafka als solcher Weiterverarbeitung vorausgehend angenommen wurd e. Das Fragmentarische der phantastischen Welt der “Belustigungen” entsteht weniger aus solchen metaphysischen Erwägungen, als vielmehr aus den scheiternden Bemühungen des Protagonisten heraus, sich diese Welt aus Bekanntem zusammenzusetzen und unter einer besonderen Anstrengung des physiologischen Apparates zu erhalten.Im übrigen sei hier noch einmal darauf hingewiesen, daß es der vorliegenden Untersuchung keineswegs um seine Lektüre Kafkas im Sinne des Nachweises eines literarisch verbrämten Kommentars zur Philosophiegeschichte geht; damit würde man dem Dichter nicht gerecht. Ein solches Unternehmen, das überaus kritisch gegenüber dem Nachweis solcher Lektürespuren vorgehen müßte, erforderte zudem einen bedeutend größeren Rahmen.Binder spricht weiter davon, daß Kafka von Aspekten der beiden “Gespräche” aus dem Hyperion angewidert gewesen sei. Mit Bezug auf die Briefe an Felice betont Binder, daß Kafka “beim Erscheinen des Büchleins die ‘alte(n) Sachen’ mißfallen, die seiner gegenwärtigen Verfassung nicht mehr entsprächen” (49; vgl. auch 81). Dies kann als weiterer Beleg für die Stichhaltigkeit der vorgestellten Hypothese gelten.Vgl. dazu Steffans, der diese Erscheinung in seinen Überlegungen zu Wahrnehmung und Wirklichkeit in Franz Kafkas Romanen in einer, wie die vorliegende Untersuchung zeigt, eigentlich übertriebenen Eindeutigkeit darstellt. Steffans vernachlässigt die sozialen Folgen der Problematik vieldeutiger sinnlicher Erfahrung. Steffans konstatiert lediglich eine Suche nach “Antworten,” ohne die Funktion dieser Suche selbst als Kommentar zur Komplexität sozialer Beziehungen zu erörtern: “Weil ein eigenbedeutendes Objekt fehlt, erscheinen die Bedeutungen ständig als Ausdruck subjektiver Willkür und damit an sich selbst unerklärlich. Dieses ‘an sich’ geht ihnen aber doch gerade ab. Die objektive Bedeutung der Dinge, die die K. ‘s erwarten, stellen sich immer als eigene Auslegungen heraus, die Antworten, die sie erhoffen, sind nur die Umformulierungen ihrer Fragen, nirgends stoßen sie auf eine von ihnen getrennte Bedeutung” (104).Siehe weiterführend dazu Ulf Abraham, Der verhörte Hel(i, besonders 237-39, wo letzterer die Ergebnisse seiner Untersuchung zu Recht und Schuld im Werk Kafkas zusammenfaßt. Die Konzentration auf die Romane und die Betonung der “Bürokratisierung der Macht,” der “Verhörsverweigerung als einzig möglicher Gegenwehr” (237), und “sozialer Delinquenz” (239) ist zwar wichtig und richtig, doch entgeht Abrahams Untersuchung der Zusammenhang dieses ganzen. Bereiches mit dem Dualismus von Ego und Welt, unter den Kakfa Fragen des Rechts subsummiert.Karl Roßmann ist von der Wirksamkeit der Regeln überzeugt und sieht sie durch den Richter, hier den Kapitän, garantiert. Er wendet sich an den Heizer mit den Worten : “Sie müssen das einfacher erzählen, klarer, der Herr Kapitän kann es nicht würdigen, so wie Sie es ihm erzählen. … Ordnen Sie doch Ihre Beschwerden, sagen Sie die wichtigste zuerst und absteigend die anderen … “ (21).Die Erzählung “Der Kübelreiter” entstand um Jahreswende 1916/1917 (Binder 1975, 201–02).
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