Die Empfehlungen der Regierungskommission zu den Psych-Fächern: Ein Kommentar
2024; Hogrefe Verlag; Volume: 52; Issue: 6 Linguagem: Alemão
10.1024/1422-4917/a000975
ISSN1664-2880
Autores Tópico(s)Psychoanalysis and Social Critique
ResumoFree AccessEditorialDie Empfehlungen der Regierungskommission zu den Psych-Fächern: Ein KommentarRecommendations of the German State Commission Concerning Psychiatric Hospital Services: A CommentaryMeinolf NoekerMeinolf NoekerProf. Dr. Meinolf Noeker, LWL-Krankenhausdezernent, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen, LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen, Hörsterplatz 2, 48145 Münster, Deutschland[email protected][email protected]LWL-Krankenhausdezernent, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen, LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen, Münster, DeutschlandPublished Online:August 26, 2024https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000975PDF ToolsAdd to favoritesDownload CitationsTrack Citations Cite ShareShare onFacebookTwitterLinkedInRedditE-Mail SectionsMore Die von Bundesminister Prof. Lauterbach eingesetzte Regierungskommission zur Krankenhausreform hatte sich in ihren ersten sieben Empfehlungen auf den Reformbedarf in den somatischen Häuser wie zum Beispiel die Überwindung von Fehlanreizen im Fallpauschalensystem konzentriert. In ihrer achten Stellungnahme nimmt die Kommission nun explizit die Psych-Fächer in ihrer Gesamtheit und damit letztlich auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie in den Fokus (vgl.: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/BMG_Stellungnahme_8_Psych-Faecher.pdf). In dem vorliegenden Kommentar werden vorrangig die Empfehlungen der Kommission zur verstärkten Integration der Psych-Fächer in die Somatik, die Weiterentwicklung der PPP-RL und die Ambulantisierung innerhalb des Krankenhauses kommentiert. Auch wenn die Kommission nur wenige Ausführungen explizit auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie bezieht, so wird in dem vorliegenden Kommentar dort, wo möglich, ein Akzent auf die möglichen Wirkungen für die Krankenhäuser und Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie gelegt.Heranführung der Psych-Fächer an die Somatik? Die Kommission beklagt zunächst die historisch entwickelte Trennung von Somatik und Psych-Fächern in der Krankenhausversorgung. Diese begrenze eine umfassende, integrative Diagnostik und Therapie angesichts der multiplen Wechselwirkungen und Komorbiditäten in vielen Fallkonstellationen. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie konfrontiert uns nahezu jedes Kind und jeder Jugendliche mit einem Geflecht von somatischen, psychischen und sozialen Entstehungs-, Verlaufs- und Ergebnisbedingungen. Dessen ungeachtet ist die KJP auf der institutionell-organisatorischen Ebene klar abgrenzt von ihren in der Somatik verankerten Nachbardisziplinen der Allgemeinpädiatrie und der pädiatrischen Intensivmedizin, vor allem aber der Neuropädiatrie und der Sozialpädiatrie, bis hin zur Radiologie, der Genetik und der Labormedizin und weiteren differenzialdiagnostisch relevanten Disziplinen. Die mehrdimensionalen und damit eben auch somatischen Abklärungs- und Behandlungsbedarfe machen aber eben nicht an den Grenzen unserer Kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik oder Praxis Halt. Dies erzeugt viele Schnittstellenaufwände. Wäre es da nicht verlockend, wenn jede KJP-Klinik Teil einer umfassenden, groß dimensionierten, somatisch/psychiatrischen Klinik wäre, angegliedert oder fusioniert mit der Pädiatrie auf dem nächsten Flur? Und in diesem Zuge nicht gleich auch alle die Entgelt- und Vergütungsbestimmungen mit der Somatik vereinheitlicht würden? Die Regierungskommission treibt das Anliegen um, Psych-Fächer näher an die Somatik heranzuführen. Soweit das ehrenwerte Motiv, aber wie kann und die Umsetzung erfolgen und was wären die erwartbaren Auswirkungen? Sie empfiehlt, "dass Abteilungen der Psych-Fächer an allen Krankenhäusern der Level In bis III(U) geführt werden können". Die Kommission möchte demnach die von Herrn Prof. Lauterbach vorgesehenen Leistungsgruppen und Versorgungslevel im Rahmen der "großen" Krankenhausreform" zwischen Somatik und Psych-Fächern verknüpfen. An dieser Stelle ist nachvollziehbar Gegenwind seitens der Bundesländer erwartbar, da diese Empfehlung Eingriffe der Bundesebene in die Landeshoheit bei der Krankenhausplanung bewirken würde. Politisch also delikat und streitanfällig. Des Weiteren möchte die Kommission die räumliche Verlagerung von Psych-Klinikgebäuden an somatische Krankenhäuser befördern. Dies wäre allerdings ein gigantisches Krankenhaus-Investitionsprogramm, für das wohl realistisch kein Geld zur Verfügung stehen wird. Denn die schwindenden Finanzmittel für Neubauten, Sanierungen, Instandhaltung und ökologische Investition werden prioritär für die Konzentrationsprozesse innerhalb der somatischen Häuser und die Absicherung der Krankenversorgung im ländlichen Raum aufgebraucht werden. Die Investitionsförderung von reinen Verlagerungsprojekten wird demgegenüber zurückstehen müssen. Die Aussicht mag verlockend sein, in einem großen Wurf eine Krankenhausreform für Somatik und Psych-Fächer aus einem Guss zu fertigen. Sehr schnell wird man jedoch dabei mit den fundamentalen, jahrzehntelang verfestigten Unterschieden in der Planung, Finanzierung und Vergütung von Somatik versus Psych-Fächern konfrontiert: Bundespflegesatzverordnung versus Krankenhausentgeltgesetz, PEPP-Ziffern mit Tagesbezug versus DRGs mit Fallbezug und Ausgliederung der Pflegekosten, Budgetvergütung versus Addition von Leistungsmengen und geplantem Vorhalteaufwand. Beide Systeme haben ihre je eigene Geschichte, ihre eigenen Systemfehler und Fehlanreize. Die jeweiligen Schwachstellen sind keinesfalls identisch, sondern entstammen ihren je eigenen rechtlichen, ökonomischen und versorgungsbezogenen Systemumgebungen. Identische Reformprogramme können daher in der Psych-Umgebung komplett andere Auswirkungen erzeugen als in der Somatik. Vorsicht ist also geboten beim vorschnellen Transfer ohne eine vorherige Auswirkungsanalyse. Zwischenfazit: Die Empfehlung der Kommission akzentuiert vollkommen zu Recht das Ziel einer Optimierung der Durchlässigkeit und Kooperation zwischen Somatik und Psych-Fächern. Die vorgeschlagenen Wege zur Zielerreichung über Versorgungslevel und räumliche Verlagerung sind jedoch nicht wirklich realistisch. Eine abgespeckte, aufwandsärmere und politisch unstrittige Umsetzungsstrategie läge in einer noch konsequenteren Stärkung von psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Konsiliardiensten, insbesondere digital gestützt. Hier ist richtigerweise viel im Fluss. Statt kostenträchtiger baulicher Zusammenlegungen gilt es, Telematik und Telemedizin von den Psych-Fächern in die Somatik und vice versa voranzutreiben. Telemedizin kann Zeit und Geld konsumierende Mobilität genauso reduzieren wie geographische Zusammenlegung.Kurskorrektur bei der PPP-RL Ein weiteres Herzstück der Empfehlungen der Regierungskommission richtet sich auf den Dauerbrenner der "Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie" (PPP-RL). Die Scharfstellung der dort festgelegten Mindestpersonalvorgaben ist erneut verschoben worden. Die Regierungskommission lässt bei aller Diplomatie in den Formulierungen wohltuend klar durchblicken, dass man sich bei der PPP-RL wohl kollektiv in eine Sackgasse hineinmanövriert hat. Und dass man grundsätzlich umsteuern muss. Sie kann für ihr Votum den Rückenwind des gegenwärtigen Mainstreams nutzen. In vielen Politikfeldern wird Bürokratieabbau, Entschlackung und konkrete Problemlösung eingefordert. Der Faktencheck zum bürokratischen Overload der PPP-RL sieht dagegen bei nüchterner Betrachtung wie aus der Zeit gefallen aus (Noeker, 2022). Stefan Günther und Ramon Krüger (2023) benötigen in ihrem "Praxishandbuch zur PPP-RL" 500 Seiten, um die Essentials aufzubereiten. Für die Feinschmecker kommt als Sättigungsbeilage der zweite Band von Günther, Krüger und Thewes (2022) hinzu, der die diffizilen, unsicheren und potenziell streitbefangenen Wirkungen auf die Budgetvereinbarungen zwischen Krankenhaus und Krankenkassen auf weiteren 320 Seiten aufdröselt. Für die Gesundheitspolitik und die Krankenhausreform ist die PPP-RL ein ausgezeichneter Praxistest, in dem die Ernsthaftigkeit und Entschlusskraft von Bürokratieabbau sowie Ordnungspolitik mit Vertrauen in die Handelnden vor Ort auf die Probe gestellt wird. Und bewiesen werden kann, dass Fehler eingestanden und korrigiert werden. Die bisherige Geschichte und der aktuelle Befund zur PPP-RL zeigen dagegen: Wenn es mit dem Bürokratieabbau ernst und konkret wird, zeigt sich die Beharrlichkeit der detailkompetenten Erbsenzähler und Bedenkenträger – natürlich immer im Interesse der guten Sache. Wer will schon Qualität für ein bisschen Dokumentation und Planungsvorgaben zur Disposition stellen? Wer will sich dagegenstellen, dass man deren Einhaltung notgedrungen kontrollieren muss? Wer, dass man für Dokumentation eben auch ein Drittel der Arbeitszeit opfern muss? Denn wie sollte eine Pflegedienstleitung bei der klinisch turbulenten Personaldisposition mit dem Auf und Ab von komplexen Akutaufnahmen und Entlassungen einerseits und dem Auf und Ab von Krankenständen sowie Fluktuation beim Personal andererseits auch die Übersicht behalten können, ohne auf bundeseinheitlich durchnormierte Vorgaben zurückgreifen zu können? Für deren Erfüllung weiß das Excel-erprobte Medizincontrolling – Gott sei Dank – immer tagesaktuelle Hinweise zu geben. Dessen Empfehlungen folgen jedoch dem Primat der Sicherung von Quoten und damit Abwendung von Sanktionen und eben nicht dem seit Generationen bewährten, pragmatischen, wechselseitigen Aushelfen über Stationen hinweg bei Engpässen. Aber wer wollte nicht zugestehen, dass zur Qualitätssicherung paradoxerweise mitunter eben auch Verstöße gegen die Sicherung von Qualität in Kauf genommen werden müssen?Reset-Taste drücken statt Mehr desselben Die Regierungskommission erkennt die verfahrene Situation in ihrer Stellungnahme völlig korrekt. Beispielhaft kritisiert sie die Unverhältnismäßigkeit der Sanktionsdrohungen. Und die Notwendigkeit für die Häuser, überall und jederzeit einen Puffer an Personal als Sicherheitsabstand zur Sanktionsschwelle einzustellen, für den auf der Budgetseite bis jetzt aber keine Refinanzierung wirklich abgesichert ist. An dieser Stelle findet der Begriff der "kalten Strukturbereinigung" erneut Anwendung. Sollen Kliniken in die massive Sanktionszahlung, damit in die Liquiditätskrise und damit in die Insolvenz getrieben werden? Der Argwohn, ob hinter den überzogenen Sanktionsdrohungen eine böse Absicht steht, vertieft die Misstrauenskultur. Realwirtschaftlich und versorgungsbezogen ist die Frage einer solchen Hidden Agenda letztlich unerheblich, denn bei Scharfstellung der Sanktionen werden sich solche finanzwirtschaftlichen Wirkungen – mit und ohne böse Absicht – auf jeden Fall einstellen. Übrigens werden nicht automatisch die Häuser vom Markt verschwinden, die die schlechteste Qualität abgeliefert haben. Sondern auch solche, die gerade durch hohen Aufwand in ihre umfassende Qualität ihre Liquidität überfordert haben und wirtschaftlich auf Kante genäht sind. Die Regierungskommission empfiehlt für die zukünftige Ausgestaltung von Personalstandards den Abgleich mit den somatischen Häuser. Weitere Anregungen für bürokratieärmere Blaupausen für die Psych-Fächer findet man übrigens auch beim Blick über den Gartenzaun in die Rehabilitation (SGB VI), die Jugendhilfe (SGB VIII), die Eingliederungshilfe (SGB IX) und gerade aktuell in die Altenpflege (SGB XI). Diese kommen alle ohne die Äquivalente von Stations-, Monats- oder Quartalsbezug aus. Vielmehr liegen sie alle in ihren Rechtskreisen nahe an einem "Ganzhausansatz".Eine tiefenpsychologische Deutung Die Tiefenpsychologen unter uns könnten das wiederholte Verschieben von harten Sanktionen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wohl treffsicher als konfliktdynamische Kompromissbildung deuten: Einerseits wird wohl vorbewusst erahnt, welche Verwerfungen und Schäden man in der Fläche anrichtet, wenn man die immerwährend unfertig bleibende Baustelle PPP-RL in diesem Zustand in den Realbetrieb schicken würde. Andererseits hat man nach all den Jahren im G-BA immer noch keine wirklich schlüssig zu Ende gedachte, praktikable Idee, wie man die PPP-RL bürokratiearm entschlacken und entkernen kann. Aufschieben der Sanktionen hat als zweitbeste Lösung in den letzten Jahren immer wieder vor Schlimmerem bewahrt, gelöst wurde der Grundkonflikt aber nicht. Ein Ganzhausansatz, also ohne Aufgliederung der Nachweispflicht bis auf Stationen oder Tageskliniken herunter, in Verbindung mit einem Ganzjahresansatz, also ohne Aufgliederung in Quartale oder Monate, wäre schon ein großer Schritt mit wenig Aufwand. Das unverblümte Resümee, das auch der Regierungskommission dämmert, ist: Hier hilft keine Filigrantechnokratie im G-BA mehr weiter. Kein Mehr desselben. Keine weiteren gordischen Knoten obendrauf. Man muss ganz grundsätzlich an den Kern des Problems ran. Der Kaiser hat keine neuen Kleider, er ist einfach nackt. Er gibt es nur immer noch nicht zu. Vielleicht helfen ja jetzt die klaren Worte der Regierungskommission über die Klippe zum gesichtswahrenden Abschiednehmen im Gesundheitsamen Bundesausschuss (G-BA). Das wäre verdienstvoll. Unter uns darf man mitfühlend das Gefühl validieren, wie viel "komplizierte Trauer" (ICD 11) nach so viel vergeblich geleisteter Mühsal eine nüchterne Bilanz zur PPP-RL auslösen muss. Aber es hilft nichts. Trost kommt nicht aus dem weiter Festhalten. Existenziellen Trost kann vielleicht noch Albert Camus spenden: "Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen."Personalbemessung bei endlichen Personalressourcen Personaluntergrenzen können prinzipiell ein sinnvolles Instrument zur Abwehr von Verwahrpsychiatrie sein. Allerdings muss diese Erwartung in den konkreten Umfeldbedingungen erfüllbar sein. Dies wird zunehmend kritisch unter den Bedingungen eines deutlichen und wohl weiter zunehmenden Fachkräftemangels. Die Sanktionierung von Personaluntergrenzen findet ihre Grenze in Konstellationen, in denen sie nicht mehr einlösbar sein wird. Zukünftige Konzeptionen zur Personalbemessung und Personalvergütung müssen sich ohne Illusionen die limitierten Personalressourcen auf dem Fachkräftemarkt vor Augen führen. Diese sind in der KJP, insbesondere in Medizin und Pflege, noch drastischer als in anderen stationären wie niedergelassenen Disziplinen. Der Mangel hat unweigerliche und wohl auch harte Konsequenzen auf die Quantität und Qualität der Leistungsangebote. Folglich muss man den Personaleinsatz optimieren, um die Schäden für die Versorgung der Bevölkerung einzudämmen. Es ergeben sich Dilemmata und schmerzliche Güterabwägungen, in jedem Haus und in der Bundesrepublik insgesamt:•Personalbemessung setzt an zwei unterschiedlich hohen Niveaus an. Mindestpersonalbesetzung im Interesse der Qualitätssicherung, pointiert formuliert als Abwehr von Verwahrpsychiatrie versus einem höheren Level zur personalwirtschaftlichen Hinterlegung von evidenz- und leitlinienbasierter Fachtherapie.•Personalschlüssel pro Patientin/Patienten versus Personaldeckung für die Bevölkerung. Je ambitionierter die Personalschlüssel pro Patientin/Patienten angesetzt werden, desto stärker erzeugt man mittelbar eine Verknappung der Personalressourcen bei der möglichst umfassenden Bedarfsdeckung für die gesamte (behandelte wie unbehandelte) psychische Morbidität in der gesamten Bevölkerung. Personalschlüssel pro Patientin/Patienten und Abdeckung des Gesamtbedarfs werden zu einem Nullsummenspiel. Der Zielkonflikt ist: Entweder bekommen Wenige die leitliniengerechte Therapie oder Viele bekommen die Basisversorgung.•Personalumfang im stationären versus krankenhausambulanten Setting, hier vorrangig in den Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA). Die richtige Forderung nach Stärkung der Ambulantisierung des Krankenhauses wird bei insgesamt konstanter oder abnehmender Personalverfügbarkeit Druck auf die Personalbesetzung in den übrigen Settings ausüben. Man kann eine Fachkraft nur einmal einsetzen. Vielfach wird unter Versorgungsgesichtspunkten zu erwarten sein, dass eine Umschichtung von stationärer in krankenhausambulante Kapazität einen insgesamt verbesserten therapeutischen Wirkungsgrad erzeugen wird. Konkret münden Personalengpässe in die Frage: Wieviel Kapazität stecken wir jeweils in die stationäre versus (intensiv-)ambulante Struktur. Es gilt, das Optimum der Ressourcenverteilung zwischen den Settings des Krankenhauses neu zu balancieren und zu allokieren.Ambulantisierung Die Kommission stellt das große Potenzial heraus, das darin liegt, bislang vollstationär erbrachte Behandlungen in Zukunft teilstationär oder (intensiv)-ambulant zu erbringen. Neben den gesundheitsökonomischen Vorteilen sind die fachlich-therapeutischen Gründe für einen forcierten Ausbau der Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) innerhalb der Krankenhausversorgung seit Jahrzehnten in den Psych-Fächern im Allgemein und in der KJP im Besonderen breit bekannt, geteilt und gültig:•Die bessere Vereinbarkeit des PIA-Therapiesettings mit der Aufrechterhaltung der Alltagskontakte in die familiären, sozialen, gleichaltrigen und schulischen Unterstützungssysteme bzw. der leichtere Einbezug risikobehafteter Familiensysteme durch eltern- und familienzentrierte Interventionen.•Stetige, kontingente Rückkoppelung und damit Check der Wirksamkeit von durchgeführten Interventionen in der Lebenswelt des Kindes und damit Option zur kontinuierlichen Nachsteuerung und Adjustierung der Therapiestrategien.•Einem stationären Behandlungsangebot stehen auf Seiten des Kindes und/oder der Familie vielfach Zweifel und Barrieren entgegen, das Angebot auch anzunehmen. Dies stellt auch bei ernsthaften Indikationen einen relevanten Selektionsfaktor bei der Inanspruchnahme dar. Hochfrequente, interdisziplinäre, multimodale PIA-Angebote können hier vielfach eine von den Betroffenen akzeptierte Alternative sein. Die Kommission legt hier zu Recht den Finger in die seit Jahrzehnten offene Wunde, nämlich dass es trotz zahlloser Appelle zur Ambulantisierung faktisch bis jetzt nicht gelungen ist, diese hinreichend tragfähig und in großem Stil aufzubauen. PIA-Leistungen müssen auch bei intensiver, hochfrequenter und multiprofessioneller Inanspruchnahme bundesweit mindestens auskömmlich vergütet sein, um eine Sogwirkung zu erzeugen. In vielen komplexen, risikobehafteten Fallkonstellationen verfügen Zuweiser und Anbieter in der Praxis am Ende über keine wirkliche Wahlfreiheit zwischen stationärer und ambulanter Indikation. Wahlfreiheit wäre erst dann gegeben, wenn eben eine medizinisch suffiziente, hochfrequente, multimodale, zeitnahe, ambulante Therapie verfügbar ist, die so ausgestaltet und dimensioniert ist, dass sie einen mindestens gleichwertigen klinischen Outcome zur stationären Aufnahme erwarten lässt. Diese Voraussetzung liegt aber vielfach nicht vor, sodass Zuweiser bei komplexen Patientenbedarfen momentan fachlich und ethisch unweigerlich auf die stationäre Einweisung zurückgeworfen sind, um Risiken abzuwenden. Die Konsequenz aus der nüchternen Problembeschreibung der Kommission liegt daher im gemeinsamen Aufbau von Vergütungsvereinbarungen und personalwirtschaftlich funktionierenden Modellen, die geeignet sind, das abstrakt vorhandene, konkret jedoch nicht hinreichend eingelöste ambulant-sensitive Potenzial auszuschöpfen. Die Empfehlungen der Kommission zur Weiterentwicklung der Modellprojekte nach § 64 b SGB V sind ausgewogen und realistisch. Sie fordern einen Kontrahierungszwang für den Beitritt aller Kassen zu einem Modellprojekt, der ab einem kritischen Grenzwert beitrittswilliger Kassen wirksam wird. Dieser Kontrahierungszwang ist lange überfällig. Die "doppelte Buchführung" für Regelkassen und Modellkassen ist nicht zumutbar. Die unterschiedlichen Leistungsportfolios für "Modellpatienten vs. Regelpatienten" auf einer Station sind nicht plausibel kommunizierbar. Sie wirken gleichermaßen diskreditierend auf die Kassen wie das Krankenhaus.Anforderungen an eine Weiterentwicklung der PIA-Vergütung Die Schlussfolgerungen der Kommission zu einer weiteren "Hochskalierung" der PIA sind wegweisend. Sie stellt richtigerweise das Bayerische Modell als das aktuell fortgeschrittenste Konzept zur Vergütung bei den Psychiatrischen lnstitutsambulanzen (PIA) heraus. Es verbindet intelligent das Interesse nach Transparenz seitens der Kostenträger mit dem Interesse nach Bürokratiearmut seitens des Krankenhauses. Die Abrechnung nach Zeiteinheiten erlaubt grundsätzlich höherfrequente Therapie in einer auf den Patienten individuell zugeschnittenen Konfiguration von Berufsgruppen. Mindestens folgende vier abrechnungsfähigen Optionen zur Leistungserbringung im Sinne von Zeiteinheiten sollten flexibel und verlaufsbezogenen sichergestellt sein: direkte therapeutische Leistung am/mit dem Patienten, indirekte Leistungen im Kontakt mit Dritten, digital gestützte Videotherapie/Telefonkontakte/Apps sowie aufsuchende Leistung im häuslichen Milieu. Zur Stimulation eines dynamischen Aufbaus wären signifikante Entgeltverbesserungen für die PIA-Leistungen anzustreben, um kraftvoll einen finanzwirtschaftlichen Anreiz zur Umschichtung zwischen stationären und krankenhausambulanten Settings zu setzen. Das betriebswirtschaftliche "Geschäftsmodell" der Kliniken muss finanziell-operant so angereizt werden, dass eine Investition in die PIA-Maximierung differenziell besser verstärkt wird als das Verharren in der klassischen Bettenlogik. Zum Ausgleich können für die Kostenträger wirtschaftlich kommunizierende Röhren zwischen der gesamten PIA-Zahllast und der stationären Zahllast hergestellt werden, um die Kostenentwicklung insgesamt in Grenzen zu halten. Denn auch die Krankenkassen benötigen für eine zugkräftige Mitwirkung eine kontingente Belohnung mit hohem Verstärkerwert. Dieser läge in der komplementären Reduzierung der stationären Leistungsmengen. Als Leitprinzip für erfolgreiche Entgeltvereinbarungen gilt, die Interessen von Kassen und Krankenhäusern partnerschaftlich zu verknüpfen: einerseits für die Kostenträger die Steigerung der Gesamtzahllast saldiert über alle stationären, teilstationären, StäB-Leistungen und PIA-Leistungen des Krankenhauses hinweg zu begrenzen und andererseits für die Krankenhäuser gleichwohl auskömmliche Gesamtergebnisse zu gewährleisten. Im Kontext des allgegenwärtigen Personalmangels wird es zunehmend zur Illusion, Steigerung der Leistungsmengen über alle Sparten des Krankenhauses hinweg einzufordern. Selbst wenn man sie durchverhandelt bekäme, bekäme man dennoch die nötigen Personalstellen nicht besetzt. Hier braucht es "radikale Akzeptanz", um nicht in Forderungen stecken zu bleiben, die zwar die wohltuende Gewissheit vermitteln mögen, auf der richtigen Seite zu stehen, faktisch aber keine Chance zur konkreten Realisierung eröffnen. Es wird in Zukunft nicht um Leistungsausweitungen, sondern um rationale Umschichtung gehen. Konstruktive, am Patientennutzen ausgerichtete Verhandlungsführung vorausgesetzt, sollte dies sowohl durch bundesweite Regelungen als auch auf dem Vereinbarungswege vor Ort möglich werden. Der vorliegende Beitrag basiert in wesentlichen Teilen auf Ausführungen, die vorab in den beiden folgenden Kolumnen schon publiziert wurden: Noeker, M. (2023). Ein hehres Manöver. f&w Psych (13.11.2023). https://psych.bibliomedmanager.de/artikel/ein-hehres-manoever. Noeker, M. (2023). Eine Beziehungskiste. f&w Psych (18.12.2023). https://psych.bibliomedmanager.de/artikel/eine-beziehungskiste. Wir danken der Bibliomed Medizinischen Verlagsgesellschaft mbH für die freundliche Genehmigung zur erneuten Veröffentlichung.LiteraturGünther, S. & Krüger, R. (2023). Praxishandbuch zur Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL): Rahmenbedingungen, Erfahrungen und Umsetzungshilfen. Heidelberg: medhochzwei. First citation in articleGoogle ScholarGünther, S., Krüger, R. & Thewes, S. (2022). Budgetverhandlung und Finanzierung von Psych-Einrichtungen: Praxishandbuch zur Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL). Heidelberg: medhochzwei. First citation in articleGoogle ScholarNoeker, M. (2022). Entwicklungspsychopathologie der Personalbemessung. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 50 (5), 1–8. First citation in articleLink, Google ScholarFiguresReferencesRelatedDetails Advance Article HistoryPublished online26. August 2024 Licenses & Copyright© 2024Hogrefe AGAcknowledgments:Der vorliegende Beitrag basiert in wesentlichen Teilen auf Ausführungen, die vorab in den beiden folgenden Kolumnen schon publiziert wurden: Noeker, M. (2023). Ein hehres Manöver. f&w Psych (13.11.2023). https://psych.bibliomedmanager.de/artikel/ein-hehres-manoever. Noeker, M. (2023). Eine Beziehungskiste. f&w Psych (18.12.2023). https://psych.bibliomedmanager.de/artikel/eine-beziehungskiste. Wir danken der Bibliomed Medizinischen Verlagsgesellschaft mbH für die freundliche Genehmigung zur erneuten Veröffentlichung.PDF download
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