MAX SCHELERS GODSDIENSTFILOSOFIE
1960; Taylor & Francis; Volume: 21; Issue: 1 Linguagem: Alemão
10.1080/00062278.1960.10596532
ISSN1783-1377
Autores Tópico(s)Philosophy and Historical Thought
ResumoClick to increase image sizeClick to decrease image size ZUSAMMENFASSUNG In diesem Artikel über Schelers Religionsphilosophie wollen wir die zwei Perioden seines religiösen Denkens mit einander vergleichen. 1922 verliess Scheler die katholische Kirche; bedeutet dieser Schritt auch einen Bruch in seiner Religionsphilosophie oder läuft durch sein ganzes religiöses Werk eine durchgehende Linie? Haben wir es mit einem Bruch zu tun oder mit einer Entwicklung? Wir beginnen unsere Untersuchung mit einer gründlichen Auseinandersetzung von Schelers Denken über die Transzendenz Gottes, von der wir drei Aspekte beleuchten wollen: die Vorerfahrung des Transzendenten, dessen echte Beschreibung und schliesslich dessen innermenschliche Dimension in Schelers letzten Jahren. Auf Grund dieser vorbereitenden Untersuchung werden wir dann ein Gesamturteil über Schelers Religionsphilosophie versuchen. In Vom Ewigen im Menschen gibt Scheler eine sehr gute Analyse des religiösen Aktes, besonders von seiner intentionalen Gerichtetheit auf das Transzendente. Was versteht Scheler hier unter dem Transzendenten? Seine Darlegung beginnt auf folgende Weise: das Charakteristische jedes religiösen Aktes ist, dass in ihm alle endlichen Dinge zu einem Ganzen zusammengefasst und zur Idee „Welt” vereinigt werden. Diese Welt wird nun durch den religiösen Akt transzendiert. Die Tatsache, dass Scheler die die Welt zusammenfassende Aktivität bereits religiös nennt, dass er das Uebersteigen der endlichen Welt durch den religiösen Akt der unmittelbaren, direkten Einsicht dieses Aktes in die grundlegende Unzureichendheit dieser Welt zuschreibt, lässt vermuten, dass die religiöse Transzendenz hier nicht sauber gefasst wird. Stehen wir hier nicht einer Vorerfahrung, einem Vorgefühl des Religiösen gegenüber, das in gewisser Weise noch ungeschieden ist von anderen Arten von Ganzheitserlebnissen und noch nicht zu selbständiger Eigenheit gekommen ist? Die Erklärung, die Scheler vom Götzendienst gibt, weist in die gleiche Richtung. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, können wir über Scheler als über den nach Gott suchenden Menschen sprechen. Dann fällt uns besonders die Einheit in Schelers Werk auf, und wir sind geneigt, den Unterschied zwischen der Zeit vor 1922 und danach als einen Unterschied von Nuancen anzusehen. Das ist nur die halbe Wahrheit. Scheler war nicht nur der suchende Mensch; in seinen drei Hauptwerken, Formalismus, Probleme der Religion und Wesen und Formen der Sympathie, finden wir Seiten, die von echt religiöser Einsicht zeugen, von scharfer und tiefer Erfahrung von Gottes Transzendenz. In diesem Zusammenhang wollen wir auf zwei Punkte hinweisen: Schelers Ansichten über die religiöse Sprache und seine Erklärung der Formel „amare in Deo”. Die Freiheit, mit der die religiöse Sprache nach Scheler ihre Bilder anwendet, illustriert zwar auf treffende Weise den menschlichen Ursprung dieses Sprechens über Gott, aber zugleich auch das Unaussprechliche von Gottes Fülle. Eines der Hauptthemen von Schelers Religionsphilosophie ist das Verhältnis Gottes zu seinen Geschöpfen; die Formel, mit der er seine Gedanken in dieser Hinsicht zusammenfasst, lautet „amare in Deo”. Durch die Liebe zu Gott identifiziert sich die geistige Person, was ihre Wesenheit betrifft, mit der Idee, die Gott von ihr hat, aber der Liebesakt von Gott und Mensch bleibt unterschieden. Nie ist die menschliche Person realiter eine Funktion Gottes. Es scheint uns, dass Scheler in der Erklärung der Formel „amare in Deo” die harmonischsten, ausgewogensten und tiefsten Ausdrücke für dies Kernproblem der Gotteserfahrung gefunden hat. Im Vergleich mit diesen Texten, können wir die letzte Periode von Schelers philosophischem Denken nur als einen Bruch mit der vorhergehenden bezeichnen. In seinem letzten Buch, Die Stellung des Menschen im Kosmos, spricht er von der menschlichen Selbstdeificatio und wird das menschliche Weltgeschehen die Geschichte Gottes selbst. Am Schluss unserer Untersuchung versuchen wir, diese verschiedenen Gegebenheiten zu einer Synthese zusammenzuarbeiten. Schelers Persönlichkeit ist charakterisiert durch seinen empfänglichen, beweglichen und unbeständigen Geist. Das zentrale Wort seiner Philosophie ist: Bewegung, Tendenz, hinaus, hinüber, Uebergang, zwischen. Schelers Religionsphilosophie war immer, und besonders vor 1922, vielsinnig; sie konnte sich in verschiedenen Richtungen entwickeln. Aber gerade während dieser ersten Periode findet in Scheler ein Reinigungsprozess statt, wovon sein Werk Probleme der Religion einen Höhepunkt bildet. Hier berührt er objektive, rein religiöse Werte; die echt religiöse Haltung wird genau gefühlt und erfahren. Wir finden sogar Stellen, wo die echte Transzendenz durchbricht. Nach 1922 wird dieser Reinigungsprozess abgebrochen; es findet eine Entwicklung statt, jedoch einseitiger Art. Nur die pantheistisch nuancierte Lebensphilosophie wird konsequent durchgedacht. Ist das ein definitiver Bruch? Warum spricht Scheler in dieser Periode weiter von „deitas”, vom „Absoluten”, von „Heiligkeit”, „Gottesbewusstsein” usw.? Warum widersetzt er sich der Bezeichnung Atheist und selbst Pantheist? Wer wird das Geheimnis dieser Seele aufdecken? Kann man nicht mit ebensoviel Recht sagen, dass Scheler der suchende Mensch blieb; ist dies fortdauernde Suchen, dies radikale Sich-unbefriedigt-Fühlen kein Anzeichen dafür, dass Scheler auf dem Wege zum Religiösen war? Auf Gott zu oder ihn bestreitend, ihn suchend in alle menschlichen Erscheinungen, ist er immer mit Gott beschäftigt. Dass er fortdauernd, wenn auch auf ungeschickte Weise, über Gott spricht, ist ein Zeichen dafür, dass er nach Gott sucht. War vielleicht das Religiöse der letzte Grund all seines Suchens, und konnte er eben auf dies suchende Auf-dem-Weg-Sein nicht verzichten, um in Gott zu ruhen? War dies die subtile Versuchung seines Lebens, der er allzu oft erlegen ist?
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