Open Science in der deutschsprachigen Sportpsychologie
2023; Hogrefe Verlag; Volume: 30; Issue: 4 Linguagem: Alemão
10.1026/1612-5010/a000407
ISSN2190-6300
AutoresChris Englert, Stefanie Klatt,
Tópico(s)Sport Psychology and Performance
ResumoFree AccessOpen Science in der deutschsprachigen SportpsychologieChris Englert and Stefanie KlattChris EnglertChris Englert, Leiter des Arbeitsbereichs Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt, Ginnheimer Landstraße 39, 60487 Frankfurt am Main, Deutschland, [email protected]https://orcid.org/0000-0002-4757-8040Institut für Sportwissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt am Main, DeutschlandSearch for more papers by this author and Stefanie KlattStefanie Klatt, Leiterin der Abteilung Kognitions- und Sportspielforschung, Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Deutsche Sporthochschule Köln, Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln, Deutschland, [email protected]https://orcid.org/0000-0002-2477-8699Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Deutsche Sporthochschule Köln, DeutschlandSearch for more papers by this authorPublished Online:November 09, 2023https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000407PDF ToolsAdd to favoritesDownload CitationsTrack Citations ShareShare onFacebookTwitterLinkedInReddit SectionsMoreDas Vertrauen in die Wissenschaft bzw. in wissenschaftliche Befunde wurde in den vergangenen Jahren teilweise erschüttert, da verschiedene großangelegte Replikationsstudien die Originalbefunde nur teilweise replizieren konnten (vgl. Schweizer & Furley, 2016). So berichten bspw. Nosek und Kolleg_innen (2022), dass in mehr als 30 % der von ihnen analysierten Replikationsstudien aus dem Bereich der Psychologie die erwarteten Befundmuster nicht repliziert werden konnten. Die Zahl nicht erfolgreicher Replikationsstudien schwankt jedoch teilweise stark, sodass andere Überblicksarbeiten zu anderen Einschätzungen kommen (z. B. Hardwicke et al., 2022; Soto, 2019). Pashler und Wagenmakers (2012) prägten in diesem Zusammenhang den Begriff crisis of confidence, zu Deutsch die Replikationskrise, in der Psychologie. Auch wenn die Replikationskrise in der sportpsychologischen Forschung noch nicht angekommen zu sein scheint, erscheint es anmaßend, anzunehmen, dass die Sportpsychologie gänzlich dagegen gefeit ist.Als Reaktion auf die Replikationskrise und um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Versuche unternommen, die Wissenschaft transparenter zu gestalten und Open Science Praktiken aktiv zu fördern (Geukes et al., 2016; Utesch, Dreiskämper & Geukes, 2017). Die hohe Relevanz transparenter Forschung wird darüber hinaus dadurch ersichtlich, dass bspw. Gärtner und Kolleg_innen (2023) argumentieren, dass bei Berufungsverfahren künftig neben den vermeintlich objektiven Leistungskriterien (z. B. Impact Factors, H-Index) auch beurteilt werden sollte, ob die Bewerberinnen und Bewerber den Empfehlungen der Open Science Bewegung folgen. Im Bereich der Sportwissenschaft ist im angloamerikanischem Raum u. a. die Society for Transparency, Openness, and Replication in Kinesiology (STORK) als Vorreiter der Open Science Bewegung zu nennen, deren Mitglieder sich u. a. dafür einsetzen, wissenschaftliche Daten, Skripte, aber auch wissenschaftliche Artikel freizugänglich zu machen (Open Access Publications; https://storkinesiology.org/). Das Offenlegen sämtlicher Daten und Untersuchungsmaterialien soll es Forschenden erlauben, den Forschungsprozess nachzuvollziehen sowie die Daten zu reanalysieren (vgl. Caldwell et al., 2020). 2016 gaben Plessner und Kolleg_innen bereits ein Themenheft zur „Vertrauenskrise der empirischen Sozialwissenschaften und deren Bedeutung für die Sportpsychologie“ heraus, wodurch das Thema „Replikationskrise“ auch in die deutschsprachige Sportpsychologie getragen wurde (Plessner et al., 2016). Gegenwärtig befassen sich verschiedene Disziplinen der Sportwissenschaft aktiv mit dem Thema Open Science und Forschungsdatenmanagement, sodass die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) bspw. einen ad hoc-Ausschuss „Forschungsdatenmanagement“ ins Leben gerufen hat und auch die Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp) aktuell daran arbeitet, die Empfehlungen für eine offene und transparente Wissenschaft zu überarbeiten.Anliegen des vorliegenden Themenhefts ist es, neue Impulse für eine offene und transparente Sportpsychologie zu liefern, aber gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die Sportpsychologie als Angewandte Disziplin nicht mit der Psychologie als reine Grundlagenwissenschaft gleichzusetzen ist (vgl. Raab, 2017). Aufgrund kleiner Fallzahlen vereinzelter Zielpopulationen widerspricht eine Offenlegung sämtlicher Daten häufig der Gewährleistung der vollständigen Anonymität der Teilnehmenden, sodass eine Forderung nach vollständiger Offenheit und Transparenz keinen Automatismus darstellen sollte (für eine Diskussion aus der deutschsprachigen Psychologie, siehe auch Abele-Brehm et al., 2019). Wir danken den Autorinnen und Autoren, die mit ihren Artikeln einen wichtigen Beitrag zur Open Science Debatte in der deutschsprachigen Sportpsychologie geleistet haben.Ennigkeit, Englert, Stehle und Schweizer (2023) analysierten in ihrer Studie die Publikationen aller deutschsprachigen sportpsychologischen Arbeitsbereiche aus den Jahren 2020 und 2021 hinsichtlich der Nutzung verschiedener Open Science Praktiken. Zu den Open Science Praktiken zählten die Autor_innen Open-Access, Präregistrierung, Open Data, Open Code, Open Material sowie die Durchführung von Poweranalysen zur Berechnung der erforderlichen Stichprobengröße. Die Ergebnisse dieser Untersuchung verdeutlichen, dass zwar fast die Hälfte der einbezogenen Studien als Open-Access-Publikationen erschienen sind, dass jedoch die anderen Open Science Praktiken eher selten umgesetzt wurden. Auch wenn die hohe Zahl frei zugänglicher Publikationen zunächst erfreulich erscheint, weisen Ennigkeit et al. darauf hin, dass Open Access Publikationen i. d. R. mit hohen Kosten für die Autor_innen verbunden sind, was sich nicht alle Arbeitsbereiche in gleichem Maße leisten können. Darüber hinaus weisen sie auf sogenannte Predatory Journals hin, deren Begutachtungsmaßstäbe sehr niedrig sind, jedoch mit horrenden Publikationskosten verbunden sind (vgl. Sorokowski et al., 2017).In ihrem Positionspapier befassen sich Wunsch, Pixa und Geukes (2023) mit den gegenwärtigen Einstellungen, Intentionen und Verhaltensweisen bezogen auf Open Science in der Sportpsychologie. Darüber hinaus beschreiben sie Gründe einer möglichen Zurückhaltung im Kontext von Open Science Praktiken und greifen in diesem Kontext auch Überlegungen für zukünftige Weiterentwicklungen auf. Eine von den Autor_innen durchgeführte Befragung mit deutschsprachigen Sportpsycholog_innen zeigt zwar, dass Einstellungen und Intentionen im Zusammenhang mit Open Science Praktiken häufig übereinstimmen, das Verhalten bzw. die Umsetzung der Praktiken aber dennoch oftmals davon abweichen. Bedingt scheint diese verhaltensbezogene Zurückhaltung vor allem durch limitierte zeitliche Kapazitäten sowie erwarteten kompetitiven Nachteilen.Krüger, Biniossek, Stocker und Betz (2023) verdeutlichen in ihrem Positionspapier die besondere Bedeutung von Open Data im Zusammenhang mit Open Science Praktiken für die empirische Forschung. Dies begründen sie primär mit der Möglichkeit der Reintegration sportwissenschaftlicher Erkenntnisse als primäre Forschungsdaten in aufbauenden Forschungszyklen. Es werden bestehende Forschungsdatenmanagement-Lösungen aufgegriffen, aber vor allem auch Perspektiven für die nachhaltige Entwicklung solcher übergreifenden Lösungen in der Sportpsychologie diskutiert.Zusammengenommen ist festzuhalten, dass die Entwicklung und Akzeptanz von Open Science Praktiken in der deutschsprachigen Sportpsychologie in den letzten Jahren zugenommen haben, Potenzial aber weiterhin in der konkreten Umsetzung und Anwendung in vielen Bereichen besteht (Wunsch et al., 2023). Auch wenn nach und nach Möglichkeiten geschaffen werden, Open Science Praktiken aktiv zu fördern, lässt sich die inhaltliche Qualität von Forschungsarbeiten durch die Anwendung der Praktiken nicht zwangsläufig bestimmen, sondern vielmehr deren Transparenz und Reproduzierbarkeit (Hardwicke & Wagenmakers, 2023). Insbesondere bestärken die Praktiken das Vertrauen der Leser_innen hinsichtlich der Forschungsqualität und Glaubhaftigkeit von Ergebnissen (Song et al., 2022). Demnach erscheint es erstrebenswert, zukünftig weitere Maßnahmen zur Schaffung von Transparenz und Reproduzierbarkeit hervorzubringen und darüber hinaus Möglichkeiten einer noch stärkeren Beurteilung inhaltlicher Kriterien guter Forschung anzustreben.LiteraturAbele-Brehm, A. E., Gollwitzer, M., Steinberg, U. & Schönbrodt, F. D. (2019). Attitudes toward open science and public data sharing. Social Psychology, 50, 252 – 260. https://doi.org/10.1027/1864-9335/a000384 First citation in articleLink, Google ScholarCaldwell, A. R., Vigotsky, A. D., Tenan, M. S., Radel, R., Mellor, D. T., Kreutzer, A. et al. (2020). Moving sport and exercise science forward: A call for the adoption of more transparent research practices. Sports Medicine, 50, 449 – 459. https://doi.org/10.1007/s40279-019-01227-1 First citation in articleCrossref, Google ScholarEnnigkeit, F., Englert, C., Stehle, J. & Schweizer, G. (2023). Open Science in der deutschsprachigen Sportpsychologie. Eine empirische Analyse aktueller Forschungspraktiken. Zeitschrift für Sportpsychologie, 30, 146 – 155. https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000404 First citation in articleLink, Google ScholarGärtner, A., Leising, D. & Schönbrodt, F. D. (2023). Empfehlungen zur Bewertung wissenschaftlicher Leistungen bei Berufungsverfahren in der Psychologie. Psychologische Rundschau, 74, 166 – 174. https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000630 First citation in articleLink, Google ScholarGeukes, K., Schönbrodt, F. D., Utesch, T., Geukes, S. & Back, M. D. (2016). Wege aus der Vertrauenskrise. Zeitschrift für Sportpsychologie, 23, 99 – 109. https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000167 First citation in articleLink, Google ScholarHardwicke, T. E., Thibault, R. T., Kosie, J. E., Wallach, J. D., Kidwell, M. C. & Ioannidis, J. P. (2022). Estimating the prevalence of transparency and reproducibility-related research practices in psychology (2014 – 2017). Perspectives on Psychological Science, 17, 239 – 251. https://doi.org/10.1177/1745691620979806 First citation in articleCrossref, Google ScholarHardwicke, T. E. & Wagenmakers, E. J. (2023). Reducing bias, increasing transparency and calibrating confidence with preregistration. Nature Human Behaviour, 7, 15 – 26. https://doi.org/10.1038/s41562-022-01497-2 First citation in articleCrossref, Google ScholarKrüger, M., Biniossek, C., Stocker, M. & Betz, D. (2023). Perspectives and potentials of Open Data for the sports sciences. The “what”, the “why” and the “how”. Zeitschrift für Sportpsychologie, 30, 167 – 176. https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000405 First citation in articleLink, Google ScholarNosek, B. A., Hardwicke, T. E., Moshontz, H., Allard, A., Corker, K. S., Dreber, A. et al. (2022). Replicability, robustness, and reproducibility in psychological science. Annual Review of Psychology, 73, 719 – 748. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-020821-114157 First citation in articleCrossref, Google ScholarPashler, H. & Wagenmakers, E.-J. (Eds.). (2012). Special section on replicability in psychological science: A crisis of confidence? [Special section]. Perspectives on Psychological Science, 7, 528 – 654. https://doi.org/10.1177/1745691612465253 First citation in articleCrossref, Google ScholarPlessner, H., Cañal-Bruland, R., Ehrlenspiel, F., Jansen, P., Schüler, J. & Zentgraf, K. (2016). Die „Vertrauenskrise“ der empirischen Sozialwissenschaften und deren Bedeutung für die Sportpsychologie. Zeitschrift für Sportpsychologie, 23, 75 – 76. https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000172 First citation in articleLink, Google ScholarRaab, M. (2017). Sport and exercise psychology in 2050. German Journal of Exercise and Sport Research, 47, 62 – 71. https://doi.org/10.1007/s12662-016-0435-y First citation in articleCrossref, Google ScholarSchweizer, G. & Furley, P. (2016). Die Vertrauenskrise empirischer Forschung in der Psychologie: Ausgewählte Ursachen und exemplarische Lösungsvorschläge für die sportpsychologische Forschung. Zeitschrift für Sportpsychologie, 23, 77 – 83. https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000171 First citation in articleLink, Google ScholarSorokowski, P., Kulczycki, E., Sorokowska, A. & Pisanski, K. (2017). Predatory journals recruit fake editor. Nature, 543 (7646), 481 – 483. https://doi.org/10.1038/543481a First citation in articleCrossref, Google ScholarSong, H., Markowitz, D. M. & Taylor, S. H. (2022). Trusting on the shoulders of open giants? Open science increases trust in science for the public and academics. Journal of Communication, 72, 497 – 510. https://doi.org/10.1093/joc/jqac017 First citation in articleCrossref, Google ScholarSoto, C. J. (2019). How replicable are links between personality traits and consequential life outcomes? The Life Outcomes of Personality Replication Project. Psychological Science, 30, 711 – 727. https://doi.org/10.1177/0956797619831612 First citation in articleCrossref, Google ScholarUtesch, T., Dreiskämper, D. & Geukes, K. (2017). Open Science in der Sportwissenschaft? Ein Wegweiser zur Präregistrierung von Forschungsvorhaben und zu offenem Material, offenen Daten und offenem Code. Zeitschrift für Sportpsychologie, 24, 92 – 99. https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000205 First citation in articleLink, Google ScholarWunsch, K., Pixa, N. H. & Utesch, K. (2023). Open Science in German sport psychology. State of the art and future directions. Zeitschrift für Sportpsychologie, 30, 156 – 166. https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000406 First citation in articleLink, Google ScholarFiguresReferencesRelatedDetails Special Issue: Open Science in der deutschsprachigen Sportpsychologie Volume 30Issue 4Oktober 2023 ISSN: 1612-5010eISSN: 2190-6300 History Licenses & Copyright© 2023Hogrefe VerlagPDF download
Referência(s)