Deutschlandbilder in Botho Strauß' Drama Schlu[beta]chor (1991)1
2005; Wiley; Linguagem: Alemão
ISSN
1756-1183
Autores Tópico(s)Arts, Culture, and Music Studies
ResumoI Das Drama der Gegenwart ist keine leichte Kost. Seine of f ene Form verlangt dem Leser wie dem Zuschauer alles ab. Es reizt seine Performativitat formlich aus. Es wird mehr und mehr nur noch fur die Auffuhrung geschrieben, kaum mehr zugleich auch fur die individuelle Lekture. Das war im 18. und 19. Jahrhundert noch durchaus anders. In dem Jahrhundert, in dem sich die Literalitat mit Macht durchsetzte, war es die erklarte Intention eines Theatermannes wie Lessing, dass seine Dramen auch als gelesene ihre Intention entf alten sollten. Langst ist das Drama der Gegenwart nicht mehr das Drama Max Frischs, Friedrich Durrenmatts, Peter Hacks' oder Heiner Mullers. Unter dem Innovations- und Originalitatsdruck, dem auch die verschiedenen Kulturinstitutionen unterliegen, sind die Theater mutiger geworden und wagen sich nicht selten an (Ur-)Auffuhrungen jungerer, kaum bekannter Autoren. Fur die asthetische Struktur der Stucke hat dies Konsequenzen. Mehr und mehr gewinnt das Drama erst in der Auffuhrung seine reale Gegenwart.2 Der Text wird mehr und mehr zum blosen Skript, das allein auf der Buhne real werden muss und sich dabei gravierend verandern kann. In der Auffuhrung entscheidet sich, welches Potential es in sich hat. In der Auffuhrung selbst muss ad hoc der Sinn konstituiert werden. Jede Deutung des literalen Skriptes ist deshalb nicht mehr als eine tastende Annaherung. Mit dem Drama der Gegenwart radikalisiert sich also ein hermeneutischrezeptionsasthetisches Grundproblem, das sich seit der Durchsetzung der Literalitat mit besonderer Scharfe stellt und auf das die romantische Hermeneutik mit der These reagiert hat, das literarische Kunstwerk brauche notwendig den Leser, in dem es sich erst verwirkliche. Die Auf merksamkeit, die nun das Drama generell und in besonderem Mase das Drama der Gegenwart verlangt, ist eine andere als die, die wir beim literalen Text aufzubringen vielleicht gewohnt sind. Das aufgefuhrte Drama ist in besonderer Weise situativ, performativ: Es ist Literatur im handelnden Vollzug. Die Einheit des Dramas, die in der Tradition des aristotelischen Theaters durch seine Fabel und durch eine bestimmte asthetische Struktur geleistet wurde, lost sich im Drama der Gegenwart auf. Dass die grosen Geschichten nicht mehr geschrieben werden (konnen), wird allenthalben verkundet. (Man kann daran auch seine Zweifel haben.) Asthetisch ist dies als Akt der Befreiung, nicht als Verlust aufgefasst worden. Es befreit auch die einzelne Szene des Theaterstocks fur den asthetischen Augenblick, fordert aber den Zuschauer in besonderer Weise heraus und kann, Beispiele dafur gibt es genug, in die vollige Formlosigkeit fuhren. Die Dramen von Botho Straus (etwa: Trilogie des Wiedersehens, 1976; Groβ und Klein, 1978; Kalldewey, Farce, 1981; Die Fretndenfiihrerin, 1986) warengrofie Publikumserfolge. Sie haben die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durchsetzende asthetische Form des Szenischen und Revuehaften auserordentlich geschickt genutzt, um kritisch-bissig Schlaglichter auf die burgerliche Gesellschaft mit ihrem Kulturbetrieb zu werfen, sie in der Belanglosigkeit ihres Party-Tratsches, ihres unverbindlichen Geredes, ihrer Befindlichkeiten und in der Haltlosigkeit ihrer sozialen Beziehungen zu demaskieren. Bei diesen Stucken konnte man hinter dem Gesellschaftskritiker Straus bereits den rabiaten, illusionslosen, jede Utopie verweigernden Kulturkritiker erkennen, der auch in einer bestimmten Tradition deutscher und europaischer Kulturkritik steht. Straus forderte 1991 mit seinem Nachwort zu George Steiners Von realer Gegenwart (1991) den Aufstand gegen die sekundare Welt (so der Untertitel) und prognostizierte 1993 mit seinem Spiegel-Essay Anschwellender Bocksgesang die anschwellende, unvermeidlich heraufziehende gesellschaftliche Katastrophe, die, so Strausens heikle Hoffnung, die Katharsis bringen werde.3 Das, wie ich meine, durchaus problematische intellektuelle Spiel mit dem Feuer, das der Essay auch darstellt, hat damais die von Straus angestrebten heftigen Debatten hervorgerufen, die hier nicht nachzuzeichnen sind. …
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