Albert Eschenmoser (1925–2023): Ein Gigant der Organischen Chemie
2023; Wiley; Volume: 135; Issue: 49 Linguagem: Alemão
10.1002/ange.202315565
ISSN1521-3757
AutoresDonald Hilvert, Andreas Pfaltz, Helma Wennemers,
Tópico(s)Enzyme Catalysis and Immobilization
ResumoAlbert Eschenmoser, einer der größten Wissenschaftler im Bereich der organischen Chemie, verstarb am 14. Juli im Alter von 97 Jahren. Eschenmoser hat die organische Chemie des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer geprägt. Seine wissenschaftlichen Beiträge erstreckten sich von der Synthesemethodik, der Strukturaufklärung und der Synthese von Naturstoffen bis hin zur Untersuchung der chemischen Ätiologie biomolekularer Strukturen. Albert Eschenmoser (Abbildung 1), einer der größten Wissenschaftler im Bereich der organischen Chemie, verstarb am 14. Juli im Alter von 97 Jahren. Eschenmoser hat die organische Chemie des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer geprägt. Seine wissenschaftlichen Beiträge erstreckten sich von der Synthesemethodik, der Strukturaufklärung und der Synthese von Naturstoffen bis hin zur Untersuchung der chemischen Ätiologie biomolekularer Strukturen. Albert Eschenmoser. Albert Eschenmoser wurde am 5. August 1925 in Erstfeld, Uri, geboren. Er studierte von 1944 bis 1949 Chemie an der Abteilung für Naturwissenschaften der ETH und promovierte 1951 bei Nobelpreisträger Leopold Ružička in der Arbeitsgruppe von Hans Schinz über säurekatalysierte Zyklisierungen bei Mono- und Sesquiterpenverbindungen. Er wurde 1956 Privatdozent für Organische Chemie, 1960 wurde er zum außerordentlichen Professor befördert und 1967 erhielt er eine ordentliche Professur. Nach seiner Emeritierung setzte Eschenmoser 1992 seine Forschung mit Postdoktoranden fort – denn die Neugier und das Denken hören nie auf: bis 2000 an der ETH Zürich, von 1993 bis 1996 am Biozentrum der Universität Frankfurt am Main, und von 1996 bis 2009 am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien. Eschenmosers Forschung entsprang einem tiefen Verständnis für die Faktoren, die die Reaktivität organischer Verbindungen beeinflussen, und zeichnete sich durch große Originalität, intellektuelle Strenge und herausragenden experimentellen Einfallsreichtum aus. So dienten zum Beispiel seine frühen Studien über säurekatalysierte Zyklisierungen von aliphatischen Polyenen, die er als Doktorand begann, als mechanistischer Leitfaden für die Zuordnung vieler Terpenstrukturen. Mit der anschließenden Ausarbeitung von stereoelektronischen und konformationellen Regeln erarbeitete er eine mechanistische Grundlage für die biogenetische Isoprenregel und ebnete den Weg für spätere synthetische Anwendungen. Gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Duilio Arigoni leitete Eschenmoser die Konstitution und die Konfiguration aller damals bekannten tetra- und pentazyklischen Triterpene ab. Während seiner gesamten Karriere bewies Eschenmoser immer wieder eine fast unheimliche Fähigkeit, neues Licht auf grundlegende Probleme der organischen Chemie zu werfen. Beispiele dieser Vielseitigkeit sind die Erklärung langsamer stereochemischer Inversionen von Aminen, Untersuchungen zur Geometrie von Übergangszuständen nukleophiler Substitutionen an Kohlenstoffzentren, die zeigten, dass endozyklische SN2-Reaktionen verboten sind, wenn ein linearer Übergangszustand geometrisch nicht möglich ist, sowie die präparative Anwendung neuartiger Fragmentierungsreaktionen. So etablierte er zum Beispiel die sogenannte Eschenmoser-Fragmentierung, eine milde Methode zur Umwandlung von α,β-Epoxyketonen in acetylenische Ketone oder Aldehyde mit p-Toluolsulfonylhydrazin oder N-Aminoaziridinen. Diese methodischen Errungenschaften erzielte Eschenmoser oft im Zuge von anspruchsvollen Naturstoffsynthesen. Sein strategisches und taktisches Geschick, das er bereits bei der Totalsynthese des Alkaloids Colchicin, einem natürlichen Schmerzmittel gegen Gicht, unter Beweis gestellt hatte, gipfelte in der bahnbrechenden Totalsynthese von Vitamin B12. Die Synthese dieses komplexen Naturstoffs, welche 12 Jahre intensiver Forschung in Anspruch nahm, war ein Meilenstein in der organischen Chemie. Sie stellte die Bandbreite und Leistungsfähigkeit moderner Synthesemethoden eindrucksvoll unter Beweis. Ursprünglich in Konkurrenz mit R. B. Woodward, entschieden sich die Gruppen der ETH Zürich und der Harvard Universität schließlich für eine “kompetitive Zusammenarbeit”, um die enormen Herausforderungen dieses anspruchsvollen Zielmoleküls zu bewältigen. Was folgte, ist einzigartig in der Geschichte der Chemie und brachte wahre Meisterleistungen hervor. Die eine Hälfte des Corrin-Ringsystems wurde an der Harvard University hergestellt, die andere an der ETH, und die Endstufen wurden gemeinsam ausgearbeitet. Umfangreiche Modellstudien, in denen neue Strategien und Methoden zum Aufbau des Corrin-Gerüsts entwickelt wurden, darunter die Sulfid-Kontraktion, eine C−C-Bindungsbildung, die in der Endsynthese mehrfach eingesetzt wurde, waren integraler Bestandteil des B12-Projekts an der ETH. Parallel dazu entwickelte Eschenmoser eine eigenständige Synthese mit einem genialen Schlüsselschritt, einer lichtinduzierten Zykloisomerisierung, bei der die Bindung zwischen den A- und D-Ringen durch eine antarafaciale 1,16-H-Verschiebung, mit nachfolgender elektrozyklischer Ringschlussreaktion gebildet wird (Schema 1). Obwohl die Totalsynthese bereits 1972 erfolgreich abgeschlossen war, prägte sie Eschenmoser bis zuletzt. So sprach er 2022 in einem “Plauderstündchen” sehr lange über all das, was mit Vitamin B12 einher ging. Vitamin B12 Synthese: Lichtinduzierte Zykloisomerisierung zur Verknüpfung der A- und D-Ringe durch eine antarafaciale 1,16-H-Verschiebung mit nachfolgender elektrozyklischer Ringschlussreaktion (aus Helv. Chim. Acta 2015, 98, 1921–2054). Nach Abschluss der Synthese von Vitamin B12 widmete sich Eschenmoser der Frage, wie der Corrinring in der Natur gebildet wird. Modellstudien von nicht-photochemischen Varianten der von ihm entwickelten Zykloisomerisierung zeigten, dass sich Corrine erstaunlich leicht aus Tetrapyrrol-Vorstufen über mehrere potenziell biomimetische Wege bilden. Neben wichtigen Erkenntnissen zur Biosynthese von Vitamin B12, zeigten diese Untersuchungen auch, dass derartige Strukturen spontan unter präbiotischen Bedingungen entstanden sein könnten. Diese Arbeiten dehnte Eschenmoser in der Folge auf andere Klassen von Biomolekülen aus. Die Forschung führte zu plausiblen Vorschlägen, wie wichtige Biomoleküle, darunter Nukleotide, Zucker und Aminosäuren, vor Milliarden von Jahren in der Ursuppe entstanden sein könnten. Um zu verstehen, warum die Natur Pentosen und nicht Hexosen als Rückgrat ihrer genetischen Polymere wählte, untersuchte Eschenmoser eine Reihe von informationstragenden Oligomeren als Alternativen zu DNA und RNA. Diese Arbeiten lieferten eine überzeugende Erklärung dafür, dass sich die natürlichen DNA- und RNA-Strukturen in der Evolution durchgesetzt hatten. Albert Eschenmoser war nicht nur ein herausragender Wissenschaftler, sondern auch ein überragender wissenschaftlicher Mentor für rund 250 Doktoranden und Postdoktoranden. Seine Vorlesungen in organischer Chemie für Studenten und Doktoranden waren bei ETH-Chemikern und Kollegen aus der ganzen Welt berühmt. All jene, die das Privileg hatten, in Eschenmosers Forschungsgruppe zu forschen, werden ihn als anspruchsvollen, kritischen, aber auch als unglaublich inspirierenden Mentor in Erinnerung behalten. Er war ein Doktorvater, im wahrsten Sinn des Wortes. Es war ihm ein großes Anliegen, die zentrale Bedeutung ethischer Leitlinien in der Wissenschaft zu vermitteln. In punkto Ehrlichkeit, Genauigkeit und kritischer Bewertung der eigenen Forschungsergebnisse kannte er keine Kompromisse. Seine Begeisterung für die Chemie, zum Beispiel bei Diskussionen und in Gruppenseminaren, war ansteckend. Er hatte zudem die Gabe, seine Mitarbeiter in schwierigen Phasen eines Projektes von dessen Bedeutung zu überzeugen und zu motivieren, weiterzumachen. Seine regelmäßigen Besuche in den Forschungslabors gehörten zu den Highlights im Gruppenalltag. Die informellen, lockeren Gespräche ermöglichten einzigartige Einblicke in Eschenmosers Denkweise. Dabei kam auch oft sein feiner, oft hintergründiger Humor, zum Vorschein. Die Dauer dieser Kaffeerunden hing vom Gesprächsverlauf ab – ein Zeitlimit gab es nicht. Zurück blieb meist ein Stapel eng mit Formeln beschriebener Notizblätter, die viele als begehrte Trophäen aufbewahrten. Wie der Begriff “Doktorvater” impliziert, blieb Eschenmoser auch nach Abschluss der Dissertation eine wichtige Bezugsperson im Leben seiner ehemaligen Schüler. Er verfolgte ihre berufliche Entwicklung mit Interesse und Anteilnahme, stets bereit, mit seinem Rat zur Seite zu stehen. Eschenmosers Leistungen brachten ihm internationalen Ruhm und unzählige Einladungen zu Vorträgen an Universitäten, in Unternehmen und an internationalen Konferenzen. Albert Eschenmoser war immer tief in der Schweiz verwurzelt, auch wenn er im Ausland war. Geschätzt, ja zutiefst verehrt, wurde er von unzähligen Kollegen und Freunden auf der ganzen Welt für seinen scharfen Verstand, seine Neugierde, seine Vitalität und seine unerschütterliche Integrität. Er erhielt eine Vielzahl nationaler und internationaler Auszeichnungen, darunter den Marcel-Benoist-Preis (1973), den Robert A. Welch Award (1974), die Davy-Medaille (1978), den Tetrahedron Prize for Creativity in Organic Chemistry (1981), den Arthur C. Cope Award (1984), den Wolf-Preis (1986), den Paracelsus-Preis der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft (1999), die Franklin-Medaille (2008). Er war Mitglied der renommiertesten Akademien weltweit, darunter die Deutsche Akademie Leopoldina, die American Academy of Arts and Sciences, die U.S. National Academy of Sciences, die Pontificia Academia Scientiarum (Vatikan), die Royal Society of Chemistry, London, die Academia Europaea, die Göttinger Akademie der Wissenschaften und die Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste. Zudem erhielt er das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und war Ehrenmitglied der Royal Society of Chemistry, der Gesellschaft Österreichischer Chemiker und der Pharmaceutical Society of Japan. Die Universitäten Freiburg, Chicago, Edinburgh, Bologna, Frankfurt, Innsbruck, Straßburg, Harvard und das Scripps Research Institute verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. Albert Eschenmoser hat die organische Chemie des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer geprägt. Sein Intellekt, seine Herzlichkeit und sein feiner Sinn für Humor bleiben unvergesslich.
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