Editorial
2016; Max Planck Institute for Legal History and Legal Theory; Volume: 2016; Issue: 24 Linguagem: Alemão
10.12946/rg24/005-008
ISSN2195-9617
Autores Tópico(s)Historical Economic and Legal Thought
ResumoDie Rechtsgeschichte steht in diesem Jahr im Zeichen der Translation. Im ersten Fokus geht es um kulturelle Übersetzer von Normativität, im zweiten um die Übersetzung von Rechtsgewohnheiten in Rechtsaufzeichnungen, eine Übersetzung in ein anderes Medium. Solche Translationsprozesse dürften einen Schlüssel zum Verständnis von lokalen, nationalen, regionalen oder globalen Rechtsgeschichten darstellen, sind in der Vergangenheit allerdings viel zu wenig beachtet worden. Am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte widmen wir ihnen deswegen seit einiger Zeit im Rahmen eines unserer Forschungsschwerpunkte gesteigerte Aufmerksamkeit. Die von Lena Foljanty zusammengestellten und eingeleiteten Beiträge im ersten Fokus Translators: Mediators of Legal Transfers stammen deswegen überwiegend aus der Arbeit an den Forschungsprojekten im Institut. Sie blicken auf das frühneuzeitliche Mexiko, auf Helmstedt im 18., Kairo im 19. und Kolumbien im 20. Jahrhundert. Eine Übersetzungsleistung im mehrfachen Sinn stellt auch der zweite Fokus dar. Tzung-Mou Wu aus Taiwan hat eine Reihe von Rechtshistorikerinnen und Rechtshistorikern aus der westlichen Welt gebeten, historische Erfahrungen im Umgang mit der Verschriftlichung von Rechtsgewohnheiten für das taiwanesische Nachdenken über die Frage aufzubereiten, wie die Rechtsgewohnheiten und das Gewohnheitsrecht der sog. indigenen Völker am besten zur Geltung gebracht werden können. Dieser Ansatz mag verwundern oder auf den ersten Blick an manche vielleicht nicht so glücklichen Versuche einer direkten Indienststellung der Rechtsgeschichte für die Gestaltung des Rechts der Zukunft erinnern. Doch abusus non tollit usum, und der vielfältige Rekurs auf die Geschichte dürfte zu den interessantesten Phänomenen der gegenwärtigen Debatte um die Rechte der sog. indigenen Völker gehören. Für die Beiträger lag darin eine nicht leicht zu lösende Aufgabe, ging es doch darum, große Fragen der rechtshistorischen Forschung in einer Weise zu übersetzen, die sie für Juristinnen und Juristen aus einer Region interessant sein lassen, welche trotz mancher historischer Berührungspunkte über ganz andere rechtskulturelle Erfahrungen verfügen. Der Bedarf an solchen Texten ist groß und dürfte immer weiter steigen. Tzung-Mou Wu weist in seinen einleitenden Bemerkungen auch auf einen anderen Aspekt hin, der unsere Disziplin beschäftigen muss: Die Gefahr, dass angesichts der zunehmenden Anglisierung der akademischen Diskurse selbst die in den großen europäischen Sprachen verfassten Ergebnisse gewichtiger Forschungstraditionen immer weniger Berücksichtigung finden. Auch dies macht Übersetzungsleistungen erforderlich, die wir in diesem Heft zu leisten versuchen. So publizieren wir Gerhard Dilchers ausführliche Bilanz seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit den Germanisten und ihrem Verhältnis zur Historischen Schule in englischer Sprache. Er zeichnet in ihr ein für manche Leserinnen und Leser sicherlich ungewohntes Bild von der deutschen Rechtswissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Viele bekannte, aber auch manche heute nur noch wenig gelesene große Juristen des 19. und 20. Jahrhunderts werden von ihm in einen Entwicklungsbogen eingeschrieben, der von Savigny bis Berman reicht. Nicht zuletzt wegen des scheinbaren Verschwindens der Germanistik nach 1945 sind viele von ihnen heute aus dem Gesichtskreis der Rechtsgeschichtsschreibung, aber auch der rechtswissenschaftlichen Reflexion gerückt. Einige Porträtfotos, mit denen wir dieses Heft ausgestaltet haben, sollen helfen, sie in Erinnerung zu rufen. Auch Jakob Zollmann arbeitet einen wichtigen Teil der deutschen Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts auf, wenn er sich der Austrägalgerichtsbarkeit im Deutschen Bund widmet. Seine Analyse bringt ein vergessenes rechtshistorisches Phänomen ans Licht, das heute nicht zuletzt angesichts der Überlagerung verschiedener jurisdiktioneller Ebenen besonderes Interesse beanspruchen kann. Pedro Cardim widmet sich schließlich einem großen und grundlegenden Feld der Rechtsgeschichte der europäischen Imperien: Dem Status der Überseegebiete der iberischen Monarchien im 16. und 17. Jahrhundert. Seit gut einem Jahrhundert ist deren politische und rechtliche Stellung meist aus einer nationalen Perspektive analysiert worden – in Europa oder in Amerika. Sein den imperialen Rechtsraum rekonstruierender Aufsatz liefert ein deutlich modifiziertes und gerade in der englischsprachigen Literatur bisher kaum bekanntes Bild.|p. 6 Zwei Foren bemühen sich, eine Momentaufnahme aus breiten Diskussionen über wichtige Anliegen der rechtshistorischen Forschung zu geben. Christiane Birr hat die Frage gestellt, welche Forschungsergebnisse die viel besprochenen Digital Humanities denn eigentlich erwarten lassen. Gibt es jenseits der allgemeinen Ankündigungsrhetorik bereits konkrete Nutzungen und Ergebnisse für geisteswissenschaftliche und insbesondere rechtshistorische Forschung? – Die Antworten auf diese Frage reichen von grundlegenden Überlegungen über die methodischen Implikationen bis hin zu ganz konkreten Ergebnissen, wie die neuen Technologien auch zu neuen Ergebnissen führen können. Das Thema wird uns sicher weiter beschäftigen. Im zweiten Forum bat Peter Collin einige Kolleginnen und Kollegen um ihre Einschätzung zum Stand der Sozialrechtsgeschichte. Auch hier handelt es sich um ein lange Zeit in nationalen Geschichten beschriebenes Feld, das von einer vergleichenden oder auf Verflechtungen achtenden Perspektivenerweiterung profitieren könnte, wie die Beiträge zeigen. Im Bereich der Kritik werden wichtige Arbeiten der rechtshistorischen Forschung der letzten beiden Jahre besprochen, darunter auch einige, die sich mit der Translation beschäftigen. Wie stets, so haben wir uns auch in diesem Jahr bemüht, möglichst viele Publikationen in einer anderen Sprache besprechen zu lassen als in der, in der diese abgefasst sind. Zeitschriften sind eben auch Translators. This year’s Rechtsgeschichte is flying under the flag of translation. The first Focus section deals with cultural translators of normativity, and the second Focus treats the translation of legal customs into writing – a translation into another medium. Such processes of translation may very well represent a key to understanding local, national, regional, or even global legal histories; however, in the past they have simply received insufficient consideration. In order to rectify this situation, the Max Planck Institute for European Legal History has for quite some time, within the context of a research focus area, been devoting more attention to such processes. For this reason, the contributions brought together by Lena Foljanty in the first Focus section, Translators: Mediators of Legal Transfers, stem predominantly from research projects being conducted at the institute. The contributions are looking at early modern Mexico, Helmstedt in the 18th century, Cairo in the 19th century, and Colombia in the 20th century. Another act of translation, in multiple senses of the term, lies at the heart of the second Focus section. Tzung-Mou Wu, from Taiwan, asked a group of legal historians from the Western world to examine historical experiences involving the codification of legal customs, thereby setting the stage for a Taiwanese reflection on the question as to how to make the most of the so-called indigenous peoples’ legal customs and customary law. At first glance, this approach may appear somewhat peculiar or perhaps remind us of the unfortunate attempts to directly appropriate legal history so as to shape law in the future. Nevertheless, abusus non tollit usum and the multiplicity of recourses to history certainly belong to the more interesting phenomena within the contemporary debate concerning the rights of the so-called indigenous peoples. The contributors, however, were faced with the difficult task of translating the major questions of legal historical scholarship in such a way as to be interesting for the jurists in that region, which, despite some historical points of contact, nevertheless possess very different legal cultural experiences. The demand for such texts is greater than ever and will only continue to grow in the future. In his introductory remarks, Tzung-Mou Wu makes reference to another aspect that our discipline needs to deal with: the danger that, given the growing Anglicization of the academic discourse, the results of the important research traditions composed in the major European languages are receiving less and less consideration. This situation further emphasizes the necessity of translation; something we are attempting to do in this issue. To this end, we are publishing a comprehensive essay by Gerhard Dilcher in English, where he takes stock of his decade-long engagement with the German literature scholars and their relationship to the Historical School. In this contribution he sketches out what some readers might consider an unfamiliar image of the history of 19th century German legal historical scholarship. A number of very well-known and important jurists from the 19th and 20th centuries, some of whom are seldomly read today, are inscribed within the developmental trajectory that stretches from von Savigny to Berman. Not least because of the apparent disappearance of German literature after 1945, a great number of these figures have moved beyond the periphery of both legal historiography and legal historical reflection. Several of the portraits found in this issue are intended to help recall them. In his treatment of the Austrägalgerichtsbarkeit in the German Confederation, Jakob Zollmann also takes up and works through an important part of 19th century German legal history. His analysis sheds light on an almost forgotten legal historical phenomenon; a topic which is of particular interest given the overlap existing between various jurisdictional spheres. Finally, Pedro Cardim addresses the expansive and fundamental field of research within legal history focusing on European empires: the status of the overseas territories of the Iberian monarchy in the 16th and 17th centuries. Over the course of the last 100 years, their political and legal status was primarily analyzed from a national perspective – either in Europe or America. His article reconstructs this imperial legal space and provides a thoroughly altered picture – one little known within the context of the English-language literature. The two Forum sections strive to provide a snapshot of a broad discussion concerning issues important to legal historical research. Christiane Birr poses the following question: what kind of |p. 8research results can be expected from the much-discussed digital humanities? Going beyond the common rhetoric, are there any concrete uses or results relevant to the humanities and, in particular, to legal historical research? – The responses to these questions include everything from fundamental reflections regarding methodological implications up to and including very specific results and how the applications of the new technologies could lead to further results. In the second Forum, Peter Collin approached several colleagues and asked them to assess the state of the history of social law. Here again we are dealing with a field that was for a long time described in terms of national histories and, as the contributions show, could profit from a broadening of perspectives via comparative or interrelational approaches. In the Critique section, important works within legal historical research published within the last two years are discussed, several of which also deal with translation. As always, we have again done our best to discuss as many publications as possible in a language other than that in which they were written. Journals are indeed also translators. Recommended citation: Duve, Thomas, Editorial, in: Rechtsgeschichte - Legal History Rg 24 (2016) 5-8, online: http://dx.doi.org/10.12946/rg24/005-008
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