Gerichtete Evolution: Wie man neue Chemie zum Leben erweckt
2017; Wiley; Volume: 130; Issue: 16 Linguagem: Alemão
10.1002/ange.201708408
ISSN1521-3757
Autores Tópico(s)Microbial Natural Products and Biosynthesis
ResumoMaßgeschneidert: Wie lassen sich die Innovations- und Optimierungsmechanismen der Natur für die Lösung von Problemen in der Chemie nutzen? Die Evolution natürlicher Enzyme im Labor kann zur Entdeckung neuer Reaktivitäten führen, die in der Biologie unbekannt sind und auch durch molekulare Katalysatoren nicht realisiert werden können. In diesen Zeiten des harten Wettbewerbs, in denen neue Industrien binnen einer Dekade emporschießen und zugrundegehen, sollten wir einmal innehalten und darüber nachdenken, wie es einem Unternehmen wohl gelingen mag, sein 350. Gründungsjubiläum zu erleben. Eine Grundvoraussetzung für das Überleben am Markt ist die Fähigkeit, sich an veränderte Umgebungen und Geschmäcker anzupassen und neuen Bedarf zu erspüren, vorauszuahnen und schneller zu erfüllen als die Konkurrenz. Dies erfordert ständige Innovation und deren zielgerichtete Umsetzung. Ein Unternehmen, das fortlaufend bedeutende und profitable Lösungen für Probleme der Menschheit anbietet, hat eine Chance, in einer schnelllebigen und hart umkämpften Welt zu überleben, ja sogar aufzublühen. Die Biologie hat einen brillanten Algorithmus, um das Problem des Fortbestands zu lösen: Evolution. Jene, die sich anpassen und fortpflanzen, verdrängen die weniger wendigen und weniger fruchtbaren. Über die vergangenen 30 Jahre – was eine lange Zeit scheint, aber doch nur ein Zehntel der Zeit ist, die Merck KGaA, Darmstadt, Germany existiert – habe ich versucht, die Innovations- und Optimierungsmechanismen der Biologie zur Lösung von Problemen in der Chemie und Verfahrenstechnik anzuwenden. Wie es sich herausstellt, ist die Evolution ein mächtiger vorwärtsgerichter Prozess, dessen breite Akzeptanz im Enzym-Engineering und der synthetischen Biologie durch die Fortschritte in der Molekularbiologie und im Hochdurchsatz-Screening ermöglicht wurde. Die Natur, der beste Chemiker aller Zeiten, löst das schwierige Problem, lebendig zu sein und über Milliarden von Jahren fortzubestehen, unter einer erstaunlichen Bandbreite von Bedingungen. Der Großteil der fabelhaften Chemie, die Leben ermöglicht, ist das Werk der makromolekularen Proteinkatalysatoren der Natur, der Enzyme. Mithilfe von Enzymen kann die Natur der Umgebung Stoffe und Energie entziehen und sie in selbstreplizierende, selbstreparierende, bewegliche, anpassungsfähige und manchmal sogar denkende biochemische Systeme umwandeln. Diese Systeme sind gute Modelle für eine nachhaltige chemische Industrie, die erneuerbare Ressourcen nutzt und einen guten Teil ihrer Produkte wiederverwertet. Und Biologie ist nicht nur ein Modell, um Inspiration daraus zu ziehen: lebende Organismen oder ihre Bestandteile können effiziente Produktionsplattformen sein. Tatsächlich sage ich voraus, dass Mikroorganismen mit programmierbarer DNA viele unserer Chemikalien in der nicht so fernen Zukunft produzieren werden. Dass die meisten Chemikalien durch Syntheseprozesse ausgehend von erdölbasierten Rohstoffen hergestellt werden, veranschaulicht die bemerkenswerte Kreativität von Synthesechemikern in der Entwicklung von Reaktionsschemata und Katalysatoren, die die Natur nie entdeckte. Die Synthesechemie hat uns eine Explosion an Produkten geschenkt, die uns ernähren, kleiden, unterhalten, heilen und es uns wohnlich machen. Aber die Synthesechemie tut sich schwer darin, die Effizienz und Selektivität zu erzielen, die die Biologie mit Enzymen erreicht. In vielen Fällen sind Syntheseprozesse auf Edelmetalle, giftige Reagenzien und Lösungsmittel und extreme Bedingungen angewiesen und erzeugen erhebliche Mengen an unerwünschten Nebenprodukten. Die DNA-programmierbare chemische Synthese mithilfe von Enzymen verspricht, die Synthesechemie zu verbessern, insbesondere wenn wir in der Lage wären, dem katalytischen Repertoire der Biologie einige der synthetisch nützlichsten Reaktionen hinzuzufügen, unter physiologischen Bedingungen und mit reichhaltig verfügbaren Ressourcen. Eine solche saubere, “grüne” Chemie mag nach Zukunftsmusik klingen – aber Enzyme demonstrieren uns doch bereits, wie ein Protein Substrate für eine Reaktion ausrichten kann, Wasser aus einem aktiven Zentrum verdrängt, einen Metall- oder einfachen organischen Kofaktor aktiviert oder Konkurrenzreaktionen unterdrückt, um neue und vortreffliche synthetische Fertigkeiten hervorzubringen. Synthesechemiker ziehen seit Jahrzehnten Inspiration aus der Biologie, und nun ist für Proteiningenieure die Zeit gekommen, Inspiration aus der Synthesechemie zu nutzen, um neue Enzyme herzustellen, die synthetische Katalysatoren und Reaktionswege verbessern und ersetzen werden.1 Unser Verständnis der Zusammenhänge zwischen Sequenz und Funktion hinkt leider unserem Verlangen nach neuen Enzymen ein gutes Stück hinterher. Da wir höchstens ansatzweise in der Lage sind, Proteinsequenzen oder auch nur Änderungen an einer Sequenz vorauszusagen, aus denen dann gänzlich neue, fein abgestimmte katalytische Aktivitäten resultieren, stellt die Erschaffung neuer Enzyme, die bestehende Syntheseprozesse verbessern können, eine ziemliche Herausforderung dar. Auch träumen wir davon, die Grenzen der bekannten Chemie zu überschreiten, um Enzyme zu erschaffen, die Reaktionen katalysieren oder Produkte liefern, die mit keiner bekannten Methode, ob synthetisch oder anderweitig, zugänglich sind. Fordern wir ferner, dass diese neuen Enzyme im Inneren von Zellen entstehen und ihre Funktionen ausführen, wo sie zu niedrigen Kosten hergestellt und in synthetische Stoffwechselwege eingegliedert werden können, um ein breiteres Spektrum an Produkten zu erzeugen, so verschärfen sich die technischen Grenzen und Herausforderungen noch mehr. Die Enzyme der Natur sind Produkte der Evolution, nicht eines Plans. Indem die Evolution Generationen von Mutation und Selektion für Überlebensvorteile durchläuft, ermöglicht sie es Organismen, sich fortlaufend anzupassen und ihr Enzymrepertoire zu optimieren. Neue Enzyme treten sogar in Echtzeit zum Vorschein, als Antwort auf Herausforderungen (z. B. der Anforderung, Antiobiotika oder Pestiziden zu widerstehen) oder Gelegenheiten (z. B. der Chance, durch den Abbau neu eingeführter, menschgemachter Substanzen eine neue Futternische zu besetzen). Ich behaupte, dass der Prozess, der all die bemerkenswerten biologischen Katalysatoren der Natur hervorgebracht hat, zu noch mehr in der Lage sein sollte. Im Labor. Schnell. Fortschritte in der Molekularbiologie über die letzten Jahrzehnte, die Fähigkeit, DNA zu schreiben, auszuschneiden und einzufügen und diese DNA dann in rekombinanten Organismen auszulesen und in Proteine zu übersetzen, haben uns die Fähigkeit gegeben, Enzyme gerade so zu züchten wie wir es mit Schafen oder Sake-Hefe tun können. Wir können im Labor die Evolution von Enzymen dirigieren, indem wir ihnen vorgeben in einer Weise zu agieren, die einem Bakterium nicht nützlich sein mag, uns aber schon. Gerichtete Evolution erzielt diese erwünschten funktionellen Ergebnisse und überlistet dabei unsere tiefe Unkenntnis davon, wie sie in der Sequenz kodiert sind. Gerichtete Evolution imitiert Evolution durch künstliche Selektion, und sie wird in der Laborumgebung beschleunigt, indem man auf individuelle Gene exprimiert in schnell wachsenden Mikroorganismen abzielt. Wir beginnen mit vorhandenen Proteinen (aus der Natur stammend oder gentechnisch hergestellt), führen Mutationen ein und suchen dann nach den Proteinnachkommen mit gesteigerter Aktivität (oder einem anderen erwünschten Merkmal). Wir benutzen die verbesserten Enzyme als Elterngeneration für die nächste Runde von Mutation und Screening, rekombinieren dabei vorteilhafte Mutationen bei Bedarf, und fahren fort bis wir den vorbestimmten Grad an Wirksamkeit erreichen. Bei meinen Arbeiten zur gentechnischen Modifizierung von Enzymen in den 80er und 90er Jahren musste ich die harte Erfahrung machen, dass es keine verlässliche Methode zur Vorhersage aktivitätsverstärkender Mutationen gab. Anstatt dessen wendete ich mich Zufallsmutagenese und Screening zu und stellte rasch fest, dass solche Mutationen mit der richtigen Strategie evolutionärer Optimierung leicht gefunden und kumuliert werden konnten. Meine Studenten und ich beobachteten, dass Proteine, die Produkte der Evolution, selbst leicht evolvierbar sind. Zu den Eigenschaften, auf die wir und andere in den frühen Tagen der gerichteten Evolution (Mitte der 90er Jahre) abzielten, gehörten das Wiederherstellen von Aktivität in unnatürlichen Umgebungen (z. B. in organischen Lösungsmitteln), Verbesserung der Aktivität auf nicht-native Substrate, Erhöhung der Thermostabilität und Änderung der Enantioselektivität. Wir fanden den damals überraschenden Umstand heraus, dass vorteilhafte Mutationen von einem aktiven Zentrum weit entfernt sein konnten und oftmals auf der Proteinoberfläche vorkamen (von der man damals dachte, sie sei unempfindlich gegen Mutationen und funktionell neutral). Bis heute kann niemand zufriedenstellend erklären – und schon gar nicht vorhersagen –, wie solche Mutationen ihre Wirkungen entfalten. Gleichwohl wir nun Aktivität (und viele andere Eigenschaften) verstärken konnten, indem wir über Generationen von Zufallsmutagenese und Screening vorteilhafte Mutationen anreicherten, erschien uns die Evolution einer gänzlich neuen katalytischen Aktivität als ein sehr viel schwierigeres Problem. Im Grunde genommen ist Evolution nicht gut geeignet für Aufgaben, die multiple, simultane, wenig wahrscheinliche Ereignisse erfordern,2 und die aktiven Zentren der Enzyme sind so schön und präzise geformt, dass es kaum vorstellbar war, wie die schrittweise Anreicherung vorteilhafter Mutationen ein neues aktives Zentrum erschaffen könnte. Die Innovationsmechanismen der Natur sind jedoch einfacher als es scheinen mag: Evolution funktioniert dann am besten, wenn sie kein völlig neues aktives Zentrum von Grund auf zu generieren braucht. Stattdessen kann Evolution ein neues Enzym aus einem “nahestehenden” Enzym generieren, mit dem es also Elemente des Mechanismus oder der Enzymmaschinerie gemeinsam hat, aus denen die neue Aktivität erschaffen werden kann. Die Natur nimmt sich alte Maschinerien für neue Aufgaben. Und manchmal ist die Fähigkeit, die neue Aufgabe auszuführen, schon vorhanden, zumindest auf einem niedrigen Niveau. Die biologische Welt ist reichlich ausgestattet mit Proteinen, deren Fähigkeiten weit über das hinausgehen, was zu irgendeinem Zeitpunkt je genutzt werden könnte. Somit werden neue Enzyme aus promisken oder Nebenaktivitäten aufgebaut, die in einem neuen biologischen Kontext vorteilhaft werden, etwa wenn eine neue Futterquelle verfügbar wird.3 Demnach kann ein konservativer Prozess der Anreicherung vorteilhafter Mutationen innovativ sein, weil die Innovation schon da ist! Die wunderbare Vielfalt der biologischen Welt ist die treibende Kraft für weitere Innovationen. Damit die gerichtete Evolution ein verlässlicher Ansatz zur Erschaffung neuer Enzyme sein kann, müssen wir “Proteinzüchter” als erstes eine neuartige katalytische Eigenschaft identifizieren, und zwar in der Form von Ausgangsproteinen, die zumindest niedrige Niveaus einer neuartigen Aktivität aufweisen. Wir suchen darum nach Aktivitäten, die die Synthesechemie kennt, aber vielleicht in der Natur nicht erkundet worden sind. Die Cytochrome P450, zu deren nativen Funktionen eine Vielzahl extrem schwieriger Transformationen gehören – wie Hydroxylierung, Epoxidation, Heteroatom-Oxidationen, Nitrierung und mehr –, erschienen mir als ein aussichtsreicher Startpunkt für die Jagd nach neuen Aktivitäten. Die Natur hatte dieses evolvierbare Hämprotein und seine zahlreichen reaktiven Zwischenstufen im Katalysezyklus bereits erschlossen, um all die natürlichen Funktionen der P450s zu erschaffen. Wir fanden schnell heraus, dass viel mehr neue, nicht-natürliche Funktionen möglich waren. In den vergangenen Jahren haben wir P450s und andere Hämproteine in der Weise modifiziert, dass sie eine Fülle von Reaktionen ausführen, die Synthesechemikern bekannt sind, in der Biologie aber nicht gefunden werden.4 Beispielsweise ist die Olefincyclopropanierung durch Carbentransfer eine im Bereich der Übergangsmetallkatalyse wohlbekannte Reaktion, dass sie von einem Enzymen katalysiert würde, ist jedoch nicht bekannt. Inspiriert von sehr viel älteren Berichten über Häm-Mimetika, die solche Reaktionen in organischen Lösungsmitteln vollziehen, entdeckten wir 2012, dass Hämproteine die Cyclopropanierung katalysieren – in Wasser –, wenn Diazocarbenvorstufen und ein geeignetes Olefin bereitgestellt werden.5 Diese promiske Aktivität manifestiert sich, wenn das Protein auf das Diazoreagens trifft, das reaktive Carben bildet und es dann auf das Olefin überträgt. Wir machten uns diese inhärente Fähigkeit eines bakteriellen Cytochroms P450 zu Nutze, um ein hoch effizientes Enzym zur Herstellung der chiralen cis-Cyclopropanvorstufe des Antidepressivums Levomilnacipran zu entwickeln.6 Unsere Gruppe und die von Rudi Fasan haben seither die Entwicklung einer Vielfalt von Hämproteinen angetrieben, um andere chirale pharmazeutische Cyclopropanvorstufen zu synthetisieren, einschließlich einer Variante für die Synthese von Ticagrelor, einem Medikament zur Verhinderung rezidiver Herzinfarkte.7 In unserem Fall identifizierten wir ein gekürztes Globin aus Bacillus subtilis, das die Reaktion mit geringer Aktivität katalysiert und außerdem eine gewisse Selektivität für die Bildung des gewünschten Diastereomers der Cyclopropanvorstufe von Ticagrelor aus Ethyldiazoacetat und 3,4-Difluorstyrol aufweist (Abbildung 1). Schon einige wenige Generationen von gerichteter Evolution verbesserten die Aktivität und Selektivität des Enzyms so sehr, dass es von den vier möglichen Stereoisomeren fast ausschließlich das Ticagrelor-Cyclopropan produziert. Weil die Reaktion in ganzen Escherichia coli-Zellen abläuft, die das evolvierte Enzym exprimieren, ist die Herstellung des Katalysators so leicht wie das Züchten von Bakterien. Eine B.-subtilis-Globinvariante, modifiziert durch gerichtete Evolution, katalysiert die Cyclopropanierung von 3,4-Difluorstyrol zur Bildung des gewünschten Stereoisomers einer Ticagrelor-Vorstufe mit hoher Selektivität und Ausbeute.7a Während wir durch Hämproteine katalysierte Carbentransferreaktionen erforschten, gingen wir außerdem der Möglichkeit nach, Enzyme für Nitrentransferreaktionen zu evolvieren. Inspiriert durch einen Hinweis in einer Studie aus den 80er Jahren über den Versuch einer intramolekularen C-H-Aminierung, fanden wir zu unserer Freude, dass ein Cytochrom “P411” ein niedriges Niveau an promisker Aktivität mit einem Arylsulfonylazidnitren aufwies, und dass die Aktivität durch gerichtete Evolution erhöht werden konnte.8 Wir modifizierten das P411 gezielt, indem wir den vollständig konservierten Cysteinliganden am Eisenzentrum des Cytochroms P450 gegen Serin austauschten, einen Liganden, der in keinem bekannten natürlichen Hämprotein gefunden wird. Diese Modifizierung verschiebt den charakteristischen Peak im CO-Differenzspektrum von λ=450 nach 411 nm und hebt die native Monooxygenaseaktivität auf. Sie erhöht auch in hohem Maße die Carbentransfer- und Nitrentransferaktivitäten. Nachdem wir demonstriert hatten, dass das P411 abgeleitet von Cytochrom P450 aus Bacillus megaterium für die intramolekulare C-H-Aminierung – und für intermolekulare Aziridinierungs- und Sulfimidierungsaktivitäten, die in biologischen Systemen unbekannt sind – modifiziert werden konnte, gipfelten unsere Bemühungen im Cytochrom P411CHA, das die intermolekulare benzylische C-H-Aminierung katalysiert.9 Die effiziente und hoch enantioselektive intermolekulare Aminierung von C(sp3)-H-Bindungen war lange eine Herausforderung in der chemischen Katalyse. Obwohl wir viele verschiedene Hämproteine und Proteinvarianten ausprobierten, fanden wir keine mit der gewünschten Aktivität – bis schließlich mein Postdoktorand Chris Prier entdeckte, dass die P411-Variante “P4”, die für eine intermolekulare Sulfimidierung und Umlagerung evolviert worden war, eine promiske Aktivität für die benzylische C-H-Aminierung erlangt hatte. Chris Prier und die Doktorandin Kelly Zhang lenkten daraufhin die Evolution von P4 zu P411CHA, das hunderte von katalytischen Umsätzen bei der Aminierung benzylischer C-H-Bindungen mit exzellenten Enantioselektivitäten (>99 % ee) zeigt.9 Freies Häm katalysiert keine einzige dieser Nitrentransferreaktionen, und niedermolekulare Katalysatoren für die direkte C-H-Aminierung sind in hohem Maße auf Edelmetalle angewiesen, die nicht nachhaltig sind. Allerdings kann das Protein diese neue Reaktivität auf das unedle und reichhaltig vorkommende Eisen in seinem Porphyrin-Kofaktor weitergeben, und es ist evolvierbar. Evolution verlieh dem P411CHA die Fähigkeit, die Nitreoidbildung und dessen Transfer auf ein zweites Substrat über die konkurrierende Nitrenreduktion, die mit dem parentalen Enzym stark bevorzugt ist, zu befördern9 – eine Eigenschaft, die extrem schwierig, wenn nicht unmöglich zu konzipieren wäre. Tatsächlich denken wir uns diese Proteine als chirale, selbstassemblierende, DNA-kodierte makromolekulare Übergangsmetallkomplexe, deren sterische und elektronische Eigenschaften durch gerichtete Evolution leicht fein abgestimmt werden können, um gewünschte Aktivitäten und Selektivitäten zu erreichen. In jüngerer Zeit haben wir Enzyme erkundet, die der Biokatalyse noch mehr chemischen Raum erschließen, eingeschlossen Enzyme, die in der Biologie unbekannte chemische Bindungen bilden. Im Jahr 2016 beschrieben wir Hämenzyme, die die Carbeninsertion in Si-H- und B-H-Bindungen katalysieren, und gaben dadurch lebenden Systemen ihre ersten Kohlenstoff-Silicium-10 und Kohlenstoff-Bor-Bindungsbildungsaktivitäten.11 C-Si-Bindungen sind nützlich in der medizinischen Chemie, für Kontrastmittel, Elastomere und eine Vielzahl von Verbrauchsgütern, sind in biologischen Systemen aber nie entdeckt worden. Die bis heute einzigen Methoden zur enantioselektiven Bildung von C-Si-Bindungen umfassten mehrstufige Synthesen schon zur Herstellung der chiralen Reagentien oder chiralen Übergangsmetallkomplexe. Die erhaltenen Katalysatoren sind oftmals wenig aktiv, und ein Eisen-basierter Katalysator war für diese Carbeninsertionsreaktion nie beschrieben worden. Durch Screening einer Sammlung von Hämproteinen entdeckten die Postdoktorandin Jennifer Kan und ihr Team, dass ein kleines (124 aa), hoch stabiles Cytochrom c aus Rhodothermus marinus (Rma cyt c) die Reaktion zwischen Ethyl-2-diazopropanoat und Phenyldimethylsilan katalysieren konnte und das chirale Organosiliciumprodukt mit hoher Enantioselektivität bildete (Abbildung 2 A). Gerichtete Evolution deckte drei Mutationen auf, die dem Enzym die Fähigkeit gaben, C-Si-Bindungen mit bis zu 8200 Gesamtumsätzen (basierend auf der Konzentration von Rma cyt c) und Enantioselektivitäten über 99 % ee mit einer breiten Auswahl Silicium-haltiger Substrate zu bilden. Der Doktorand Kai Chen benutzte das modifizierte Enzym zur Herstellung von 20 Organosiliciumprodukten, von denen die meisten als einzelne Enantiomere erhalten wurden. Das evolvierte Enzym wurde auch hoch chemoselektiv für die Si-H-Insertion von Substraten mit anderen potenziell reaktiven funktionellen Gruppen (Alken, Alkin, N-H, O-H; Abbildung 2 B). A) Chirale Si-C-Bindungsbildung, katalysiert durch eine laborentwickelte Variante von Cytochrom c aus Rhodothermus marinus.10 Unter den drei Aminosäureresten, die zur Erhöhung dieser abiologischen Aktivität mutiert wurden, befindet sich der axiale Methioninligand (M100). B) Das Enzym katalysiert mit hohem Enantiomerenüberschuss die Bildung verschiedener Organosilanprodukte aus Silan- und Diazosubstraten. Wir stellten außerdem die Frage, ob ein Enzym die Carbeninsertion in B-H-Bindungen katalysieren könnte. C-B-Bindungen sind in der biologischen Welt nicht bekannt, und die wenigen Naturstoffe, die Bor in unterschiedlichen Formen enthalten, bauen wohl aus der Umwelt verfügbare Borsäure ein, auf nicht-enzymatischem Weg. Die Postdoktoranden Jennifer Kan und Xiongyi Huang schlugen vor, dass eine B-H-Insertion genetisch kodiert werden könnte, was lebenden Zellen die Fähigkeit verleihen würde, chirale Organoboranprodukte aus passenden, biokompatiblen Carbenvorstufen und Borylierungsreagentien herzustellen. Ausgehend von Rma cyt c evolvierten sie einen sehr effizienten Biokatalysator: Bakterien, die Rma cyt c exprimieren, gewährten Zugang zu 16 chiralen Organoboranen, die vorher nie hergestellt wurden, aus Boran-Lewis-Base-Komplexen und verschiedenen Carbenvorstufen.11 Der Katalysator ist für Biosynthesen im Grammmaßstab geeignet und erzielte bis zu 15 300 Umsätze (basierend auf der Konzentration von cyt c), ein Enantiomerenverhältnis (e.r.) von 99:1 und 100 % Chemoselektivität (Abbildung 3). Diese Katalysatorumsätze sind 400-mal höher als die von bekannten chiralen Katalysatoren für die gleiche Klasse von Transformationen. Darüber hinaus konnte die Enantiopräferenz des Enzyms umgeschaltet werden, um entweder das eine oder andere Produktenantiomer herzustellen. Vollständig genetisch kodiert und über Stunden funktional, eröffnen diese neuen Enzyme eine neue Welt der Silicium- und Borchemie in lebenden Systemen. Herstellung chiraler Organoborane durch Rma cyt c exprimierende E. coli.11 Der bakterielle Katalysator verwendet Boran-Lewis-Base-Komplexe und Diazoreagenzien, um Bor-substituierte Kohlenstoffstereozentren durch Carbeninsertion in B-H-Bindungen effizient und selektiv in Zellen aufzubauen. Die Reaktion kann im Grammmaßstab durchgeführt werden, und die Enantiopräferenz der Borylierung wurde gewechselt, um jeweils eines der Enantiomere der Organoboranprodukte separat zu erhalten. Es war faszinierend zu sehen, dass zumindest einige der Proteine, oftmals mit nur wenigen Mutationen, aus dem unermesslichen Katalog der Natur im Labor evolviert werden können, um abiologische Reaktionen (Cyclopropanierung, N-H-Insertion, S-H-Insertion, Aminierung, Aziridinierung und mehr) zu katalysieren. Die neuen Enzyme können sogar chemische Bindungen erschaffen, die in der Biologie unbekannt sind (C-Si, C-B). Diese neuen Reaktivitäten wurden ermöglicht durch 1) die Verwendung von Reagentien, die nicht natürlich vorkommen (Carben- und Nitrenvorstufen), 2) die promisken Reaktivitäten von Proteinen in Gegenwart dieser synthetischen Reagentien, 3) gerichtete Evolution zur Verstärkung und Feinabstimmung der neuen Aktivitäten und 4) chemische Intuition und Knowhow, um die richtigen Bedingungen und Reaktionen zu identifizieren und die richtigen Enzyme auszuprobieren. Die nächste große Herausforderung ist die Erschaffung von Enzymen für Reaktionen, die weder von der Biologie noch der Synthesechemie erschlossen worden sind. Als makromolekulare Katalysatoren können Enzyme beispielsweise Übergangszustände stabilisieren und Reaktionen auf mechanistische Pfade lenken, die, aufgrund einer Konkurrenz mit anderen, niederenergetischen Reaktionswegen, mit niedermolekularen Katalysatoren nur schwer, wenn überhaupt zugänglich wären. In einem beeindruckenden Beispiel dafür, wie das aktive Zentrum eines Enzyms in der Weise modifiziert werden kann, dass es einen Reaktionsweg gegenüber einem anderen begünstigt, führte der Postdoktorand Stephan Hammer die Evolution einer Anti-Markovnikov-selektiven Alken-Oxygenase (aMOx) aus, die die Umwandlung von Alkenen in die Anti-Markovnikov-Carbonylverbindungen katalysiert.12 Fasziniert von einem Bericht, dass das Cytochrom P450 aus Labrenzia aggregata bei der Oxidation von Styrol zum Epoxid gewisse Mengen an Phenylacetaldehyd als Nebenprodukt lieferte, fand Hammer in sorgfältigen Studien heraus, dass diese promiske Reaktivität keine Epoxidierung gefolgt von einer Isomerisierung zum Aldehyd involvierte, wie vorgeschlagen wurde.13 Stattdessen erahnte er richtig, dass die Reaktion über einen konkurrierenden, stufenweisen Mechanismus unter Beteiligung radikalischer/kationischer Zwischenstufen und einer 1,2-Hydridwanderung verläuft (Abbildung 4 A).14 Er benutzte dann diese Nebenaktivität für die gerichtete Evolution des bei weitem aktivsten, und ersten enantioselektiven, direkten aMOx-Katalysators.12 Mittels reichhaltig verfügbarem Eisen, Disauerstoff und einem wiederverwertbaren Kofaktor (NADPH) katalysiert das laborentwickelte P450 Tausende von Umsätzen in der Anti-Markovnikov-Oxidation verschiedener substituierter Styrole, einschließlich gehinderter Substrate wie interner und 1,1-disubstituierter Alkene. Eine Anti-Markovnikov-selektive Cytochrom-P450-Oxygenase.12 A) Konkurrierende Reaktionswege für den P450-katalysierten Oxo-Transfer zu Alkenen. Der konzertierte Epoxidationsweg ist gegenüber der stufenweisen Anti-Markovnikov-Oxidation bestehend aus Oxo-Transfer und anschließender (enantioselektiver) 1,2-Hydridwanderung bevorzugt. B) Zehn Runden von gerichteter Evolution kumulierten 12 Aminosäuremutationen, von denen viele entfernt vom aktiven Zentrum liegen. C) aMOx kann mit etablierten (Bio)Katalysatoren für verschiedene anspruchsvolle Anti-Markovnikov-selektive Alkenfunktionalisierungsreaktionen kombiniert werden. Bemerkenswerterweise reagiert das aMOx-Enzym mit 1,1-disubstituierten Alkenen und erzeugt Chiralitätszentren durch die Kontrolle der Enantioselektivität der 1,2-Hydridwanderung. Es ist schwer vorstellbar, wie dies außerhalb eines makromolekularen aktiven Zentrums getan werden könnte. Die 12 Mutationen, die dem Enzym diese eindrucksvolle Reaktivität und Kontrolle über die Substratausrichtung während der 1,2-Hydridwanderung verleihen, sind über das ganze Protein verteilt (Abbildung 4 B). Ihre spezifischen Effekte auf die Struktur und den Mechanismus des Enzyms, die zu dieser bemerkenswerten Aktivität geführt haben, sind schwer zu ergründen, geschweige denn vorherzusagen. Synthetische Katalysatoren für die Anti-Markovnikov-Oxidation vermochten nicht, den aMOx-Mechanismus zu erschließen, da der konkurrierende konzertierte Epoxidationsweg stark bevorzugt ist. Synthetische Ansätze nutzen stattdessen alternative Strategien, die Edelmetalle und/oder stöchiometrische Oxidationsmittel wie Iodosobenzol benötigen. Ihre sehr beschränkten Aktivitäten können nicht mit dem laborentwickelten Enzym konkurrieren. Keine katalytische, enantioselektive Methode zur Umwandlung prochiraler Alkene in ihre chiralen Anti-Markovnikov-Carbonylverbindungen war vor der Entwicklung dieses Enzyms bekannt. Um den Nutzen für die Produktion von Feinchemikalien zu steigern, kann aMOx mit anderen Katalysatoren gekoppelt werden, etwa mit einer Alkohol-Dehydrogenase, um die Anti-Markovnikov-Redoxhydratation von Alkenen zu bewirken.12 Dieses gekoppelte Enzymsystem liefert wertvolle chirale Alkohole mit hohem Enantiomerenüberschuss und hat den zusätzlichen Vorteil, dass der NADPH-Kofaktor zurückgewonnen wird. Die Anti-Markovnikov-Alkenfunktionalisierung ist ein wichtiger Schritt in der Produktion vieler wertvoller Chemikalien, die durch die Kombination eines evolvierten aMOx mit anderen Enzymen oder chemischen Katalysatoren nun prinzipiell zugänglich sind (Abbildung 4 C). Das Wissen, dass solch ein direkter aMOx-Katalysator möglich ist, könnte die Erschaffung noch besserer Enzyme oder sogar die Erfindung niedermolekularer Mimetika inspirieren. Ich habe in diesem Essay die Bemühungen meiner eigenen Gruppe in den Mittelpunkt gestellt, Hämproteine umzufunktionieren und an ihnen zu demonstrieren, dass gerichtete Evolution (und ein wenig Design) leicht neue genetisch kodierte Enzymkatalysatoren für Reaktionen erschaffen kann, die zuerst von Synthesechemikern erdacht wurden, und sogar für Reaktionen, die sich synthetischen Ansätzen entzogen haben. Die aktiven Zentren dieser neuen Enzyme können hohe Aktivitäten und Chemo-, Regio- und Enantioselektivitäten gewähren, sowie auch Produktselektivitäten, die mit niedermolekularen Katalysatoren schwer oder unmöglich zu erreichen sind. Im Labor evolvierte Enzyme können außerdem hoch reaktive Zwischenstufen stabilisieren und ihr Schicksal lenken, um Reaktionen zu befördern, die ohne die präzise Steuerung durch das Enzym benachteiligt sind. Wir hoffen, dass diese Ausführungen schon bald von tieferen Einblicken in die Mechanismen der neuen enzymkatalysierten Reaktionen aus aktuellen Struktur-, Spektroskopie- und Computerstudien begleitet werden. Weitere exzellente Beispiele von gerichteter Evolution für eine nicht-natürliche Chemie wurden von anderen Gruppen erarbeitet, dazu gehören gezielt gestaltete Enzyme und Enzyme mit artifiziellen Kofaktoren, von denen einige in unserem kürzlich erschienenen Übersichtsbeitrag beschrieben sind.15 Die gestalteten Enzyme haben noch nicht die Raffinesse der Produkte der Natur, und das Design ringt mit den Metallen und anderen Kofaktoren, die so viel interessante Chemie antreiben. Aber sobald sich das ändert, wird die gerichtete Evolution da sein, um die neuen Fähigkeiten zu entdecken und die Designs genau abzustimmen, gerade so, wie sie es mit den promisken Aktivitäten natürlicher Proteine tun kann. Nun, da wir uns die Kraft der Evolution für Entwicklungen im Labor zu Nutze machen können, öffnet sich ein völlig neuer Blickwinkel auf die diversen Produkte der natürlichen Evolution. Anstatt einfach nur zu fragen, was Enzyme in der Natur tun, können wir nun die Frage stellen: “Was KÖNNEN sie tun?” Es wird sich erweisen, dass sie sehr viel mehr tun können als wir uns je vorstellten, insbesondere wenn wir die Evolution benutzen, um ihre verborgenen Potenziale zu entfesseln. Wie wir klar sehen, ist die Evolution eine Innovationsmaschine, und die Produkte der Natur sind bereit, um unter dem kritischen Blick der “Molekülbrüter” loszubrechen und neue Aufgaben zu übernehmen. Eine Schatzkiste an neuen Enzymen wartet nur darauf, entdeckt und für eine Chemie benutzt zu werden, von der wir noch vor ein paar Jahren nur träumen konnten. Ich danke Sabine Brinkmann-Chen, Kai Chen, Stephan Hammer, Kari Hernandez, Xiongyi Huang, Jennifer Kan, Rusty Lewis, Chris Prier und Ruijie Zhang für die Ideen, Inspiration, Daten und harte Arbeit, die in die hier präsentierten Beispiele geflossen sind, sowie Kim Mayer für exzellente redaktionelle Unterstützung. Diese Arbeit wurde durch die National Science Foundation, Division of Molecular and Cellular Biosciences (grant MCB-1513007), das Resnick Sustainability Institute und das Caltech CI2 Innovation Program unterstützt. Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen. Frances Arnold ist Linus Pauling Professor für Chemical Engineering, Bioengineering, and Biochemistry am California Institute of Technology, wo ihre Forschungen auf das Enzym-Engineering durch gerichtete Evolution mit Anwendungen im Bereich nachhaltiger Brennstoffe und Chemikalien gerichtet sind. Sie benutzt die Innovationsmechanismen der Evolution, um neue chemische Reaktionen in die Biologie zu übertragen. Zu ihren Auszeichnungen gehören der Millennium Technology Prize (2016). Sie wurde in die US National Academies of Science, Medicine, and Engineering gewählt.
Referência(s)