S1‐Leitlinie Diagnostik und Therapie der Livedovaskulopathie
2021; Wiley; Volume: 19; Issue: 11 Linguagem: Alemão
10.1111/ddg.14520_g
ISSN1610-0387
AutoresMarie‐Luise Schiffmann, Joachim Dissemond, Cornelia Erfurt‐Berge, Jürg Hafner, Babak Alexander Itzlinger‐Monshi, Hans Wilfried Jungkunz, Birgit Kahle, Alexander Kreuter, Karin Scharffetter‐Kochanek, Stine Lutze, Klemens Rappersberger, Stefan W. Schneider, Anke Strölin, Cord Sunderkötter, Tobias Goerge,
Tópico(s)Dermatological and COVID-19 studies
ResumoZur standardisierten Darstellung der Empfehlungen wurden die in Tabelle 1 dargestellten Begrifflichkeiten und Symbole verwendet. "wird empfohlen" oder "… soll …" "kann empfohlen werden" oder "… sollte …" "wird nicht empfohlen" "… soll nicht …" Die Livedovaskulopathie (LV) ist eine chronisch rezidivierende Gefäßerkrankung, bei der es durch Thrombosierung in der Mikrozirkulation zu einer Minderperfusion und anschließenden Ulzeration der Haut kommt. Die Ulzerationen betreffen ausschließlich die untere Extremität, insbesondere die Malleolarregion. Es gibt unterschiedliche Begriffe, die das Krankheitsbild der LV beschreiben: Livedo reticularis mit Sommerulzerationen, hyalinisierende Vaskulitis, PPURPLE (painful purpuric ulcers with reticular pattern of lower extremities), Livedovaskulitis; idiopathische Atrophie blanche. Der ICD-10-Code führt die Erkrankung als L95.0 Livedo-Vaskulitis inkl.: Capillaritis alba. Die erste Beschreibung einer Endothelproliferation mit Gefäßokklusionen stammt aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts [1]. Die Autoren beobachteten erstmalig das Auftreten neuer schmerzhafter Ulzerationen im Sommer, sogenannte Sommerulzerationen. Diese traten in Assoziation mit einer Livedozeichnung auf. Die Bezeichnung als hyalinisierende Vaskulitis [2] orientiert sich an dem histologischen Bild der Erkrankung. Durch den Begriff der Vaskulitis wird der Fokus allerdings fälschlicherweise auf einen entzündlichen Pathomechanismus gelegt. Dies gilt auch für den Begriff der Livedovaskulitis, obwohl es sich primär nicht um eine Vaskulitis, also eine primär entzündliche Gefäßerkrankung handelt [3]. Die in der englischsprachigen Literatur zu findende Bezeichnung als painful purpuric ulcers with reticular pattern of lower extremities (PPURPLE) hebt die untere Extremität als Manifestationsort hervor [4]. Als Resultat von narbigen Umbauprozessen entsteht die Atrophie blanche. Hierbei handelt es sich um eine blitz- oder sternförmige, porzellanfarbene Narbe. Synonym wird der Begriff Capillaritis alba verwendet [5]. Die Erkrankung tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf. Beschrieben wird ein Geschlechterverhältnis von 2,1 : 1 [6, 7] oder von 3 : 1 [8]. Die Expertengruppe geht von einem Frauen-Männer-Verhältnis von 3 : 1 aus. Es liegen kaum Angaben zur Inzidenz der LV vor. Fritsch et al. geben einen eigenen Erfahrungswert von 1 : 100 000 Personen pro Jahr an [9]. Angaben zum Alter bei Erstdiagnose schwanken zwischen einem Median von 32 und 53 Jahren [10]. Es sind aber auch Fälle bei jungen Patientinnen beschrieben [11]. Als Kofaktoren sind ein erhöhter Body-Mass-Index sowie arterielle Hypertonie beschrieben. Es konnten bisher keine spezifischen Begleiterkrankungen (Komorbidität) identifiziert werden, die mit gehäuftem Auftreten der LV im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung assoziiert sind. Die Pathomechanismen der Livedovaskulopathie sind aktuell noch nicht geklärt. Als gesichert gilt allerdings, dass es in der Feinabstimmung der Hämostase durch ein Übergewicht prokoagulatorischer Faktoren zur Thrombusbildung in der Mikrozirkulation der oberen und mittleren Dermis mit konsekutiver kutaner Ischämie kommt (Hautinfarkt) [12]. Es wurden mehrere prokoagulatorische Faktoren bei LV beschrieben. Hierzu gehören Defekte der endothelialen Plasminogen-Aktivierung, Thrombozytenfunktionsstörungen und erhöhte Fibrinbildung. Fibrinablagerungen und Thrombusbildung führen zu Gewebeischämie und in der Folge zur Ulzeration. Zudem sind durch die eingeschränkte Perfusion die Wundheilung sowie die transendotheliale Leukozytenmigration eingeschränkt, was wiederum Wundinfektionen begünstigt [13-15]. Bei Patienten mit LV finden sich eine erhöhte Inzidenz von Anticardiolipin-Antikörpern, Lupus-Antikoagulans, erhöhte Spiegel des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors (PAI-1-4G/5G Polymorphismus) sowie eine verminderte Aktivität des gewebespezifischen Plasminogenaktivators (tissue-type plasminogen activator, t-PA) [16]. Darüber hinaus kann die Thromboseneigung durch Antithrombin-III-Mangel, Protein-C- oder -S-Mangel begünstigt werden. Selten besteht eine Assoziation mit der Prothrombin-G20210A-Mutation, Kryoglobulinen oder der Faktor-V-Leiden-Mutation [6, 17, 18]. Bei Störungen der Methylentetrahydrofolat-Reduktase kommt es zur Beeinträchtigung des Homocysteinstoffwechsels, was ebenfalls die Thromboseneigung erhöht [19, 20]. Ein weiterer prokoagulatorischer Parameter in der Diagnostik der LV ist ein erhöhter Lipoprotein(a)-Spiegel. Lipoprotein(a) hat strukturelle Ähnlichkeit mit Plasminogen und besitzt hierdurch antifibrinolytische Eigenschaften, was die Thromboseneigung erhöht. Somit ist ein erhöhter Lipoprotein(a)-Spiegel auch ein kardiovaskulärer Risikofaktor [11, 21, 22]. Auch wenn es mittlerweile Konsens ist, dass die LV eine Gerinnungserkrankung ist, zeigten umfangreiche Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven, dass sich in weniger als der Hälfte der Fälle pathologische Veränderungen bekannter prokoagulatorischer Faktoren identifizieren lassen [23]. Umgekehrt ist das Vorliegen einer der oben genannten Anomalien nicht regelmäßig mit dem Auftreten einer LV assoziiert. Ebenso ist der Manifestationsort pathogenetisch relevant. Wegen des hohen Perfusionsdrucks und der niedrigen Temperatur der unteren Extremität liegt hier eine geringere Konzentration thrombolytischer Faktoren vor. Dies führt zu erhöhter Thromboseneigung [24]. Eine statistisch erhöhte Assoziation mit Malignomen wird nicht beobachtet. Sekundäre LV-artige Läsionen können allerdings bei Autoimmunerkrankungen oder Malignomen auftreten, hier sind kausale Therapie und weitere Diagnostik erforderlich [11, 25]. Die Erkrankung verläuft in drei, typischerweise rezidivierenden Stadien, die daher bei einem Patienten oft gemeinsam beobachtet werden können. Im ersten Stadium tritt bei entsprechender Disposition zunächst eine Livedo-racemosa-Zeichnung auf. Hierbei handelt es sich um livide, unregelmäßig begrenzte, netzförmige Maculae. Ursächlich für diese Maculae ist eine Minderperfusion des Stratum reticulare der Dermis. Die netzförmige Zeichnung entsteht durch segmentüberlappende Perfusion, wobei die an das minderperfundierte Areal angrenzenden Gefäße die Versorgung bis auf Restzonen kompensieren. Abzugrenzen von der Livedo racemosa ist die durch Hypoxygenierung und Strömungsverlangsamung funktionell bedingte Livedo reticularis. Hier zeigen sich klinisch regelmäßige und geschlossene livide Ringstrukturen, zum Beispiel nach Kälteexposition. Im zweiten Stadium entwickelt sich aus der Minderperfusion eine Gewebsischämie. Typischerweise geht neuen Ulzerationen ein brennender Schmerz, der auf die betroffene Region (Manifestationsort) begrenzt ist, voraus. Dieser sehr punktuelle Schmerz tritt in der Prodromalphase der Erkrankung auf und wird als "Angina cutis" bezeichnet [12]. Zwischen der Angina cutis (Prodromalphase) und dem Auftreten von Nekrosen liegen meist 1–3 Tage. In dieser Zeitspanne kann die Gewebenekrose durch schnelle Therapieeinleitung häufig noch verhindert werden. Nach Überschreiten dieser Prodromalphase ohne therapeutische Intervention kommt es zur Manifestation von Nekrosen und zum Teil hämorrhagischen Blasen als Ausdruck der ischämisch verursachten Nekrolyse der Epidermis. Im Verlauf entsteht eine Ulzeration mit Krustenbildung. Als chronische Manifestation und Endpunkt narbiger Umbauprozesse entsteht die Atrophie blanche. Hierbei handelt es sich um eine blitz- oder sternförmige, porzellanfarbene Narbe. Die klassische Klinik ist wie beschrieben gekennzeichnet durch eine Trias aus Livedo racemosa, Ulzerationen mit starken Schmerzen und Atrophie blanche. Die klinischen Zeichen können je nach Verlauf isoliert oder kombiniert auftreten. Keines dieser Kardinalsymptome ist pathognomonisch für die LV. Der Verlauf ist chronisch, Phasen der Abheilung und eines neuen Schubes können sich überlappen. Auch eine neurologische Beteiligung ist möglich, diese manifestiert sich mit Dys- und Hypästhesien. Die Symptomatik schwankt saisonal, bei einigen Patienten kommt es zu einer Verschlechterung in den Sommermonaten. Besonders hervorzuheben ist allerdings, dass die LV ein ganzjährig vorkommendes Krankheitsbild ist. Entgegen der synonymen Namensgebung (siehe oben) summer ulceration wird die LV ganzjährig beobachtet. Das Auftreten im Sommer ist für die Diagnosestellung nicht erforderlich. Sowohl jahreszeitliche Häufungen als auch ganzjährige Manifestationen sind möglich. Der Manifestationsort ist die untere Extremität, insbesondere die Malleolarregion ist betroffen. Oberhalb des Knies tritt die Erkrankung in der Regel nicht auf [6]. Von besonderer Bedeutung ist die Einschränkung der Lebensqualität durch die LV. Die Erfassung des Dermatology Life Quality Index (DLQI) ist sowohl in der Diagnosestellung als auch im Verlauf der Erkrankung sehr wichtig und sollte auch bei Entscheidungen zu Therapieänderungen herangezogen werden. Es kann ein Wert von bis zu 30 erzielt werden. Ein DLQI größer 10 zeigt bereits einen starken negativen Einfluss auf die Lebensqualität an. Bei Patienten mit LV ist die Lebensqualität stark beeinträchtigt mit deutlicher Erhöhung des DLQI auf bis zu 17,8 [23, 26, 27]. Eine ergänzende Möglichkeit zur Erfassung der Lebensqualität der Patienten bei Ulzeration ist der Wound-QoL [28]. Die Diagnose der LV kann in Zusammenschau von typischer Klinik und Histologie gestellt werden. Wegweisend in der Anamnese sind die streng auf den Manifestationsort lokalisierten brennenden Schmerzen (Angina cutis), die ganzjährig auftreten können. Das Intervall zwischen den ersten Symptomen und der Diagnosestellung liegt laut Literatur zwischen vier Monaten und über sieben Jahren [6]. Hierdurch findet sich bei vielen Patienten bereits eine fortgeschrittene narbige Umwandlung der Haut am Manifestationsort. Ziel sollte ein früher Therapiebeginn und somit die Vermeidung dieser irreversiblen Vernarbungen sein. Unterschiedliche Kriterien für die Diagnosestellung wurden in Tabelle 2 zusammengefasst. – Prothrombotische Parameter – Häufig (bei LV): – Lipoprotein(a)-Erhöhung – Antithrombin-III-Erhöhung – Hyperhomocysteinämie – Selten (bei LV): – Faktor-V-Mutation – Prothrombin-G20210A-Mutation – Plasminogenaktivator-Inhibitor-Defizienz – Protein-C- und Protein-S-Defizienz Histologie: – intraluminale Fibrinthrombi – subintimale hyaline Ablagerungen – keine primär entzündlichen Veränderungen – endotheliale Proliferation – Komorbiditäten – (BMI > 25 kg/m2, Hypertonie) Die histologische Sicherung der Diagnose gelingt nur im Akutstadium der Erkrankung, im Stadium der Ischämie. Hierzu sollte ein ausreichend großes Präparat (möglichst ein Spindelbiopsat) aus dem Randbereich des betroffenen Areals entnommen werden. Charakteristisch sind Fibrinablagerungen in den Gefäßwänden, oft schwierig zu erkennen, sowie Fibrinthromben vor allem in Gefäßen der oberen und mittleren Dermis. Perivaskuläre entzündliche Infiltrate und Leukozytoklasie sind für die Erkrankung nicht charakteristisch und finden sich im Akutstadium allenfalls in geringem Maße. Prominente entzündliche Durchsetzung der Gefäßwände oder (fibrinoide) Gefäßwandnekrosen sollten an ein primär vaskulitisches Geschehen denken lassen. Bei Entnahme der Probe zu einem späteren Zeitpunkt kann ein sekundäres entzündliches Infiltrat vorhanden sein [12]. Das Stadium der Atrophie blanche ist gekennzeichnet durch eine gefäßarme Narbe mit atropher Epidermis. Zudem kann es zur Reorganisation der Thromben mit subintimaler Proliferation mit segmentaler Hyalinisierung der Gefäßwände und der Dermis kommen [9]. Die Immunfluoreszenzdiagnostik ist unspezifisch. Der Nachweis von Immunglobulinen oder Komplementablagerungen ist eine unspezifische Begleitreaktion ohne pathogenetische Relevanz, die diagnostisch nicht entscheidend ist [12]. Verschiedene prothrombotische Parameter sind gehäuft mit LV assoziiert [8, 12, 29, 30] (Tabelle 3). Hierzu gehören sowohl Parameter, die eine Hyperkoagulation bedingen, als auch Parameter, welche die Fibrinolyse beeinträchtigen. Das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Parameter kann das Risiko der Manifestation noch über die reine Addition des Risikos hinaus erhöhen [20]. Zur Bestimmung der prothrombotischen Parameter wird aufgrund der hohen Kosten eine Kooperation mit spezialisierten Zentren empfohlen. Auch bei Nachweis eines dieser Parameter kann die Diagnose LV nur in Zusammenschau von Klinik und Histologie gesichert werden [12]. Das Vorliegen von Laborveränderungen ist nicht pathognomonisch. Bei Nachweis einer Hepatitis C sollten Kryoglobuline bestimmt werden [31]. Zur Thrombophilie-Diagnostik sei auf die S2-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie verwiesen (DGA 2015, https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-002l_S2k_VTE_2016-01.pdf). – Lipoprotein (a) – Kryoglobulin – Kryofibrinogen – Kälteagglutinin – Homocystein (nüchtern) – Vitamin B6 – Vitamin B12 – Folsäure – Protein C – Protein S – Antithrombin – antinukleäre Antikörper – Lupus-Antikoagulans – Anticardiolipin vom IgG-/IgM-Typ b2-Glykoprotein-1-Antikörper vom IgG-/IgM-Typ – Faktor-V-G1691A-Mutation – Prothrombin-G20210A-Mutation – MTHFR-C677T-Polymorphismus (Methylentetrahydrofolatreduktase) – PAI-1-4G/5G-Polymorphismus (Plasminogenaktivator-Inhibitor) In größeren Kollektiven lag der Nachweis prokoagulatorischer Faktoren < 50 % [6]. Gelingt der Nachweis prokoagulatorischer Parameter spricht man von einer sekundären LV, ohne Nachweis prokoagulatorischer Parameter liegt eine primäre LV vor. Im Einzelfall kann eine Erweiterung der Diagnostik unter Einbeziehung eines Hämostaseologen sinnvoll sein. Antiphospholipid-Antikörper (EK +1,7) (Lupus-Antikoagulans, Anticardiolipin-Antikörper, β2-Glykoprotein-1-Antikörper) Differenzialdiagnostisch kann die LV vor allem durch die typische Klinik (stechende Schmerzen, ganzjähriges Auftreten) und die charakteristische histologische Präsentation im frühen Stadium von anderen Erkrankungen, die mit Ulzerationen an den Unterschenkeln einhergehen, abgegrenzt werden. – Polyarteriitis nodosa (PAN) (EK +1,8) – Sneddon-Syndrom (EK +1,6) – Antiphospholipid-Syndrom (EK +1,6) – Ulcus cruris venosum (EK +1,4) – Calciphylaxie (EK +1,4) – ANCA-positive Vaskulitiden (EK +1,3) – Kryoglobulinämie (EK +1,3) – Ulcus cruris arteriosum (EK +1,1) – Ulcus cruris mixtum (EK +1,1) – Ulcus hypertonicum Martorell (EK +1,1) – Medikamentös verursachte Ulzerationen (zum Beispiel Hydroxyurea) (EK +1) – Pyoderma gangraenosum – Essenzielle Thrombozythämie – Cholesterinembolie – Hämoglobinopathien (Sichelzellanämie, Sphärozytose) – IgA/IgG/IgM-Vaskulitiden – Systemische Sklerose Die wichtigsten beiden Differenzialdiagnosen sind Folge degenerativer Gefäßkrankheiten, das Ulcus cruris arteriosum bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) und das Ulcus cruris venosum bei chronisch venöser Insuffizienz (CVI). Patienten mit pAVK zeigen häufig an den Beinen, vor allem den Unterschenkeln, gleichzeitig Livedo-racemosa-artige Erytheme, schmerzhafte Ulzera und eine Atrophie blanche, somit ähnelt das klinische Bild einer LV. Die pAVK tritt allerdings bei älteren Patienten als die LV auf, ist häufig mit internistischer Komorbidität assoziiert und kann in einer angiologischen Untersuchung unter anderem mit der Bestimmung der arteriellen Verschlussdrücke abgegrenzt werden. Das Ulcus cruris venosum entwickelt sich meist langsamer und es finden sich neben dem duplexsonographisch nachweisbaren Reflux oft bereits Dermatoliposklerose, gelblich-braune Hyperpigmentierungen (Purpura jaune d'ocre), sichtbare Varikosis [32] sowie eine Corona phlebectatica paraplantaris. Weiterhin ist die kutane Polyarteriitis nodosa (PAN) differenzialdiagnostisch zu erwägen. Eine Gemeinsamkeit zur LV ist die Livedo racemosa. Vor Auftreten der Ulzeration finden sich meist tastbare subkutane Nodi. Zudem können Dysästhesien an den betroffenen Extremitäten im Sinne einer Mononeuritis multiplex bestehen. Bei der kutanen PAN fehlt eine Organbeteiligung. Therapeutisch zeigt sich meist ein initiales Ansprechen auf Glukokortikoide [33]. Histologisch findet sich eine Vaskulitis mittelgroßer Gefäße beziehungsweise der Arteriolen an der Grenze zwischen Subkutis und Dermis, also an Gefäßen "unterhalb" der bei LV betroffenen Gefäße [34]. In Abgrenzung zum Pyoderma gangraenosum fehlt bei der LV der unterminierte livide Randsaum [9]. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Lokalisation (70 % an der Streckseite der Unterschenkel), die schnelle Größenzunahme und das Pathergiephänomen. Das Pyoderma gangraenosum kann am gesamten Körper auftreten, wohingegen die LV auf die Unterschenkel begrenzt gesehen wird. Zudem spricht es sehr gut auf systemische Glukokortikoide oder Ciclosporin an [35]. Differenzialdiagnostisch müssen zudem sich kutan manifestierende Vaskulitiden [36] und die mit Kryoglobulinämie assoziierte Vaskulitis bedacht werden [37, 38]. Sekundäre LV-artige Läsionen können bei Autoimmunerkrankungen oder Malignomen auftreten, hier sind eine kausale Therapie und weitere Diagnostik erforderlich [11]. Auch abzugrenzen sind okkludierende Vaskulopathien wie die okkludierende Vaskulopathie bei Kryoglobulinämie Typ I [37]. Zur Vermeidung des Fortschreitens des chronisch rezidivierend auftretenden Hautinfarktes mit narbiger Umwandlung des Manifestationsortes, ist der frühzeitige Beginn einer medikamentösen Therapie erforderlich. Durch zunehmendes Bewusstsein für die Erkrankung und die differenzialdiagnostische Erwägung der Diagnose "LV" sollte das Intervall von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung verkürzt werden. Reihenfolge der Therapie-Empfehlung entsprechend dem Expertenkonsens (EK) (Tabelle 5) 1. Niedermolekulares Heparin 2. Rivaroxaban/ DOAK – Phenprocoumon/ Warfarin – Iloprost – Vitamin B6, B12 und Folsäure (bei Hyperhomocysteinämie) – NSAR – Glukokortikoide – Fibrinolytika – hyperbare Sauerstofftherapie – PUVA – Danazol – Blutegel Behandlungsalpgorithmus bei 1 st-line Antikoagulation (Abbildung 1) Niedermolekulares Heparin Die Therapie mit niedermolekularem Heparin (NMH) führt in den meisten Fällen zu schnellem Ansprechen [6]. Empfohlen wird eine halbtherapeutische Dosis als Erhaltungstherapie (zum Beispiel 1 mg/kg Körpergewicht [KG] s.c. 1 x täglich bei Enoxaparin (off label)). Einer klinischen Verschlechterung der Ulzerationen geht meist eine Phase mit zunehmenden Schmerzen voraus. Hilfreich zur frühzeitigen Feststellung einer Verschlechterung ist hier ein Schmerztagebuch [12, 39]. Bei Schmerzzunahme sollte dementsprechend eine Dosissteigerung erfolgen. Bei Exazerbation sollte eine Steigerung auf die volltherapeutische Dosis erfolgen (zum Beispiel 1 mg/kg KG s.c. 2 x täglich morgens und abends bei Enoxaparin (off label)). Das Ansprechen zwischen Therapiebeginn oder Dosissteigerung und einem Rückgang der Schmerzen liegt bei 2–4 Tagen, sodass ein Therapieerfolg schnell evaluiert werden kann. Zu den möglichen Nebenwirkungen der Heparintherapie gehört unter anderem die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT). Daher kann in den ersten 4 Wochen 2 x/Woche eine Thrombozytenkontrolle sinnvoll werden. Eine Dosisreduktion ist bei schwerer Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance 15–30 ml/min) erforderlich, da anderenfalls das Blutungsrisiko erhöht ist. Unter der Therapie sollten regelmäßige Laborkontrollen erfolgen, da es zum Anstieg der Leberwerte kommen kann. Das Risiko einer Osteoporose ist gering [40]. Niedermolekulares Heparin kann auch bei Kindern zur Behandlung der LV eingesetzt werden (off label) [11, 41]. Bei den direkten oralen Antikoagulanzien wird zwischen den Faktor-Xa-Inhibitoren – Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®), Edoxaban (Lixiana®) – und dem Thrombinhemmer Dabigatran (Pradaxa®) unterschieden [42, 43]. Die meisten Erfahrungen zur Therapie der LV liegen für eine Therapie mit Rivaroxaban vor. In Studien erfolgte der Einsatz von Rivaroxaban 10 mg 1 x täglich zur Erhaltungstherapie und 10 mg 2 x täglich bei Exazerbation oder Rezidiv. In diesen Fällen konnte eine rasche Schmerzreduktion nachgewiesen werden [23]. Vorteil ist, dass die Einnahme oral erfolgt und ein Monitoring der Gerinnungsparameter nicht erforderlich ist. Hierdurch zeigte sich in Studien eine bessere Adhärenz der Patienten [10]. Weiterhin liegen Einzelfallberichte über den erfolgreichen Einsatz von Apixaban (10 mg/Tag), Edoxaban (15–60 mg/Tag) oder Dabigatran (220 mg/Tag) zur Therapie der LV vor [42-44]. Bei Vorliegen von Antiphospholipid-Antikörpern sollte keine Therapie mit DOAK erfolgen, da sich unter einer Therapie mit Rivaroxaban bei Patienten mit Antiphospholipid-Syndrom ein erhöhtes Risiko für rezidivierende thrombotische Ereignisse zeigte [45]. Intravenöse Immunglobuline (IVIG) stellen eine sinnvolle therapeutische Maßnahme dar. Die Autoren empfehlen eine Dosis von 2 g/kg KG (off label), diese Therapie kann zur Verbesserung der Verträglichkeit auf 2–5 Tage aufgeteilt werden. Monshi et al. konnten eine signifikante Schmerzreduktion sowie Verbesserung des DLQI bereits nach sechs Therapiezyklen zeigen [26]. Fallserien weisen auf ein gutes Therapieansprechen, insbesondere bei therapierefraktären Ulzerationen hin [46-48]. Der genaue Wirkmechanismus ist noch nicht geklärt. IVIG modulieren die Zytokin-Produktion, neutralisieren Pathogene und inhibieren die komplementvermittelte Gewebeschädigung [49]. Eine Besonderheit sind die hohen Therapiekosten. Nebenwirkungen sind vor allem allergische Exantheme und Kopfschmerzen. Phenprocoumon (zum Beispiel Marcumar) und Warfarin (zum Beispiel Coumadin) inhibieren die Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren sowie die für die Mikrozirkulation relevanten antikoagulatorischen Proteine C und S. Der therapeutische Bereich liegt bei einem INR zwischen 2,5 und 3,5. Bei Protein-C- oder Protein-S-Mangel muss bei Therapieeinleitung eine zusätzliche Therapie mit Heparin erfolgen. Hintergrund ist die kürzere Halbwertszeit der antikoagulatorischen Proteine C und S im Vergleich zu den prokoagulatorischen Faktoren (II, VII, IX und X), was zu einem prothrombotischen Zustand führt und insbesondere bei schon vorher bestehendem Mangel von Protein C und S kurz nach Einleitung der Therapie das Risiko von Cumarin-Nekrosen deutlich erhöht [50]. Aufgrund von neuen sicheren Alternativen und aufgrund der Verminderung der Protein-S- und -C-Konzentration, stellen Cumarin-Derivate nur noch in Ausnahmefällen (zum Beispiel Antiphospholipidsyndrom) eine Therapieoption dar (off label). Eine Therapie mit Iloprost führte in Fallvorstellungen zu guter Abheilung der Ulzerationen. Die dort empfohlene Dosierung liegt bei 1–2 ng Iloprost/kg KG/min i.v. über sechs Stunden pro Tag in Intervallen von 1–4 Wochen [51]. Es liegen auch Berichte über ein- bis zweimal jährliche Infusionstherapien für jeweils fünf Tage bei erneutem Auftreten der Schmerzen vor [52]. Da im Gegensatz zur Vaskulitis kein primär entzündliches Geschehen, sondern die erhöhte Gerinnungsneigung ursächlich ist, haben Glukokortikoide in der Therapie der LV keinen direkten therapeutischen Nutzen. Lediglich bei assoziierten Autoimmunerkrankungen besteht eine therapeutische Relevanz im Rahmen der Therapie der Grunderkrankung. Es liegt ein Fallbericht für das Sjögren-Syndrom [53] und die Assoziation zum Lupus erythematodes vor [54]. Eine Grundkrankheit oder ein prokoagulatorischer Defekt sollten, wenn möglich, gezielt behandelt werden. Bei Störungen der Methylentetrahydrofolat-Reduktase kommt es zur Beeinträchtigung des Homocystein-Stoffwechsels mit Hyperhomocysteinämie. Hier zeigen Studien, zusätzlich zu einer Antikoagulation, einen positiven Effekt durch die Gabe von Vitamin B6, B12 und Folsäure zur Normalisierung des Homocysteinspiegels [20, 55, 56]. Für den Einsatz von NSAR ist bislang kein kausaler therapeutischer Nutzen beschrieben worden [6]. Im Hinblick auf eine supportive Schmerztherapie kann der Einsatz von NSAR allerdings erwogen werden [57]. Es liegen Einzelfallberichte über eine erfolgreiche Therapie mit hyperbarem Sauerstoff vor. Es erfolgten fünf Therapiesitzungen pro Woche je 90 Minuten über einen Zeitraum von 2–5 Wochen. Unter der Therapie zeigte sich nach einer Woche eine Schmerzreduktion, eine Abheilung der aktiven Läsionen wurde nach 3–4 Wochen beobachtet. Nach Beendigung der Therapie kam es teilweise nach circa sechs Monaten zum Rezidiv [58]. Zusammenfassend ist die hyperbare Sauerstofftherapie zeit- und kostenintensiv, es zeigte sich schnell eine Schmerzreduktion sowie eine klinische Besserung des Befundes [59]. Der Therapieerfolg in den vorliegenden Daten war teilweise nur von kurzer Dauer [58, 60]. Falls durch den Patienten toleriert, kann eine Kompressionstherapie der Kompressionsklasse I (KKLI) beziehungsweise mit 20 mmHg erwogen werden. Zudem kann versucht werden, auf große Temperaturschwankungen zu verzichten, da sie einer gleichmäßigen Perfusion entgegenwirken. Eine Vorstellung in einem Zentrum mit entsprechender Erfahrung in der Behandlung der LV wird empfohlen. Die Schmerztherapie sollte entsprechend dem WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie erfolgen. Im Hinblick auf die Wundtherapie sollte zusätzlich die S3-Leitlinie zur Wundtherapie (DGfW 2014, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/091-001.html) beachtet werden. Im seltenen Fall einer bakteriellen Superinfektion wird eine entsprechende antibiotische Therapie empfohlen. Bei therapierefraktären Ulzerationen kann eine Therapie mit gewebespezifischem Plasminogenaktivator (tissue-type plasminogen activator; t-PA) erwogen werden. Hierbei kommt es zur Aktivierung der Fibrinolyse. Für den therapeutischen Einsatz wird eine gentechnische Variante (Alteplase) verwendet. Zur Therapie der LV kann eine Dosis von 10 mg Alteplase pro Tag eingesetzt werden (off label). Diese Dosierung entspricht etwa einem Zehntel der Dosierung bei Myokardinfarkt oder Lungenembolie [10, 61]. Therapieerfolge wurden bei intravenöser Anwendung über jeweils vier Stunden an 14 Tagen berichtet [16]. Pentoxifyllin führt zu einer Stimulation der Prostacyclin-Synthese, vermindert die Thrombozytenaggregation, steigert die Fibrinolyse sowie die Beweglichkeit neutrophiler Granulozyten. In der Literatur gibt es ältere positive Berichte zur Therapie der LV mit einer Dosis von 400 mg 3 x täglich [62-64]. In neueren Untersuchungen konnte allerdings kein Effekt durch die alleinige Therapie mit Pentoxifyllin nachgewiesen werden [65]. Es liegen Einzelfallberichte von erfolgreichen Therapieverläufen unter einer systemischen PUVA-Behandlung mit 8-Methoxypsoralen (8-MOP) vor [66, 67]. Die Autoren diskutieren einen immunologischen Wirkmechanismus. Danazol ist ein synthetisches anaboles Steroid, das als Derivat des Testosterons androgene Eigenschaften hat. Zudem sind fibrinolytische Eigenschaften, sowie eine Reduktion des Lipoprotein(a)-Spiegels im Serum beschrieben. Zur Therapie der LV wurde in Studien 3–5 mg/kg Danazol oder 200 mg Danazol pro Tag verabreicht [68]. Hierunter kam es nach 1–2 Wochen zu einem Therapieansprechen [69]. Auffällig war insbesondere die Korrelation des Therapieansprechens mit dem Abfall des Lipoprotein(a)-Spiegels. Der Einsatz in der Therapie bei erkrankten jungen Frauen sollte im Hinblick auf die androgenen Eigenschaften und die damit verbundenen Nebenwirkungen nur sehr zurückhaltend gestellt werden. Die Indikationsstellung für eine Therapieoption soll unabhängig von den erfolgten Vortherapien durch den behandelnden Arzt getroffen werden. Abhängig von Schweregrad und Ausprägung der Symptomatik kann es in Einzelfällen notwendig sein oben genannte Therapieschritte zu überspringen, um für den Patienten ein gutes individuelles Therapiekonzept zu erstellen. Zusammenfassend hat sich in den vergangenen Jahren ein zunehmendes Bewusstsein für das Krankheitsbild der LV entwickelt. Der Expertenkonsens arbeitet heraus, dass die klassischen Sommer-Ulzerationen nur einen Bruchteil der LV-Patienten betreffen und das Krankheitsbild ganzjährig vorkommt. Insbesondere im Hinblick auf die mit der LV-assoziierten prothrombotischen Faktoren und den molekularen Pathomechanismus sind weitere Forschungsbemühungen erforderlich. Das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Faktoren kann das Risiko der Manifestation noch über die reine Addition hinaus erhöhen. Jedoch sind Laborveränderungen nicht pathognomonisch. Niedermolekulares Heparin und DOAK (zum Beispiel Rivaroxaban) sind als Therapie der 1. Wahl hervorzuheben (off label). Darüber hinaus sind IVIG eine wichtige therapeutische Option (off label). Die Therapie mit IVIG soll Patienten, die auf vorherige Therapieformen nicht genügend ansprechen, auch regelmäßig zur Verfügung gestellt werden. Zielsetzung der Therapie der LV als chronische Erkrankung ist die langfristige Besserung und Erhaltung der Lebensqualität. Open Access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch Projekt DEAL. Keiner.
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