Artigo Revisado por pares

Sex in echt. Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät

2023; Thieme Medical Publishers (Germany); Volume: 36; Issue: 03 Linguagem: Alemão

10.1055/a-2114-5085

ISSN

1438-9460

Tópico(s)

Psychology, Coaching, and Therapy

Resumo

Sexualaufklärungsbücher sind ein merkwürdiges Genre. Sie sind Sachbücher, aber ihr Gegenstand Sexualität lässt sich nur schwerlich versachlichen. Sie sind und bleiben Erziehungsratgeber, nehmen aber mit dem seit den 1990er-Jahren zunehmenden Einfluss des Paradigmas der Sexuellen Bildung deutlich stärker in Anspruch, nicht nur der Informationsvermittlung zu dienen, sondern subjektorientiert zur Selbstformung und zur Aneignung sexueller Lebens- und Genussfähigkeit beizutragen (siehe bspw. Kluge (2013): Sexuelle Bildung: Erziehungswissenschaftliche Grundlegung). Sie wenden sich an Kinder und Jugendliche und möchten den sexualitätsbezogenen Fragen und Themen der jungen Leser*innen gerecht werden, konzipiert und geschrieben sind sie jedoch von Erwachsenen. Nahezu zwangsläufig verfassen diese erwachsenen Autor*innen Aufklärungsbücher, die sie im Zuge ihrer vormals selbst erfahrenen Sexualerziehung womöglich gerne gelesen oder gebraucht hätten. Auch in dem im Folgenden vorgestellten Buch schreiben die Autorinnen: „Pubertät kann manchmal echt ein Arschloch sein, und wir hätten uns damals gewünscht, dass wir jemanden hätten fragen können, warum auf einmal unsere Unterhose klatschnass ist oder ob ich anstatt Junge oder Mädchen nicht auch einfach keines von beidem sein kann“ (S. 9). Mit der Erziehungswissenschaftlerin Christin Sager und ihrer Dissertation „Das aufgeklärte Kind. Zur Geschichte der bundesrepublikanischen Sexualaufklärung (1950–2010)“ (2015: 22) lässt sich vor diesem Hintergrund festhalten, dass der „Impuls zur Sexualaufklärung qua Sexualaufklärungsschriften […] von der erwachsenen Seite aus[geht]. […] Selbst das kindliche Bedürfnis nach Sexualaufklärung ist ein von Erwachsenen konstruiertes.“ Die Verwirrung, die dabei entsteht, berührt den Kern der Pädagogik, der wiederum unmittelbar mit Sexualität verknüpft ist: das Generationenverhältnis. Im Genre des Aufklärungsbuches stellen sich die Dinge somit buchstäblich vom Kopf auf die Füße: Pädagog*innen kommen in ihrer Beschäftigung mit kindlicher und jugendlicher Sexualität, wie Siegfrid Bernfeld bereits in „Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung“ (1981) [1925]: 33 f.) feststellt, in Kontakt zur eigenen, in Teilen verdrängten und doch wirksamen Erinnerungspur an „infantile Wünsche“ und an die eigene „leidenschaftliche, triebwilde Kindheit“. Sie präparieren nunmehr sexualitätsbezogenes Wissen, welches sie an Kinder und Jugendliche weitergeben, die das darin Beschriebene aber vielleicht (noch) gar nicht erlebt haben oder auch (noch) gar nicht erleben möchten. Es wird also deutlich, wie ideologieanfällig solcherlei Unternehmungen sind, und es verwundert daher nicht, dass die Auseinandersetzungen um die sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen wiederkehrend und dabei meist aufgeheizt geführt werden.

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