Artigo Acesso aberto Revisado por pares

Innovation durch Evolution: Wie man neue Chemie zum Leben erweckt (Nobel‐Vortrag)

2019; Wiley; Volume: 131; Issue: 41 Linguagem: Alemão

10.1002/ange.201907729

ISSN

1521-3757

Autores

Frances H. Arnold,

Tópico(s)

Click Chemistry and Applications

Resumo

Die gerichtete Evolution von Enzymen wird heute routinemäßig genutzt, um neue Katalysatoren für Anwendungen in der umweltschonenden Herstellung chemischer Stoffe, etwa Pharmazeutika, und die Produktion von erneuerbaren Brennstoffen zu gewinnen. Den Entwicklungsprozess von der natürlichen hin zur gerichteten Evolution schildert F. Arnold in ihrem Nobel-Aufsatz. Als Chemikerin und Ingenieurin betrachte ich die lebende Welt mit tiefster Bewunderung. Die Natur, selbst eine brillante Chemikerin und die mit Abstand beste Ingenieurin aller Zeit, erfand ein Leben, das seit Milliarden von Jahren unter einer erstaunlichen Bandbreite von Bedingungen erblüht. Ich bin unter den Vielen, die inspiriert werden von der Schönheit und den bemerkenswerten Fähigkeiten lebender Systeme, von der atemberaubenden Fülle chemischer Umwandlungen, die sie erfunden haben, und der Komplexität und Vielzahl an Funktionen ihrer Produkte. Ich habe Ehrfurcht vor der außergewöhnlichen Spezifität und Effizienz, mit der die Natur diese Produkte aus einfachen, im Überfluss vorhandenen und erneuerbaren Ausgangsmaterialien zusammenfügt. Woher kommt diese Chemie? Sie geht auf Enzyme zurück, DNA-codierte Proteinkatalysatoren, die das Leben möglich machen, molekulare Maschinen, die eine Chemie verrichten, die kein Mensch je erreicht oder beherrscht hat. Gleichermaßen ehrfurchtgebietend ist der Prozess, durch den die Natur diese Enzymkatalysatoren, und faktisch auch alles Andere in der biologischen Welt, erschaffen hat. Der Prozess ist die Evolution, die großartige diversitätserzeugende Maschine, die alles Leben auf der Erde erschaffen hat und damit vor mehr als drei Milliarden Jahren begann. Verantwortlich für Adaption, Optimierung und Innovation in der lebenden Welt, führt die Evolution einen einfachen Algorithmus aus Diversifizierung und natürlicher Selektion aus, einen Algorithmus, der auf allen Komplexitätsebenen vom einzelnen Protein bis zu ganzen Ökosystemen wirkt. Einen vergleichbar mächtigen Designprozess gibt es nicht in der Welt menschlicher Ingenieurskunst. Ich wollte die Enzyme der Natur in der Weise nachbauen, dass sie für menschliche Zwecke maßgeschneidert und einzigartig passend sein sollten. Seit fast fünftausend Jahren benutzen wir mikrobielle Enzyme, um Bier zu brauen und Brot zu säuern. Waren die Proteinkatalysatoren erst einmal identifiziert und isoliert, wurden weitere, vielfältige Anwendungen erfunden. Heute verwendet man Enzyme, um Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln, Agrarabfälle zu vermindern, Textilien und andere Materialien aufzuwerten, industrielle und pharmazeutische Chemikalien zu synthetisieren und unseren Waschmitteln Kraft zu verleihen. Doch könnte noch so viel mehr erreicht werden, würden wir verstehen, wie man neue Enzyme aufbaut. Protein-Ingenieure früherer Zeit rangen mächtig um dieses Ziel. In diesen Tagen (den 1980er Jahren) wussten wir nicht genug darüber, wie eine DNA-Sequenz eine Enzymfunktion codiert, um Enzyme für menschliche Zwecke entwerfen zu können. Leider gilt das immer noch: Wir können heute jede DNA-Sequenz für alle Verwendungszwecke lesen, schreiben und editieren, aber wir können sie nicht komponieren. Der Code des Lebens ist eine Symphonie, die all die intrikaten und wunderschönen Parts, gespielt von einer unermesslichen Zahl von Akteuren und Instrumenten, zusammenführt. Vielleicht können wir kleine Stücke der Kompositionen der Natur herausschneiden und kopieren, aber wir wissen nicht, wie wir die Taktstriche für eine einzige enzymische Passage schreiben. Die Evolution aber tut es. Manche Forscher stellen sich das Universum der Proteine als die Gesamtheit aller Proteine vor, die die Natur ersonnen hat. Aber diese Proteine, die für die Biologie relevant sind, machen nur einen winzigen Bruchteil aller möglichen Proteine aus. Das Universum der möglichen Proteine, mein Universum, enthält Lösungen für viele der größten Probleme der Menschheit: Dort werden wir Heilmittel für Krankheiten finden, Lösungen für Energiekrisen und eine sich erwärmende Welt, Nahrung und sauberes Wasser für eine wachsende Bevölkerung und Wege, die Leiden des Alterns aufzuhalten. Ich wollte dieses Universum erforschen, um jene Proteine zu finden, die der Menschheit dienen werden. Nur, wie entdeckt man ein nützliches Protein in der Unendlichkeit möglicher Proteine, einer Gesamtheit, von denen es viele Größenordnungen mehr gibt als alle Teilchen des Universums? In seiner fesselnden Kurzgeschichte Die Bibliothek von Babel beschreibt Jorge Luis Borges eine Bibliothek mit all den möglichen Büchern, die aus einem Alphabet von Buchstaben erstellt werden können.1 Die meisten Texte in Borges' Bibliothek sind Wortsalat, und seine verzweifelten Bibliothekare können, trotz ihrer lebenslangen Bemühungen, nicht einen einzigen sinnvollen Satz auffinden, und schon gar nicht eine vollständige Geschichte. Ganz ähnlich codieren die meisten Proteinsequenzen nichts, das wir als sinnvoll erachten würden. Anders als Borges' Bibliothekare jedoch, bin ich gänzlich von Proteinen mit sinnvollen Geschichten umgeben. Sie sind überall und können buchstäblich von meinen Schuhsohlen gekratzt werden, können aus der Luft, die ich atme, aufgegriffen werden oder können aus einer Datenbank extrahiert werden. Sie sind die Produkte von Milliarden von Jahren Arbeit, die von Mutation und natürlicher Selektion getan wurde. Und die Evolution fährt ständig damit fort, aus diesen seltenen funktionalen Sequenzen, die durch die Evolution selbst entdeckt wurden, immer neue Sequenzen zu erschaffen. Ich entschloss mich daher, meine Forschung an diesem Geschenk der Evolution, den vorhandenen funktionalen Proteinen, anzusetzen. Es gibt tausende von Wegen, eine einzelne Veränderung in der Aminosäuresequenz eines Proteins vorzunehmen. Es gibt Millionen von Wegen, die Sequenz durch zwei Veränderungen zu modifizieren, und so weiter – die Zahlen wachsen so rapide an, dass die Darstellung einer einzigen Kopie von jedem Protein, das in nur 1 % seiner Sequenz verändert wurde, das Gewicht der Welt an Material erfordern würde. Und der allergrößte Teil dieser modifizierten Sequenzen ist weder brauchbar noch nützlich. Die Herausforderung liegt also darin, Proteinsequenzen zu entdecken, die neue Vorteile und neuartige Verbesserungen mitbringen – und zwar auf einer spärlichen Skala von Wochen, nicht Jahrtausenden oder Äonen, und mit der Hilfe eines einzelnen Studenten, nicht einer Armee. Um die Natur zu übertreffen, benötigte ich eine Strategie, die der Verzweiflung der Bibliothekare von Babel ausweichen würde. Eine wunderbare Arbeit von John Maynard Smith aus dem Jahr 1970 sollte mir helfen, diese Herausforderung zu meistern.2 Betrachten wir einen geordneten Raum, in dem jede Proteinsequenz von Nachbarn umgeben ist, die eine einzelne Mutation haben. Damit Evolution klappt, so seine Überlegung, müssen in diesem Raum funktionale Proteine aneinandergrenzend existieren. Obwohl die meisten Sequenzen nicht für funktionale Proteine codieren, wird Evolution selbst dann klappen, wenn sich nur einige wenige sinnvolle Proteine in der Nähe befinden. Bei der geringen Wahrscheinlichkeit für Zufallsmutationen kann der Filter der natürlichen Selektion jene Sequenzen finden, die Funktion sicherstellen. Tatsächlich sind viele der heutigen Proteine die Produkte meist solcher graduellen Veränderungen über einige Milliarden Jahre. Viele dieser Mutationen sind neutral und verändern wenig, aber andere können schädlich sein. Die natürliche Selektion trennt die Spreu vom Weizen und leitet mutierende Proteine entlang fortlaufender funktionaler Pfade durch den unermesslichen Raum größtenteils funktionsloser Sequenzen. Durch das Ausnutzen der Evolution will ich aber bessere Proteine erzeugen, Proteine, die meinen Zwecken dienen. So wird die gerichtete Proteinevolution zu einer Suche in einer neuen Fitnesslandschaft, in der evolutionäre Fitness gleichbedeutend mit Leistungsfähigkeit ist und durch die von mir vorgegebene künstliche Selektion determiniert wird. Es ist eine Landschaft, über deren Struktur wir in den 1980er Jahren sehr wenig wussten. Evolution in einer zerklüfteten Landschaft ist schwierig, weil Mutation Sequenzen in funktionslose Kluften vorwärtstreibt. Indem ich mich allerdings an Maynard Smiths Argument klammerte, dass Proteine in einer Landschaft evolvieren, die zumindest in einigen ihrer vielen Dimensionen eben ist, kam ich zu dem Schluss, dass gerichtete Evolution kontinuierliche Pfade finden und diesen folgen kann, die zu höherer Fitness führen.3 Wissenschaft ist, wie alle menschlichen Unternehmungen, evolutionär. Wir schreiten voran, indem wir vorhandenem Wissen etwas hinzufügen oder es neu kombinieren. Wichtige Entwicklungen in den 1980er und 1990er Jahren beeinflussten mein Denken. Manfred Eigen spekulierte über eine molekulare Evolution in vitro,4 und Gerry Joyce selektierte RNA-"Enzyme", die DNA in Pools von Milliarden, vielleicht Billionen mutierter Sequenzen spalten konnten.5 Die fehlerbehaftete Polymerasekettenreaktion ("error-prone PCR")5, 6 wurde zu einem nützlichen Werkzeug für die Zufallsmutagenese von Genen. Jim Wells7 und andere zeigten, dass nutzbringende Mutationen in Proteinen angereichert werden konnten. Stuart Kauffman quantifizierte evolutionäre Trajektorien in modellierten Fitnesslandschaften8 und der Philosoph Daniel Dennett stellte das konzeptionelle Rüstzeug bereit, das mir half, anderen die Leistungsfähigkeit der Evolution zu vermitteln.9 Protein-Genotypen und -Phänotypen koexistieren nicht in einem einzelnen Molekül – wie es bei der RNA der Fall ist –, und die Fitnesslandschaften von Proteinen unterscheiden sich grundlegend von denen der RNA. Daher würde eine gerichtete Proteinevolution andere Strategien und experimentelle Werkzeuge erfordern. Um eine Strategie für die gerichtete Evolution zu erfinden, setzte ich bei der fundamentalen Regel an: "Du bekommst, wonach du suchst." Wir erzeugten Enzyme von Interesse in rekombinanten Mikroorganismen, indem wir genetisches Material insertierten, das wir im Reagenzglas mutieren konnten. Wir verwendeten übliche Organismen wie Escherichia coli oder Hefe, um "Bibliotheken" mutierter Enzyme zu produzieren, die auf gewünschte Funktionen getestet wurden. Da wir Enzyme für menschliche Anwendungen herstellten, verwarfen wir mikrobielle Wachstums- oder Überlebensselektionen, wie sie von Mikrobiologen und Genetikern bevorzugt werden. Während diese Ansätze eine zielsichere Suche durch Tausende oder Millionen von Varianten in einem einzigen Experiment ermöglichen, erfüllen sie nicht unsere Kriterien, Funktion in neuen Umgebungen, Überexpression in einem Produktionswirt, Kompatibilität mit neuen Substraten, spezifische Produktbildung usw. zu erzielen. Wir wandten uns daher guter alter analytischer Chemie zu, um reproduzierbare, verlässliche Suchverfahren zu entwickeln, die uns berichteten was uns interessierte. Um zu messen was uns interessierte, beschränkten sich unsere Studien auf die wenigen tausend Proteinvarianten, die wir in einfachen 96er Mikrotiterplatten oder auf einer Petrischale exprimieren und ausbreiten konnten. Daher konnten wir nur solche Sequenzen tiefer durchsuchen, die eine oder zwei Mutationen vom Startprotein entfernt waren. Da unsere Erwartung war, dass eine solch kleine Änderung in der Sequenz nur kleine Verbesserungen der Funktion verursacht, mussten wir reproduzierbare Screeningassay einsetzen, die in der Lage wären, solche seltenen und nur leicht verbesserten Proteinnachkommen zu finden. Eine wünschenswerte Mutation mochte vielleicht nur eine zweifache Steigerung der katalytischen Aktivität oder den Anstieg der Schmelztemperatur um nur wenige Grad liefern. Um signifikante Veränderungen zu erreichen, würden wir diese Verbesserungen über nachfolgende Generationen vervielfältigen müssen. Diese Strategie funktioniert gut, wenn Enzyme für neue Aufgaben reoptimiert werden sollen. Während ein natürliches Enzym seine biologische Aufgabe im Allgemeinen gut erledigt, nimmt es neue Jobs oft wenig begeistert an und schneidet anfänglich schlecht ab (Abbildung 1). Neue Anforderungen verändern die Fitnesslandschaft und reißen ein Protein oft von seinem Posten, den es durch das Wirken der natürlichen Evolution mühsam erreicht hatte. Nachfolgende Runden von Zufallsmutation und Screening nach verbesserter Leistung können jedoch die nutzbringenden Mutationen anreichern, die gebraucht werden, um einen neuen Gipfel zu erklimmen. Ein Enzym, dessen Funktion für seine natürliche Aufgabe optimiert wurde, schneidet in einer neuen Rolle schlecht ab. Gerichtete Evolution über Runden von Mutation und Screening kann Änderungen in der Sequenz entdecken, welche die Leistungsfähigkeit verbessern – ein neuer Gipfel evolutionärer Fitness wird erreicht. Zum Beispiel begann meine Arbeitsgruppe in den späten 1980er Jahren die Protease Subtilisin E zu modifizieren, um ihre hydrolytische Reaktion unter ungewöhnlichen und nichtnatürlichen Bedingungen durchzuführen. Wir wollten, dass das Enzym in hohen Konzentrationen eines polaren organischen Lösungsmittels (Dimethylformamid, DMF) aktiv blieb; solche Bedingungen führen beim Wildtyp-Enzym zum Verlust eines Großteils der Aktivität. Wir nutzten Zufallsmutagenese und Screening, um die verlorene Aktivität bei der Zugabe niedriger Konzentrationen an DMF zurückzugewinnen, indem wir nutzbringende Mutationen anreicherten.10 Ermutigt von diesen Ergebnissen führte Keqin Chen Iterationen von Zufallsmutagenesen und Screeningrunden auf Aktivität in zunehmenden Konzentrationen des organischen Lösungsmittels durch und evolvierte ein Enzym, dass in 60 % DMF genauso aktiv war wie das Wildtyp-Enzym ohne DMF, entsprechend einem 256fachen Anstieg der Aktivität.11 Erstaunlicherweise passte sich dieses Enzym rasch an eine Anforderung an, der es während seiner Evolution sehr wahrscheinlich nie begegnet war. Des Weiteren waren die Mutationen, die zu den verbesserten Eigenschaften führten, unerwartet. Wir konnten nicht erklären, wie Mutationen in Loops, die das aktive Zentrum des Enzym umgeben, in hohen Konzentrationen eines organischen Lösungsmittels die Enzymaktivität erhöhten, geschweige denn, dass wir in einem rationalen Ansatz ein Enzym mit dieser neuen Fähigkeit planen konnten. Was wir aber hatten war ein Prozess, der das richtige Resultat lieferte, auch wenn dieses Resultat sehr viel mehr an reversem Engineering erfordern würde, um es vollständig zu verstehen. Ich traf Pim Stemmer auf einem von Stuart Kauffman 1995 am Santa Fe Institute organisierten Workshop, nicht lange nach der Veröffentlichung seines wegweisenden Artikels über "DNA-Shuffling".12 Pim führte Sex – Rekombination – als Suchstrategie für die Proteinevolution ein und nannte seine Methode "molekulares Züchten", eine Beschreibung, die ich inzwischen oft verwende, um zu erklären was ich tue. Bei Maxygen, dem von ihm 1997 gegründete Unternehmen, das unsere Technologien lizensierte und zu dessen wissenschaftlichem Beirat ich bei der Gründung gehörte, hatte Pim eine große Vision: Er wollte Viren, Stoffwechselwege, Pflanzenmerkmale und Therapeutika für den Menschen evolvieren. Mein Fokus lag vollständig auf Enzymen sowie darauf, schnell nützliche Resultate zu erhalten. Und die Resultate stellten sich ein. Wenige Beispiele, wie Enzyme evolviert werden konnten, um Anforderungen wie z. B. das Erkennen nichtnatürlicher Substrate13 oder ein Funktionieren bei hohen Temperaturen14, 15 zu erfüllen (Arbeiten meiner kühnen Mitarbeiter Jeffrey Moore, Huimin Zhao und Lori Giver), überzeugten viele Forscher von der Methodik – insbesondere solche in der Industrie, wo Fristen eng sind und das Interesse daran zu verstehen, warum individuelle Mutationen nutzbringend sind, hinter dem Bedarf am Erhalt des Enzyms zurücktritt. Die gerichtete Evolution bot einen verlässlichen Optimierungsalgorithmus an: Finde ein Startenzym, entwickle einen Assay für moderaten Durchsatz und drehe an der Kurbel! Die Methoden, die wir in den 1990er Jahren entwickelten und demonstrierten, wurden schnell übernommen. Dieses Jahrzehnt wurde Zeuge des explosionsartigen Aufschwungs der gerichteten Evolution in industriellen und akademischen Laboratorien rund um die Welt, insbesondere bei Andy Ellington, Manfred Reetz, Uwe Bornscheuer, George Georgiu, Romas Kazlauskas und Don Hilvert, die viele neue Konzepte und Verbesserungen einführten. In ihrer ursprünglichen und in vielen modifizierten Formen produziert gerichtete Evolution neue Werkzeuge für das Gen-Editing, therapeutische Enzyme, Enzyme für die Diagnose, DNA-Sequenzierung und DNA-Synthese, für Bildgebung, Agrikultur, Textilien, Reinigungsmittel und vieles mehr. Einige dieser Entwicklungen sind in ausgezeichneten Übersichtsartikeln im Detail beschrieben (z. B. Lit. 16, 17). Welche wichtigen Lehren konnten wir aus den frühen Experimenten mittels gerichteter Evolution über Enzyme ziehen? Als allererstes lernten wir, dass sich Enzyme an neue Herausforderungen anpassen können. Es genügen oft nur wenige Mutationen, damit ein Enzym die angestrebten Merkmale erwirbt. Anfangs wussten wir nicht wieviele Generationen benötigt würden, um nützliche Änderungen einer Funktion zu erhalten. Die Natur schlägt im Grunde genommen einen umständlichen Weg ein, um neue Eigenschaften zu erzeugen, indem sie neutrale oder sogar negative Mutationen mit nutzbringenden kombiniert. Diese Wege können Hunderte von Änderungen beinhalten. Unser Ansatz sammelte hingegen nur adaptive Mutationen an, die deutliche Änderungen in einer Funktion lieferten. Nützliche Merkmale konnten in weniger als zehn oder gar fünf Generationen hervorkommen. Wir lernten auch, dass noch viel zu tun bleibt, bevor wir in verlässlicher Weise gute Enzyme entwerfen können. Nutzbringende Mutationen, die durch gerichtete Evolution gefunden werden, sind oft weit weg vom katalytischen Zentrum lokalisiert. Selbst heute noch tun wir uns schwer damit, ihre Effekte zu erklären, und wir sind nicht in der Lage, sie verlässlich oder leicht vorherzusagen. Nichtsdestotrotz sind Praktiker nun im Genuss eines verlässlichen Prozesses zur Verbesserung von Enzymen, der nicht von uns verlangt, ihre Strukturen, Faltung oder katalytische Mechanismen zu verstehen. Was mich heute fasziniert, ist die Evolution neuer Enzyme. Ich will über das Optimieren bekannter biologischer Funktionen hinausgehen und stattdessen gänzlich neue Chemie zum Leben erwecken. Wie aber kann man Enzyme erschaffen, die von Chemikern erfundene Reaktionen katalysieren? Man kann nicht zu einer biochemischen Datenbank gehen und nach Enzymsequenzen suchen, die solchen Transformationen zugeordnet wurden. Tatsächlich erschien mir für viele Jahre die Erschaffung neuer Chemie durch gerichtete Evolution als eine unüberwindliche Herausforderung. Enzyme positionieren funktionelle Gruppen in exquisiten Anordnungen, um Substrate zu binden und Reaktionsübergangszustände zu stabilisieren. Lange Zeit konnte ich nicht sehen, wie meine konservative Strategie gerichteter Evolution, nämlich eine oder zwei nutzbringende Mutationen pro Generation anzureichern, gänzlich neue aktive Zentren erschaffen sollte. Außer natürlich, ein aktives Zentrum ist schon weitgehend vorhanden… Wenn die Natur Neuerungen hervorbringt, erfindet sie nicht de novo neue aktive Zentren. Um den Kampf ums Überleben zu unterstützen oder eine neue Nische zu besetzen, nutzen emergierende Enzyme vielmehr existierende katalytische Mechanismen und Maschinerien.18 Die biologische Welt ist voll von Proteinen, deren chemische Möglichkeiten über die Funktionen, für die sie zu gegebener Zeit selektioniert wurden, deutlich hinausreichen. Diese "promisken" Aktivitäten können sich auszahlen, etwa wenn eine neue Nahrungsquelle verfügbar wird, und die Grundlage für die Evolution eines neuen Enzyms bereitstellen, das seinem Wirt einen Fitnessvorteil bietet.19 Promiske Funktionen können auch für menschgemachte Anwendungen nützlich sein.20 Falls eine neue katalytische Aktivität bereits vorhanden ist (selbst in geringem Maße), kann unser konservativer Prozess der Anreicherung nutzbringender Mutationen diese Aktivität in ein neues Enzym umgestalten. Insbesondere Dan Tawfik konnte überzeugend demonstrieren, wie bekannte promiske Enzymaktivitäten, manchmal Relikte ihrer eigenen Vorfahren, im Labor evolvierbar sein können.21 Gerichtete Evolution kann Innovation hervorbringen, wenn die Innovation schon da ist. Einige Jahre haben wir uns diesen Umstand zu Nutze gemacht, um ganze Familien von Enzymen zu erschaffen, die in der Biologie vormals unbekannte Reaktionen katalysieren.22 Um diesen Prozess zu erläutern, betrachten wir die Enzymfamilie der Cytochrome P450. Die Natur nutzt die hochreaktive Eisen-Oxo-Verbindung Compound I (und andere Intermediate) der P450s, um verschiedene Reaktionen durchzuführen, die vermutlich aus den promisken Funktionen anzestraler P450s evolviert sind (Abbildung 2). Heute enthält die Familie der Cytochrome P450 Mitglieder, die ein Sauerstoffatom auf organische Moleküle übertragen können, um in spezifischer Weise hydroxylierte Verbindungen oder Epoxide herstellen können, Heteroatome und Nitroarene zu oxidieren und vieles mehr. Die biologische Welt formte diese Enzyme mithilfe der diversitätserzeugenden Maschinerie der Evolution, und Hunderttausende ihrer Sequenzen sind in Datenbanken hinterlegt. Erweiterung des Spektrums an chemischen Reaktivitäten der Cytochrome P450. Die Familie der Cytochrome P450, deren Mitglieder wahrscheinlich durch Genverdopplung und natürliche Selektion promisker Funktionen erschaffen wurden, umfasst Enzyme, die reaktive Sauerstoffintermediate nutzen, um eine breite Spanne von Reaktionen zu katalysieren. Wir überlegten, dass wir das Spektrum der P450-Chemie durch den Einsatz von synthetischen Carben- und Nitren-Vorläufern erweitern könnten, um die Bildung neuer reaktiver Intermediate zu bewirken. Gerichtete Evolution würde genutzt werden, um das Enzym zu modellieren, um Aktivitäten, die für die Natur neu sind, zu kontrollieren und zu verstärken. Diese herrliche biologische Diversität ist nun die treibende Kraft für Innovationen im Labor. Mit Einblicken und Inspiration aus der Chemie kann uns die gerichtete Evolution dahin bringen, wo die Biologie nie hingekommen ist. Wenn z. B. ein P450 reaktive Sauerstoffspezies auf Substrate übertragen kann, kann man es vielleicht auch dazu bringen, reaktive Stickstoff- oder Kohlenstoffspezies zu übertragen und Moleküle mit effizienten Strategien aufzubauen, die von der Biologie bisher nicht genutzt wurden. Pedro Coelho und Eric Brustad, Mitarbeiter meiner Gruppe im Jahr 2012, erinnerte die reaktive Compound I an ein Eisencarbenoid, das von Chemikern seit langem genutzt wird, um Carbene an Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen in Alkenen zu übertragen oder an X-H-Insertionsreaktionen teilzunehmen, um neue Heteroatom-Kohlenstoff-Bindungen aufzubauen (Abbildung 2). Diese Reaktionen, die in der Biologie unbekannt sind, sind in der Chemie möglich, wenn der Mensch synthetische Diazocarben-Vorläufer und Übergangsmetallkatalysatoren, die den Häm-Kofaktoren nachmodelliert wurden, bereitstellt. Wir stellten die Überlegung an, dass wir, wenn wir menschgemachte Carben-Vorläufer Hämproteinen anbieten würden, promiske "Carbentransferase"-Aktivitäten entdecken könnten.23 Wäre dem so, könnten wir gerichtete Evolution womöglich nutzen, um solche biologisch irrelevanten, aber synthetisch interessanten Fähigkeiten hervorzulocken und zu verbessern. Eine frühe Errungenschaft, die mit diesem Ansatz erzielt wurde, war die Alken-Cyclopropanierung, eine Transformation, die in der Übergangsmetallkatalyse gut bekannt ist, in der Biologie aber unbekannt ist. Inspiriert von frühen Berichten über Häm-Mimetika, die einen Carbentransfer auf Alkene in organischen Lösungsmitteln katalysieren, entdeckten wir, dass Eisen-Häm-Proteine tatsächlich die Cyclopropanierung katalysieren, wenn man Diazocarben-Vorläufer und ein geeignetes Alkenderivat in Wasser bereitstellt. Weiterhin veränderten die Mutationen die Aktivität und Selektivität der Produktbildung, sodass die Enzyme individuelle Cyclopropan-Stereoisomere produzierten.23 Diese neue Reaktion hat viele praktische Anwendungen. Zum Beispiel führte gerichtete Evolution zu einem hocheffizienten Enzym für die Produktion des chiralen cis-Cyclopropan-Vorläufers des Antidepressivums Levomilnacipran.24 Wir und Rudi Fasan haben seither eine Vielfalt von Hämproteinen entwickelt, um andere pharmazeutische Vorstufen zu synthetisieren.25, 26 Weil die Alken-Cyclopropanierung in Escherichia coli-Zellen abläuft, die das evolvierte Enzym exprimieren (und ebenso in Zelllysat), ist die Herstellung des Katalysators so einfach wie das Züchten von Bakterien. Zur gleichen Zeit entdeckten wir auch, dass einige modifizierte P450s Nitrenchemie katalysierten, indem sie ein Eisennitrenoid aus einem synthetischen Azidnitren-Vorläufer erzeugen und das Nitren unter C-H-Aminierung in C-H-Bindungen dirigieren (Abbildung 2).27 Auch diese Experimente waren von früheren chemischen Forschungen angeregt. 1985 berichteten Gellman et al., dass die Zugabe eines Iminoiodan-Nitren-Vorläufers zu einem Kaninchenleber-Cytochrom P450 zu drei Umläufen intramolekularer C-H-Aminierung führte.28 Wir und Rudi Fasan entdeckten fast dreißig Jahre später beinahe gleichzeitig erneut diese promiske Nitrentransfer-Aktivität.27, 29 Es folgten weitere Enzyme, die abiologische Nitrentransfer-Reaktionen katalysieren, aus der Verquickung chemischer Erkenntnisse als Basis für die Entdeckung solcher Reaktionen und gerichteter Evolution zur Verbesserung naszierender Aktivitäten.30 Ziel dieses Vortrages ist nicht das Zusammenfassen von Forschungsergebnissen, sondern grundlegende Konzepte einzuführen und zu erklären. Ich will daher nur ein aktuelles Beispiel für die Herstellung von Produkten erwähnen, die Chemiker höchst herausfordernd finden: hochgespannte Ringe. Die Herstellung von Bicyclobutanen durch zwei Carbenübertragungen auf ein Alkin ist eine in der Biologie unbekannte Umsetzung. Sie ist selten in der Welt menschgemachter Chemie, und es wurde nie berichtet, dass sie durch Eisen katalysiert wird. Kai Chen evolvierte zunächst ein künstliches Cytochrom P450 mit Serin als Ligand, um ein Carben mit perfekter Selektivität auf ein Alkin zu übertragen und stereochemisch einheitliche Cyclopropene zu erzeugen. Die stereoselektive Synthese dieser Carbocyclen, deren Ringspannung über 50 kcal mol−1 liegt, ist höchst anspruchsvoll, das Enzym tut es aber mit Leichtigkeit. Mithilfe des richtigen Alkins brachte Kai Chen das Enzym auch dazu, ein zweites Carben zu übertragen und die Doppelbindung des Cyclopropens innerhalb des geschützten aktiven Zentrums des Enzyms umzusetzen, um Bicyclobutane mit >60 kcal mol−1 Ringspannung zu erhalten (Abbildung 3). Der gerichteten Evolution folgend lieferten die Enzyme einzelne Stereoisomere hochgespannter Cyclopropene oder Bicyclobutane mit Turnoverzahlen in den Tausenden.31 Enzymkatalysierte Bicyclobutanierung durch zwei Carbentransfers auf ein Alkin, katalysiert durch eine Serin-ligierte Variante von Cytochrom P450.31 Das Enzym muss das reaktive Carben erzeugen und auf das Alkin-Substrat übertragen, anschließend muss es einen zweiten Carbentransfer auf das Cyclopropenintermediat vornehmen, um das Bicyclobutan zu bilden. Die evolvierten Enzyme erzeugen ein einziges Stereoisomer dieser hochgespannten Ringe, was auf eine wohldefinierte Orientierung der Substrate in dem neu evolvierten aktiven Zentrum hindeutet. Bei Zugabe von Alkinen und Carben-Vorläufern liefern E. coli-Stämme, die diese neuen Enzyme exprimieren, fortwährend Cyclopropene und Bicyclobutane. Mit Zucker und einigen wachstumsfördernden Spurenelementen bewerkstelligen diese lebenden Katalysatoren ihre Chemie in Wasser (Puffer) bei Raumtemperatur. Wir hoffen, dass die bemerkenswerte Selektivität, die niedrigen Kosten und die Möglichkeit, reichlich vorhandenes Eisen zu verwenden, um gespannte Ringe zu synthetisieren, die auf anderem Wege schwierig zu erhalten sind, neue Anwendungen für diese faszinierenden Produkte eröffnet. Als einen letzten Blick in die aufregenden Chemie der Zukunft, die im Labor evolvierte Enzyme ermöglichen werden, will ich beschreiben, wie wir jetzt biokatalytische Maschinerien erschaffen können, die in der Biologie unbekannte Bindungen knüpfen. Silicium ist das zweithäufigste Element in der Erdkruste. Trotz seiner Verbreitung existieren in der biologischen Welt keine Kohlenstoff-Silicium-Bindungen. Laboratorien stellen solche Bindungen aber her, und zwar viel davon. In dem Raum, in dem Sie gerade sind, finden sich Dichtmittel, Kitt, Kopfhörer, Haargele und viele andere Produkte mit menschgemachten Kohlenstoff-Silicium-Bindungen. Im Jahr 2016 entdeckte Jennifer Kan mit ihrem Team, dass Hämproteine die Carben-Insertion in Si-H-Bindungen zur Bildung verschiedener siliciumorganischer Verbindungen katalysieren können.32 Wir sind besonders stolz auf ein fabelhaftes kleines Cytochrom c aus Rhodothermus marinus, das aus einem heißen Salzwassertümpel auf Island isoliert wurde und sich nun in der Protein Data Bank befindet. Dieses Cytochrom c hält sein Häm über eine kovalente Bindung fest. Es ist handhabbare 124 Aminosäuren lang, seine dreidimensionale Struktur ist bekannt und es ist äußerst stabil. Mit einer Schmelztemperatur von über 100 °C kann man es sogar sieden, ohne dass es seine Faltung oder seinen Metall-Kofaktor verliert. Obwohl seine biologische Funktion der Elektronentransfer ist, katalysiert es zufällig auch die Si-H-Insertion: Rma cyt c insertiert das von Methylethyldiazoacetat abgeleitete Carben in Dimethylphenylsilan mit 40 Turnovers und 97 % Enantiomerenüberschuss (ee). Wer Cytochrome c kennt, dürfte irritiert von dieser Reaktivität sein. Das Eisen in einem Cytochrom c ist koordinativ gesättigt, d. h. vier äquatoriale Stickstoffliganden stammen vom Porphyrinring, während im Rma cyt c ein Methionin- und ein Histidinrest die beiden axialen Liganden liefern. Man kann deshalb

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