Selbstbestimmtes Sterben
2021; Hans Huber; Volume: 110; Issue: 11 Linguagem: Alemão
10.1024/1661-8157/a003747
ISSN1661-8165
AutoresMarkus Schneemann, Paolo M. Suter,
Tópico(s)Patient Dignity and Privacy
ResumoFree AccessSelbstbestimmtes SterbenMarkus Schneemann and Paolo M. SuterMarkus SchneemannPD Dr. med. Markus Schneemann, Spitäler Schaffhausen: Kantonsspital Schaffhausen, Innere Medizin, Geissbergstrasse 81, 8208 Schaffhausenmarkus.schneemann@spitaeler-sh.ch Kantonsspital, SchaffhausenSearch for more papers by this author and Paolo M. SuterProf. Dr. med. Paolo M. Suter, Universitätsspital Zürich, Rämistrasse 100, 8091 Zürichpaolo.suter@usz.ch Universitätsspital Zürich, ZürichSearch for more papers by this authorPublished Online:September 01, 2021https://doi.org/10.1024/1661-8157/a003747PDF ToolsAdd to favoritesDownload CitationsTrack Citations ShareShare onFacebookTwitterLinkedInReddit SectionsMoreIn dieser Ausgabe der Praxis findet sich ein CME-Artikel zum Thema «Selbstbestimmtes Sterben» verfasst durch Roland Kunz und Heinz Rüegger – in Einklang mit ihrem vor Kurzem publizieren Buch «Über selbstbestimmtes Sterben – zwischen Freiheit, Verantwortung und Überforderung» [1]. Der Untertitel unterstreicht die Komplexität und Schwierigkeiten dieser Thematik. Freiheit, Verantwortung und Überforderung sind auch wiederkehrende Charakteristika und Herausforderungen eines sinnvollen Lebens.Gemäss Wikipedia ist der Begriff der Selbstbestimmung bzw. des Selbstbestimmungsrechts kein fixer Bestandteil der Rechtsordnung, sondern muss im Kontext der Menschenrechte gesehen werden [2]. Entsprechend hat jede Erdenbürgerin/jeder Erdenbürger das Recht, Angelegenheiten in ihrem/seinem Leben gemäss dem eigenem Empfinden zu entscheiden und zu regeln – auch das Sterben –, allerdings muss dies in Einklang mit der gängigen Regel- und Rechtsordnung sein [2]. So hat jede/r das Recht – zumindest theoretisch –, ihr/sein Sterben selber zu bestimmen – ein nicht leichtes Unterfangen für alle Beteiligten – im Besonderen auch für uns Ärztinnen und Ärzte. Dieser Wunsch zeigt sich auch in der Erwartung eines jeden auf einen «sanften guten Tod», gleichzeitig – und dies geht immer wieder vergessen – hat aber auch jede/r ein Anrecht auf ein gutes und sinnvolles Leben unter Berücksichtigung der Menschenrechte. Die Menschenrechte werden aber vielerorts bereits zu Lebzeiten ignoriert. Im aktuellen Zusammenhang spricht man von Nekropolitik bzw. Nekromacht [3].Der zeitlich unbestimmte Endpunkt unseres Lebens ist die Voraussetzung für ein sinnvolles Leben, zumal die beschränkte Lebenslänge für den Menschen der Motivator zur optimalen Nutzung seiner Zeit darstellt, nach dem Merksatz «Ars longa, vita brevis», erwähnt bei Seneca [4] . Nichts sollte verschoben werden, wie uns auch schon Viktor Frankl lehrte: Ein erfülltes sinnvolles Leben erleichtert den Abschied vom Leben [5]. Dies unterstreicht, dass die Diskussion um ein «selbstbestimmtes Sterben» nicht erst am Ende des Lebens geführt werden sollte. Sinnvoll und zufrieden leben ist wohl die beste Vorbereitung auf das Sterben. Mehr im Jetzt leben und handeln und nichts zu verschieben öffnet neue Perspektiven und Möglichkeiten [6].In Zeiten der COVID-19-Pandemie rückt die Selbstbestimmung vermehrt ins Zentrum des Interesses und wird vielseitig kontrovers diskutiert und gelebt. Wir alle wissen, dass Selbstbestimmung in vielen Lebensbereichen zunehmend eine Illusion wird [7]. So wird der Zeitpunkt der Geburt vermehrt pharmakologisch gesteuert; wen wundert es, dass die Gesellschaft auch den Tod «steuern» will. Der Wunsch nach selbstbestimmten Sterben beinhaltet nicht nur ethische, medizinische, palliative Aspekte, sondern zunehmend auch politische und ökonomische Gegebenheiten. Als Ärztinnen und Ärzte diskutieren wir ethische und medizinische Aspekte um das selbstbestimmte Sterben, vergessen aber, dass bei globaler Betrachtung unser ganzes Leben und Dasein – inklusive Sterben und Tod – zunehmend instrumentalisiert wird. Unsere Überforderung ist vorprogrammiert.Die Schweizer Ärztin Dr. Elisabeth Kübler-Ross (Abb. 1) rückte das Thema Tod und Sterben in unser aller Bewusstsein. Eine zentrales Anliegen von Kübler-Ross war, dass ihre Arbeit mit den Sterbenden sie gelehrt hat, richtig zu leben, d.h. ohne Angst zu leben und sich keine das Leben und den Tod schwer machende «unerledigte Geschäfte» zu erlauben [8]. Die Kontroverse um bestimme Ansichten und Aussagen dieser Pionierin der modernen Sterbeforschung ist in Anbetracht der vielen Wissenslücken um das Thema Sterben und Tod verständlich, aber wohl eher auch Ausdruck unserer Hilflosigkeit gegenüber diesem unausweichlichen Ereignis [9]. Im Moment erleben wir in Anbetracht der Überalterung, COVID-19, politischen Entwicklungen, Kostenexplosion im Gesundheitswesen und der zunehmend konsumorientierten Gesellschaft ein Revival der Thematik. Einen Hauptgrund dafür erkannte schon Kübler-Ross: «The more we are achieving advances in science, the more we fear and deny the reality of death» [10]. Die medizinischen Möglichkeiten sind beinahe grenzenlos, was sicherlich vielen Patientinnen und Patienten zugute kommt, aber gerade bei multimorbiden alten Menschen zu schwierigen Entscheidungen führt.Abbildung 1 Dr. Elisabeth Kübler-Ross, Universität Zürich, Zürich-Irchel, 18. Dezember 1982 (Fotos Paolo M. Suter). Der Vortrag, an dem diese Aufnahmen entstanden sind, kann auf YouTube angehört werden (https://www.youtube.com/watch?v=74_Qv0OkyOU).Am Ende des Tages zählt die Lebensqualität mehr als die Quantität und ein «gutes» Sterben beginnt mit einem autonomen selbstbestimmten Leben, in dem die Endlichkeit eines jeden akzeptiert wird, und uns zu einem sinnvollen Leben und Handeln im Hier und Jetzt motiviert. Ob dies in der modernen Gesellschaft für alle möglich ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt.Bibliografie Rüegger H, Kunz R. Über selbstbstimmtes Sterben. Zwischen Freiheit, Verantwortung und Überforderung. Zürich; Rüffer & Rub: 2020. First citation in articleGoogle Scholar Wikipedia: Selbstbestimmungsrecht. 2021. https://de.wiki pedia.org/&wiki/Selbsbestimmungsrecht; letzter Zugriff: 10. Juli 2021. First citation in articleGoogle Scholar Estévez A (ed). Necropower in North America. The legal spatializaton of disposability and lucrative death. Palgrave Macmillan. Cham; Springer Nature: 2021. First citation in articleCrossref, Google Scholar Seneca LA. De brevitate vitae: Lateinisch/Deutsch. Von der Kürze des Lebens. Marion Giebel (Hrsg). Stuttgart; Reclam: 2008. ISBN 978–3-15–018545–2. First citation in articleGoogle Scholar Frankl VE. Ärztliche Seelsorge. Wien; Franz Deutike: 1948. First citation in articleGoogle Scholar Frankl VE. Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. 3. 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