Artigo Acesso aberto Revisado por pares

Insektenrückgang, Insektenschwund, Insektensterben?

2019; Wiley; Volume: 49; Issue: 4 Linguagem: Alemão

10.1002/biuz.201970402

ISSN

1521-415X

Autores

Josef Settele,

Tópico(s)

Insect and Arachnid Ecology and Behavior

Resumo

Liebe Leserinnen und Leser, unter der Vielzahl von wissenschaftlichen Beiträgen, die globale oder regionale Rückgänge der Artenvielfalt beschreiben, gibt es nur sehr wenige, die so Neues und Unerwartetes zu Tage fördern, dass sie weltweit Schlagzeilen machen. Eine dieser Ausnahmen war eine im Oktober 2017 publizierte Studie, die über einen Verlust von drei Viertel der Biomasse fliegender Insekten vor allem aus Naturschutzgebieten Nord-West Deutschlands berichtete1. Die Arbeit wird meist als „Krefelder Studie“ bezeichnet, da sie auf Arbeiten des Entomologischen Vereins Krefeld aufbaut, der seit 1989 an zahlreichen Standorten v. a. in Nordrhein-Westfalen standardisiert Fluginsekten erfasst. Das Neue an der Studie war eben, dass sie über 27 Jahre ging – und es gab bis dahin zur Biomasse bzw. zur Gesamtzahl anwesender Insektenindividuen weniger als eine Hand voll weiterer Arbeiten, die Ergebnisse aus mehr als 15 Jahren umfassten. Wenn wir von Trends bei Insekten sprechen, gilt es zwei grundsätzlich verschiedene Betrachtungsebenen zu beachten, die oft vermischt werden: a) die Biomasse, also das Gewicht einzelner bzw. aller Individuen einer Gruppe oder auch aller Insekten und b) die Veränderung bei Artenzusammensetzungen und der Häufigkeit einzelner Arten. Bislang hatten wir vor allem die Trends einzelner Arten innerhalb bestimmter Insektengruppen im Fokus, die als Grundlage für die Einschätzung der Gefährdung von Arten an sich und beispielsweise auch zur Beurteilung des Erfolges von Schutzmaßnahmen dienen. Angaben zur Häufigkeit von Insekten sind aber essentiell, wenn es um Veränderungen von Ökosystemleistungen durch Insekten geht. So ist die Anzahl adulter Tiere bei Bestäubung und biologischer Schädingsbekämpfung genauso wichtig wie die Biomasse aller Stadien, wenn es um die Zersetzung oder um Nährstoff-Zyklen, sowie als Nahrungsgrundlage für insektenfressende Tiere geht. Neben den systematischen Erfassungen über die bislang noch vergleichsweise wenigen Monitoring-Projekte erfolgt die Einstufung der Gefährdung von Pflanzen und Tieren (inkl. Insekten) seit vielen Jahrzehnten über die Roten Listen, die nach wie vor das Hauptinstrument für die Einschätzung der Gefährdung von Arten darstellen. Dabei handelt es sich um Experten-Einschätzungen zur Entwicklung der Bestände. Daraus resultiert, dass 42 Prozent der fast 8000 bewerteten Insektenarten in Deutschland bestandsgefährdet sind („Rote-Liste-Arten“). Wie auch der im Mai 2019 veröffentlichte globale Bericht des Welt-Biodiversitätsrates (IPBES2) belegt, ist die Landnutzungsänderung Hauptursache für den Verlust von Arten und Ökosystemen. Dabei sind der Verlust von Lebensräumen (in Mitteleuropa insbesondere solcher, die durch Nutzung entstanden sind und sich nur durch deren Fortsetzung halten lassen) und die Verarmung der Landschaft (Verlust der Strukturvielfalt) zentral. Der Klimawandel dürfte zudem in Zukunft ein schwerwiegenderes Problem darstellen – gelingt es aber nicht, die Arten unserer Kulturlandschaften zu erhalten, bleibt auch für den Klimawandel nichts mehr zum „Vernichten“ übrig. Genauso ist es anders herum wichtig, dass wir dem Klimawandel entgegenwirken, damit dieser nicht die (hoffentlich erfolgreichen) Bemühungen um den Erhalt der Vielfalt zunichte macht. Der Rückgang von Insekten ist ein Prozess, der vor allem in Mitteleuropa bereits seit mindestens einem halben Jahrhundert zu beobachten ist. Das neuerdings als „Insektensterben“ bezeichnete Phänomen ist also nicht neu und betrifft auch nicht alle Insekten gleichermaßen. Doch mindert es nicht dessen Wichtigkeit, da es unser Leben bereits jetzt beeinflusst. Auch sind die generellen Ursachen für diese Entwicklung weitestgehend bekannt: Verlust von Lebensräumen, strukturelle Verarmung von Wald-, Acker- und Gartenlandschaften, Einsatz von Düngern und Pestiziden, invasive Arten, Klimawandel etc. – und vor allem auch die Interaktion dieser Faktoren. Ihre Reduktion wäre also Ausgangspunkt für eine Trendwende. Voraussetzung dafür wäre, dass wir uns gemeinsam im gesellschaftlichen Konsens um Lösungen bemühen – und dies ohne bestimmte Teile der Bevölkerung als allein für den Rückgang Verantwortliche an den Pranger zu stellen. Beispielhaft für einen solchen Konsens ist das Ziel eines transformativen Wandels, wie im Globalen Assessment von IPBES formuliert. Es geht um nicht weniger als eine globale nachhaltige Wirtschaft, die über die üblichen Leistungsindikatoren hinausgeht und ganzheitliche, langfristige Sichtweisen auf Wirtschaft und Lebensqualität verfolgt. Ihr Josef Settele Josef Settele ist einer der drei Co-Vorsitzenden des Globalen Assessments von IPBES; er ist Agrarwissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Professor (apl.) an der MLU Halle-Wittenberg und Mitglied des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig.

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